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Hugo Portisch zum 90er: Wahrheitsfindung ist Um und Auf

Hugo Portisch zum 90er: Wahrheitsfindung ist Um und Auf Hugo Portisch

Der 90-jährige Vollblutjournalisten mahnt die journalistischen Tugenden ein. Nur so gewinne die Vierte Gewalt wieder Glaubwürdigkeit.

Wien/Salzburg - Für den 90-jährigen Vollblutjournalisten ist Wahrheitsfindung das Um und Auf für Qualität in den Medien. Nur so gewinne die Vierte Gewalt wieder Glaubwürdigkeit. Check, re-check, double-check sollen die Chefredakteure bei ihren Redakteuren einmahnen, sagt Portisch im "Journalist" interview.

 

In den vergangenen Jahren ist den Medien in der Bevölkerung immer mehr die Glaubwürdigkeit abhandengekommen. Von „Lügenpresse“ ist besonders im Internet die Rede, von Verschweigen, Beschönigen, von Manipulieren der Wahrheit. Sind wir Journalisten wirklich so schrecklich wie unser Ruf oder sind das überzogene Behauptungen?

Hugo Portisch: Natürlich ist das überzogen. Doch es kommt auch auf das Medium an. Es gibt solche und solche. Generell muss man sagen, dass es allen Printmedien nicht gut geht.

 

Finanziell, meinen Sie?

Ja, und da ist die Neigung, von irgendwoher Zusatzeinnahmen zu gewinnen, groß. Und dass man da auch Konzessionen erwägt, ist ebenfalls möglich. 

 

Nur möglich? Gibt es in Österreich zu wenig Qualitätsmedien?

Das kommt darauf an. In New York gibt es nur eine Zeitung, die man als Qualitätsmedium bezeichnen kann, in einer Acht-Millionen-Stadt. Das kommt immer aufs Land und auf die Größenordnung an.

 

Und in Österreich?

Ich halte die Zeitungslandschaft in Wien für durchaus gut ausgestattet. Es gibt zwei bis drei Zeitungen, die man durchaus als seriös bezeichnen kann. Und fürs ganze Land stimmt das ebenso. Es ist aber in den letzten Jahren etwas sicherlich stärker geworden: dass bestimmte Personen in bestimmten Medien darauf geschaut haben, dass sie gut wegkommen – durch Inseratenverteilung. Hauptsächlich jene Leute, die in der Regierung sitzen, haben darauf geschaut.

 

Gab es diese gezielten Inseratenzuwendungen seitens der Politik immer schon?

Öffentliche Aufträge, Inseratenaufträge, haben wir zu meiner Zeit im „Kurier“ nie gehabt. Ich habe mich schon aufgeregt, als der Meinl auf Seite 3 inserieren durfte.

 

Sollten da heutzutage Herausgeber und Chefredakteure doch etwas zurückhaltender sein?

Ich weiß nicht, wie weit das möglich ist. Das gehört ja heute fast schon zur Blattlinie – eine Zeitung, in der der Herausgeber zusammen mit dem Chefredakteur bestimmt, wir brauchen das Geld und daher wird das möglich gemacht. Diese Inserate sind möglich und daher sind auch medienseits entsprechende Sympathieäußerungen möglich.

 

Wenn in wachsenden Teilen der Bevölkerung das Vertrauen in die mediale Berichterstattung sinkt, was heißt das für die Demokratie in diesem Land?

Ein Absinken der Glaubwürdigkeit der Medien ist immer sehr bedauerlich. Das kann auch zu einer Gefahr werden. Es kommt darauf an, wie viel manipuliert wird.

 

Eine Umfrage bei Jugendlichen bis 29 Jahre förderte zutage, dass ein überraschend hoher Prozentsatz generell gegen die EU eingestellt ist und sich sogar für den Austritt Österreichs ausspricht.

So etwas kann nur entstehen, wenn man sich nicht genau informiert. Es gibt genügend Möglichkeiten, die EU kennen zu lernen. Da läuft man offenbar einem Trend nach. Bei jugendlichen Bewegungen ist das immer möglich. Man gibt weiter, was man irgendwo gehört hat und was unter Umständen auch absichtlich geschrieben worden ist. Es gibt EU-kritische Medien, die aus Prinzip EU-kritisch sind und in denen sehr viele entsprechende Lesermeinungen wiedergegeben werden. 

 

Sie meinen die bewusste Auswahl der Medien, welche Leserbriefe abgedruckt werden. Spielt bei diesem Trend der EU-Ablehnung auch eine Rolle, dass nun schon seit vielen Jahren Medien sehr oft ihre Kritik an der EU nicht an einzelnen, bestimmten Entscheidungen festmachen, sondern völlig verallgemeinernd das Modell EU kritisieren?

Da setzt man sich eben nicht mit der wirklichen EU auseinander. Die EU hat sicher viele Fehler gemacht. Ich habe auch immer kritisiert, dass sie da und dort ihre Kompetenzen überschreitet. Es gibt ja einen Paragrafen in der EU-Verfassung, dem zufolge bei Materien, die einzelne Länder, Gebiete, Regionen selbst entscheiden können, sich die EU nicht einzumischen hat. Paradebeispiele: die Krümmung der Gurken, Glühbirnen, Wasserversorgung. Da wurde die Subsidiarität verletzt.

 

Also nur Peanuts?

Da geht es aber ums Prinzip. Das bringt großes Misstrauen. Da sind sie ausgesprochen dumm und frivol. Und so klein kann die Dummheit gar nicht sein, dass der EU das als grober Fehler angelastet wird. Solche Dinge haben der EU enorm geschadet.

 

Wäre es da nicht Aufgabe der Medien, diese Beispiele nicht nur zu bringen, sondern auch zu begründen, warum dadurch die EU-Kompetenzen überschritten wurden? Eben damit die Bevölkerung nicht das gesamte EU-Modell verteufelt.

Das würde ich von einem seriösen Medium erwarten. Die Gewichtung ist da ein ganz wichtiger Aspekt. Flächendeckende Beschuldigungen und Verallgemeinerungen sind abzulehnen und sind mit journalistischer Seriosität nicht vereinbar. Wir sind ja nicht nur Berichterstatter, sondern auch Macher. Und wenn ich das mache, ist das nicht mit Qualität, aber auch nicht mit Ethik vereinbar. 

 

Hat es nicht in früheren Jahren fallweise, wenn es um staatstragende Volksentscheide gegangen ist, so etwas wie Absprachen von Herausgebern und Chefredakteuren der wichtigen Medien Österreichs gegeben, in denen man so etwas wie eine gemeinsame Blattlinie besprochen hat?

Eine ganz große Sache war das Volksbegehren zur Rundfunkreform. Bei dem haben viele mitgemacht, das zu unterstützen. In manchen Zeitungen musste man da auch gegen den Herausgeber argumentieren. Und natürlich auch bei der Volksabstimmung über den Beitritt Österreichs zur EU.

 

Zunehmend wird dauernd vom „Streit“ in der Koalition geschrieben, vom „Konflikt“, von „Tumulten“ etc. Oft gibt es zwischen den beiden Koalitionsparteien klarerweise unterschiedliche Meinungen, die in Diskussionen eben zu einem Kompromiss führen müssen, sollen … Warum können das Medien nicht manchmal auch so beschreiben, unaufgeregt, ohne zu dramatisieren, zu übertreiben?

Wenn die Regierungspartner diskutieren, erscheint „Streit“ nicht angebracht. Denn das vergiftet schon ein bisschen die Atmosphäre. Man muss genau differenzieren, ist es eine Diskussion, ist es eine Meinungsdifferenz. 

 

Müsste man nicht auch öfter betonen, dass diese Regierung ja aus zwei Parteien besteht? Das war natürlich in der langjährigen Alleinregierung Kreisky etwas anderes.

Selbstverständlich. Das kann nur eine Auseinandersetzung sein, das gehört in einer Koalitionsregierung dazu: Ich denke so, du denkst so, was machen wir?

 

Wird auf dieses für die Bevölkerung ausreichend zumindest in den Qualitätsmedien hingewiesen?

Ich hoffe. Im Großen und Ganzen tun sie es, wenn wir von Qualitätsmedien sprechen.

 

Gibt es ausreichend Qualitätsmedien in Österreich?

Es gibt genug Qualitätsmedien, ausreichend für das Publikum. Wenn nicht mehr Publikum da ist, das danach verlangt, nach Differenzierung, dann kann es gar nicht mehr geben, denn wie sollen sich die finanzieren?

 

Fehlt es in der Bevölkerung an Bildung?

Da haben Sie völlig recht. Aber auch an bestimmten Bildungsinhalten, die heute oft überhaupt nicht vorkommen: politische Bildung, Medienbildung, kritisches Denken. Damit kann man schon in den ersten Klassen beginnen.

 

Nach den Ankündigungen von Medienminister Thomas Drozda soll die Presseförderung auf neue Beine gestellt werden. Nach welchen Kriterien soll gefördert werden?

Das Um und Auf für die Qualität ist Wahrheitsfindung. Das wird im Journalismus als selbstverständlich vorausgesetzt, ist es aber nicht. Ich bin 1950 als ganz junger Journalist an die beste Journalistenschule Amerikas gekommen, wo wir auch einen der besten und heute noch berühmten Lehrer hatten.

 

Wer war das und an welcher Uni waren Sie?

School of Journalism an der University in Columbia, Missouri. Der Lehrer war Dean Mott, der dort bis heute noch einen hervorragenden Ruf hat. Er hat uns – wir waren Anfänger – in einer Stunde, in der ersten, alles beigebracht, was man als Journalist zu befolgen hat: check, re-check, double-check. Und wenn du die Wahrheit verlässt, dann ruinierst du den Ruf der Zeitung, du ruinierst deinen eigenen Ruf. Und natürlich auch die Glaubwürdigkeit. Das, was das Herz des Journalismus ausmacht. Für uns war das neu. Bei uns waren damals die Medien nicht immer auf Wahrheit ausgerichtet. Dazu kamen noch andere Prinzipien, also audiatur et altera pars. Das gehört unbedingt dazu. Wenn man das nicht tut, lässt man einen Teil der Wahrheit aus. Und das Dritte: in dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten. 


Das Interview ist im Dezember im "Österreichischen Journalisten" erschienen. Bestellung