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Über 40 und noch keine Führungserfahrung im Journalismus – ist das ein Problem?

Über 40 und noch keine Führungserfahrung im Journalismus – ist das ein Problem? Mediencoach Attila Albert

Bei einer Bewerbung als Redakteur „überqualifiziert“, als Teamleiter dagegen „unterqualifiziert“: Medienprofis über 40, die noch keine Führungserfahrung haben, finden sich oft zwischen den Hierarchie-Ebenen wieder. Mediencoach Attila Albert sagt, was sich noch aufholen lässt.

Berlin – Der Redakteur einer Zentralredaktion, Mitte 40, versuchte seit mehreren Jahren vergeblich, eine andere Stelle zu finden. Meist bekam er Absagen mit nichtssagenden Begründungen wie: „Wir haben uns entschieden, Bewerber zu berücksichtigen, deren Profil noch genauer den Anforderungen der ausgeschriebenen Stelle entspricht.“ Schaffte er es doch einmal in ein Vorstellungsgespräch für eine Redakteursstelle, war er spätestens nach dem Nennen seiner Gehaltsvorstellungen angeblich „überqualifiziert“. Bewarb er sich dagegen als Team- oder Ressortleiter, hörte er: „Sie haben ja leider gar keine Führungserfahrung.“

 

Medienprofis im mittleren Lebensalter geraten leicht zwischen die Hierarchie-Ebenen. Bei den einfachen Stellen konkurrieren sie zunehmend mit Bewerbern und Kollegen, die zehn Jahre jünger sind. Damit aus Sicht der Medienhäuser günstiger und einfacher zu führen. Redaktionelle Erfahrung sorgt zwar für Routine, aber auch höhere Ansprüche (z.B. an Vorgesetzte). Wer sich aber für eine Führungsposition interessiert, hört vielfach als Vorwurf, dass er noch keine habe. Doch auch über 40 lässt sich noch vieles ändern.

 

Führen außerhalb des Jobs zählt auch

Zu einem gewissen Grad lässt sich der Mangel an Führungserfahrung in einer Bewerbung kaschieren. Wer zumindest vertraglich „verantwortlicher Redakteur“ o.ä. ist, kann häufig anführen, dass er vertretungsweise das Team geführt hat, wenn der Vorgesetzte freie Tage oder Urlaub hatte. Auch das Führen externer Mitarbeiter oder Teams (Agenturen) kann im Lebenslauf erwähnt werden. Sogar ein Ehrenamt (z.B. im Vorstand eines Vereines) kann mit dem Hinweis auftauchen, dass man diese Erfahrung nun ausbauen möchte. Aber, wenn wir ehrlich sind: All das sind Verlegenheitslösungen, die jedes HR durchschaut.

 

Das muss nicht zwingend sofort disqualifizieren. Viele angebliche „Führungspositionen“ sind in Wahrheit sowieso weitgehend operativ: Ein winziges Team, die Arbeiten sind selbst zu erledigen, und viel zu entscheiden hat man auch nicht. So kann es durchaus passieren, dass auch ein unerfahrener Bewerber seine Chef-Chance bekommt. Ebenso natürlich, wenn es an Bewerbern mangelt (z.B., weil der Arbeitsort weniger attraktiv ist) oder das Unternehmen den Kandidaten fachlich und persönlich interessant findet. Realistische Arbeitgeber wissen: Jeder braucht eine erste Gelegenheit, mancher erhält oder nutzt sie nun einmal später als andere. 

 

Wichtig, die wahren Gründe herauszufinden 

Für den Medienprofi, der mit über 40 noch keine Führungserfahrung hat, ist aber etwas anderes interessant: Für sich selbst herauszufinden, warum das so ist. Möglicherweise war er nie daran interessiert. Das ist, wie oben kurz erwähnt, eine absolut akzeptable Einstellung. Typisches Beispiel: Der Reporter, der lieber weiter draußen unterwegs sein und schreiben will. In diesem Fall empfiehlt es sich, die berufliche Perspektive über die nächsten fünf bis zehn Jahre zu überdenken: Will man z.B. pragmatisch weiter "einfacher Redakteur" im Newsroom bleiben, auch wenn um einen herum die Kollegen kommen und gehen? Oder eine Fachkarriere anstreben, sich also inhaltlich (z.B. auf ein bestimmtes Thema) oder methodisch (z.B. aufs Recherchieren oder Schreiben/Redigieren) spezialisieren? 

 

Häufig liegt es aber an etwas anderem: Jemand hat über viele Jahre seines Berufslebens in den entscheidenden Momenten nicht die Hand gehoben. In Konferenzen oft geschwiegen aus Sorge, sich zu blamieren. Sich bei interessanten Projekten nicht gemeldet, um sich nicht vor allen anderen zu positionieren. Nicht das regelmäßige Gespräch mit wichtigen Personen (z.B. Chefredakteur) und generell die Außendarstellung gesucht, um nicht auf riskante Weise ins Blickfeld zu geraten. Hier geht es dann eher um Fragen des Selbstverständnisses und Selbstbewusstseins. Das lässt sich in jedem Lebensalter erkunden und stärken und lohnt sich oft mehr, als in einer Panikreaktion teure Kurse für ein „Führungszertifikat“ zu belegen. 

 

Wer den Eindruck hat, dass mit Mitte 40 alle Chancen auf eine erste Führungsposition verloren seien, irrt sich. Möglicherweise für den heutigen Standard-Weg: Mit Mitte 20 in ein Programm für „High Potentials“ des Arbeitgebers, dann in eine Chefposition. Selbst viele Teilnehmer derartiger Programme machen schon diesen ersten Schritt nie – etwa, weil sie intern nie ein Angebot erhielten. Gleichzeitig wird manche Karriere erst in der Lebensmitte interessant, sei es angestellt oder selbstständig, weil sich unerwartete Chancen auftun. Und mancher stellt fest, dass ein anderer Weg sowieso besser zu seinen persönlichen Wünschen und Zielen passt – und geht diesen ohne Zweifel und Reue.

 

Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis aus Journalismus, PR und Unternehmenskommunikation als Coach. Schwerpunkt: Berufliche und persönliche Neuorientierung. Im April 2020 erschien sein Buch: „Ich mach da nicht mehr mit“ (Gräfe und Unzer). Mehr als 20 Jahre hat er selbst als Journalist gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“ in Chemnitz, „Bild“ und „Blick“. Für einen Schweizer Industriekonzern baute er die globale Marketingkommunikation mit auf. Er hat Betriebswirtschaft und Webentwicklung studiert.


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