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Dürfen Geheimdienste bald deutsche Medien hacken?

Dürfen Geheimdienste bald deutsche Medien hacken? Christian Mihr warnt vor Überwachung von Journalisten.

Reporter ohne Grenzen warnt vor Plänen des Bundesinnenministeriums, wonach Geheimdienste Medien im In- und Ausland künftig digital ausspionieren könnten.

Berlin - Reporter ohne Grenzen (ROG) warnt vor Plänen des Bundesinnenministeriums, wonach deutsche Geheimdienste Medien im In- und Ausland künftig digital ausspionieren könnten. Einem Referentenentwurf zufolge sollen deutsche Inlands- und Auslandsgeheimdienste Server, Computer und Smartphones von Verlagen, Rundfunksendern sowie freiberuflichen Journalistinnen und Journalisten hacken dürfen. Sie sollen dabei verschlüsselte Kommunikation abfangen oder verdeckt nach digitalen Daten suchen können. Damit würde eine der Säulen der Pressefreiheit in Deutschland, das Redaktionsgeheimnis, fallen: Während es verboten bliebe, mit einer Redaktionsdurchsuchung die Identität journalistischer Quellen zu erlangen, könnte dies mit einer Online-Durchsuchung digital umgangen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass laut Entwurf das Innenministerium das Trennungsgebot zwischen Geheimdiensten und Polizei deutlich aufweichen will, sodass die Strafverfolgung von Medienschaffenden erleichtert würde. 

 

„Mit den Plänen schießt das Innenministerium deutlich über das Ziel hinaus: Mit der Abschaffung des Redaktionsgeheimnisses würden Medienschaffende und ihre Quellen die Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verlieren“, sagt ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Immer wieder werden Fälle bekannt, dass deutsche Geheimdienste journalistische Arbeit in Deutschland und anderen Ländern illegitim bespitzelt haben. „Als Reaktion auf diese Überwachungsskandale müsste die Politik die Rechte von Journalistinnen und Journalisten eigentlich stärken. Stattdessen sollen diese Rechte nun digital ausgehöhlt werden – und das ohne Angabe von Gründen. Bundesinnenminister Horst Seehofer muss die Pläne seines Ministeriums unverzüglich stoppen.“ Jüngsten Medienberichten zufolge sind die Pläne aber innerhalb der Großen Koalition hoch umstritten und werden derzeit vom SPD-geführten Bundesjustizministerium blockiert. 

 

Abfrage von Daten über Recherchereisen 

Die Online-Durchsuchung ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Der Referentenentwurf listet eine Reihe weiterer Maßnahmen auf, mit denen Geheimdienste journalistische Arbeit bespitzeln dürften: So sollen sie verschlüsselte Kommunikation zwischen Medienschaffenden und Quellen überwachen dürfen und Buchungsdaten von Recherchereisen mittels Bahn oder Mietwagen abfragen können. 

 

Hinzu kommt, dass das historische Trennungsgebot zwischen Strafverfolgung und Geheimdiensten aufgeweicht werden soll, indem zum Beispiel Polizeien und die Inlandsgeheimdienste dauerhaft gemeinsame Datenbanken aufbauen können. Damit können Strafverfolgerinnen und Strafverfolger Informationen über Medienschaffende erhalten, die eigentlich nur Geheimdienste verwerten dürfen – und umgekehrt. Dieser Informationsaustausch soll auch internationalisiert werden: Deutsche Geheimdienste sollen Daten über Medienschaffende in internationale Datenbanken einpflegen können, woran dann wiederum ausländische Geheimdienste teilnehmen. Damit könnten ausländische Staaten zum Beispiel an Daten über im deutschen Exil arbeitende Journalistinnen und Journalisten gelangen.

 

Die Ausweitung der Befugnisse ist umso erstaunlicher, weil es in den vergangenen Jahren eine Reihe von Überwachungsskandalen gegeben hat. So wurde Journalistinnen und Journalisten auf dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 die Akkreditierung entzogen, weil in Datenbanken falsche Daten über sie gespeichert waren und die Inlandsgeheimdienste falsche Sicherheitseinschätzungen abgaben. Eine Prüfung des baden-württembergischen Datenschutzbeauftragten stellte systematische Mängel fest und sah gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Hierzu finden sich im Referentenentwurf jedoch überhaupt keine Verbesserungen. 

 

Auch die Auskunftspflichten der Geheimdienste sollen nicht verstärkt werden: In einer Vielzahl von Fällen müssen sie nicht preisgeben, ob sie Medienschaffende überwachen oder nicht. Fälle wie der der Hamburger Journalistin Marily Stroux, die jahrzehntelang vom Hamburger Verfassungsschutz beschattet wurde und nie das gesamte Ausmaß der Überwachung erfuhr, bleiben damit möglich. Reporter ohne Grenzen fordert, dass Medienschaffende verstärkte Informationsbefugnisse gegenüber Geheimdiensten erhalten, weil sie einerseits rasch ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden gelangen, eine Beschattung sich andererseits aber besonders negativ auf das eigene Verhalten und das Vertrauensverhältnis mit Quellen auswirkt.