Pressefreiheit
dpa - Deutsche Presseagentur GmbH

"Nicht allein und nicht vergessen" − U-Haft für Deniz Yücel

Präsident Erdogan meinte Ende 2014, nirgendwo auf der Welt seien die Medien freier als in seinem Land. Inzwischen sitzen nirgendwo auf der Welt mehr Journalisten im Gefängnis als in Erdogans Türkei. Erstmals muss nun ein deutscher Korrespondent in Untersuchungshaft.

Istanbul (dpa) - Vier Tage dürfen Verdächtige in der Türkei in Polizeigewahrsam gesperrt werden − normalerweise. Doch normal sind die Zeiten in der Türkei schon lange nicht mehr; seit vergangenem Juli herrscht der Ausnahmezustand. Derzeit liegt die maximale Dauer des Polizeigewahrsams bei 14 Tagen − und im Fall von Deniz Yücel haben die Behörden die Frist fast voll ausgereizt. Bis zuletzt hofften Angehörige, Freunde und Kollegen, dass der „Welt“-Korrespondent freigelassen wird. Doch am 13. Tag machten ihnen der Staatsanwalt und der Haftrichter einen Strich durch die Rechnung.

 

Auf Antrag des Staatsanwalts erließ der Richter in Istanbul am Montagabend Untersuchungshaft gegen Yücel, der die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Ihm würden „Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung“ vorgeworfen, berichtete die „Welt“. Unter Terrorverdacht sitzen Dutzende türkische Journalisten in U-Haft. Wie fragwürdig die Vorwürfe sind, zeigt nicht zuletzt der Fall Yücel − dessen Artikel nach deutschen Maßstäben mit Terrorpropaganda nichts zu tun haben.

 

Der Journalist aus dem hessischen Flörsheim ist der erste deutsche Korrespondent, der in der Türkei in U-Haft gesperrt wird, seit Recep Tayyip Erdogan die Geschicke des Landes lenkt. Noch vor wenigen Monaten − also vor dem Putschversuch und dem von Präsident Erdogan ausgerufenen Ausnahmezustand − wäre das wohl undenkbar gewesen. Erdogan selbst war es, der Ende 2014 verkündete: „Die Medien sind nirgendwo auf der Welt freier als in der Türkei.“

 

Diese Aussage war schon damals umstritten. Heute liegt die Türkei auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 151, zwischen Tadschikistan und der Demokratischen Republik Kongo. Die Liste stammt noch aus der Zeit vor dem Ausnahmezustand, unter dem die erzwungene Schließungen kritischer Medien und die Verhaftungen von Journalisten noch einmal zugenommen haben.

Nirgendwo auf der Welt sind inzwischen mehr Journalisten eingesperrt als in der Türkei. Ein weiterer Absturz auf der Rangliste dürfte garantiert sein, auch wenn bei 180 aufgelisteten Staaten nicht mehr sehr viel Luft nach unten ist.

 

Dass Deniz Yücel nun in Untersuchungshaft muss, dürfte das angespannte deutsch-türkische Verhältnis nun noch weiter belasten. Zwar verweist die AKP-Regierung immer wieder auf die Gewaltenteilung, doch an der Unabhängigkeit der Justiz äußern Kritiker ähnliche Zweifel wie an der Freiheit der Medien in der Türkei.

 

Bemerkenswert ist, dass Yücels Festnahme in der Regierungspresse − die ihn in der Vergangenheit etwa als „Türkei-Gegner“ beschimpfte − in den vergangenen 13 Tagen keine Rolle spielte. Regierungsnahe Medien, von denen manche unter einer Abbildung von Kanzlerin Angela Merkel mit Hakenkreuz kritischen Journalismus verstehen, starteten keine Hetzkampagne − weder gegen Yücel im Besonderen noch gegen deutsche Medien oder die Bundesrepublik im Allgemeinen.

 

Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu vermeldete Yücels Namen nicht ein einziges Mal. Dass die in behördlichen Angelegenheiten gut informierte Agentur seine Festnahme verschlafen hat, ist kaum anzunehmen. Nicht nur das Schweigen im AKP-Blätterwald spricht dafür, dass die Regierung in Ankara den Fall Yücel nicht ganz so hoch hängen möchte. Womöglich will sie ihn nicht zu einer noch größeren Belastungsprobe machen, als er es schon ist. Zudem neuer Streit programmiert ist, sollte Erdogan in Deutschland Wahlkampf machen.

 

Auch Erdogan hielt sich in den vergangenen Wochen mit Kritik an Deutschland zurück, an der er sonst nicht immer spart. Der „Spiegel“ meldete am Wochenende, Ankara setze auf Deutschland, um den wirtschaftlichen Niedergang der Türkei zu bremsen. Vize-Ministerpräsident Mehmet Simsek sei dafür bei Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vorstellig geworden. 

 

Untersuchungshäftlinge können in der Türkei fünf Jahre lang eingesperrt werden, bis ihnen der Prozess gemacht wird oder sie freigelassen werden müssen. Für Yücels Angehörige, Freunde und Kollegen und vor allem ihn selber ist die U-Haft ein weiterer Schlag nach der Festnahme. Seinen Mut hat sich Yücel bislang dennoch bewahrt. In der „Welt am Sonntag“ berichtete er − übermittelt durch seine Anwälte -, wie wichtig die Solidarität für ihn sei, die er von draußen erfahre. „So unglaublich gut zu wissen, dass ich hier nicht allein bin und vergessen werde“, berichtete er. „Danke.“