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Zwei Monate Böhmermann-Affäre − Eine Zwischenbilanz

Ob Böhmermann abgesehen von Wut und Entrüstung auch noch mit einer Anklage wegen Beleidigung konfrontiert wird, ist zwei Monate nach seiner Dichterlesung noch offen. Und wie so ein Prozess wohl ausgeht, erst recht.

Jan Böhmermann hat mit seinem Schmähgedicht viel Wirbel verursacht. Die Kanzlerin fand es „bewusst verletzend“, der türkische Präsident beleidigend. Der Beginn der Böhmermann-Affäre ist schon zwei Monate alt. Abgehakt ist sie noch nicht.

Berlin (dpa) − Es ist nicht übertrieben zu sagen, Jan Böhmermann habe Geschichte geschrieben. Und auf jeden Fall wochenlang für Aufregung gesorgt, für eine Staatsaffäre, eine einstweilige Verfügung, einen drohenden Prozess wegen Beleidigung und eine umfangreiche Debatte zur Frage, was Satire darf und was nicht. Ganz abgesehen davon, dass er zwischenzeitlich unter Polizeischutz stand und rund vier Wochen im Fernsehen pausierte. Zwei Monate ist es inzwischen her, dass er sein umstrittenes, viel kritisiertes Gedicht „Schmähkritik“ in seiner ZDFneo-Sendung „Neo Magazin Royale“ vorgetragen und damit eine Kette von Reaktionen ausgelöst hat, die nicht absehbar waren. Zu Ende ist die Böhmermann-Affäre noch nicht. Was bleibt?

Als der TV-Satiriker und Grimme-Preisträger Böhmermann (35) am 31. März die Verse über den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vorlas, hat vermutlich niemand geahnt, wie hoch die Wellen bald danach schlagen würden. Und als das ZDF am Tag darauf mitteilte, der Beitrag entspreche nicht den Ansprüchen, die der Sender an die Qualität von Satiresendungen stelle, und man werde ihn nicht wiederholen, gab es in den sozialen Medien noch Diskussionen, ob das alles nur ein Fake sei − zwischen Böhmermann und dem Sender abgesprochen.

Schließlich war es der 1. April. Und Fakes gehören bei Böhmermann zum Konzept. Spätestens als die Staatsanwaltschaft Mainz ein Ermittlungsverfahren einleitete, war allerdings klar, dass es bei Böhmermanns Gedicht um mehr als einen Aprilscherz ging.

Die türkische Regierung verlangte rechtliche Schritte gegen Böhmermann vor dem Hintergrund des Paragrafen 103 des Strafgesetzbuches, der ausländische Staatsoberhäupter und Regierungsmitglieder vor Beleidigung schützen soll. Zu den bleibenden Folgen der Böhmermann-Affäre könnte die Abschaffung des Paragrafen zur „Majestätsbeleidigung“ gehören, für die sich inzwischen auch die Bundesregierung stark macht.

Und sonst? Joan Bleicher, stellvertretende Direktorin des Instituts für Medien und Kommunikation der Universität Hamburg, sieht die Folgen der Böhmermann-Affäre ausgesprochen kritisch: Sie hält es für wahrscheinlich, dass Comedians und Kabarettisten nun vorsichtiger und unpolitischer werden und sich aus Angst vor negativen Konsequenzen auf Gags zurückziehen, bei denen jemand auf einer Bananenschale ausrutscht. „Bestimmte Sachen traut man sich nicht mehr.“

Die Diskussion, was Satire darf, habe sich verändert, angesichts der Erfahrung, dass strafrechtliche Folgen nicht auszuschließen seien. „Die Devise „Satire darf alles“ gilt nicht mehr.“ Keine gute Entwicklung, findet Bleicher.

Bernhard Pörksen, Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen, glaubt, dass die Böhmermann-Affäre als Lehrbeispiel der Erregungsdynamik im digitalen Zeitalter in Erinnerung bleiben wird: „Gute und schlechte Witze, schlichte Beleidigungen und die Schmähsatire auf einem Spartensender lassen sich heute blitzschnell verbreiten, sie sind mit einem Mal global sichtbar“, argumentiert Pörksen. „Das heißt: Der Resonanzraum für Satire und Schmähkritik ist die Weltbühne des Internet.“ Das mache der Fall eindrücklich klar.

Die Diskussion um Böhmermanns Gedicht habe auch gezeigt, dass das digitale Zeitalter eines der medial verursachten Daueraufregung sei. „Was an einem Ort der Welt achselzuckend akzeptiert wird, wird anderswo als furchtbare Erniedrigung betrachtet, als entsetzliche Beleidigung, die man unter keinen Umständen hinnehmen kann. Alles, was gesagt wird, kann plötzlich in anderen Zusammenhängen wieder auftauchen − und zum Anlass für Wut und Entrüstung werden.“

Ob Böhmermann abgesehen von Wut und Entrüstung auch noch mit einer Anklage wegen Beleidigung konfrontiert wird, ist zwei Monate nach seiner Dichterlesung noch offen. Und wie so ein Prozess wohl ausgeht, erst recht.

 

Von Andreas Heimann, dpa