Aus dem "Wirtschaftsjournalist": Gekommen, um zu bleiben
Nach der Bestätigung, dass Jörg Quoos den "Focus" verlässt, lohnt sich der Blick ins "Wirtschaftsjournalist"-Archiv.
München - In der Ausgabe 2/2014 hat sich Newsroom.de-Chefredakteur Bülend Ürük mit der Situation beim "Focus" beschäftigt. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir den Text vom Frühjahr 2014.
Seit eineinhalb Jahren ist Jörg Quoos der Chef bei "Focus". Der Neue müht sich, aber die Probleme werden nicht kleiner. Die Verkaufszahlen sinken, intern ist sein Kurs umstritten und die Wirtschaft hält das Magazin für irrelevant. Sieben Fragen, sieben Antworten.
1. Warum brachte "Focus" den Alice-Schwarzer-Scoop nicht?
Anfang Februar sorgte der „Focus“-Chef höchstpersönlich für ein Erdbeben in der Arabellastraße 23. „Wer hat dem ,Spiegel‘ unsere Story gesteckt?“, poltert Chefredakteur Jörg Quoos in einer Konferenz mit Führungskräften. Ein Beobachter schildert, solch einen Wutausbruch des Chefs habe man zuvor seit dessen Dienstantritt im Januar vergangenen Jahres noch nicht erlebt. Und Quoos beruhigt sich nur langsam.
Der Grund für den Zorn des ehemaligen „Bild“-Mannes: Am Tag zuvor hatte „Der Spiegel“ eine kleine Meldung von nur 54 Zeilen veröffentlicht, die den Titel trug: „Schwarzers Steuergeheimnis“. In dem Bericht meldete der Konkurrent, dass die Publizistin Alice Schwarzer über „viele Jahre eine erhebliche Summe in der Schweiz gebunkert und die dort angefallenen Zinsen nicht, wie vorgeschrieben, dem deutschen Fiskus zur Besteuerung angegeben hatte“.
Dumm für den „Focus“, der die Geschichte laut Redaktionsquellen bereits in Gänze ausrecherchiert hatte – inklusive üppigen Belegdokumenten. Die kurze Nachricht im „Spiegel“ dagegen ließ den Schluss zu, dass die Hamburger Konkurrenz noch nicht so weit war. Eine „Meldung vom Hörensagen“ sei das wohl gewesen, urteilte einer in München. Egal, der Scoop des „Focus“ war im Eimer.
Als Grund dafür liefert der Flurfunk des „Focus“ unterschiedliche Versionen. Eine kreidet Quoos an, er habe die Geschichte immer wieder aufgeschoben. Möglicher- weise habe sich ein ungeduldiger Informant darauf erst dem „Spiegel“ zugewandt. „Die Chefredaktion hat sich die Story ausreden lassen“, behauptet gar ein anderer Journalist aus dem Haus. So habe ein Mitglied der Chefredaktion bei einem Medienrechtler in Berlin angerufen und ihn gefragt, wie er die Geschichte einschätze. Der Jurist habe der „Focus“-Spitze die Story dann mit dem Hinweis ausgeredet, dass Persönlichkeitsrechte von Alice Schwarzer bei der Veröffentlichung massiv verletzt werden würden.
„Warum sollte er sich ausgerechnet so eine Geschichte von einem Juristen ausreden lassen?“, sagt dagegen ein langjähriger Wegbegleiter. Tatsächlich verantwortete Jörg Quoos bei „Bild“ Geschichten mit deutlich mehr Sprengkraft. „Uns fehlten noch Belege“, erklärt einer aus dem erweiterten Führungszirkel.
Offiziell will sich zum Fall Alice Schwarzer beim „Focus“ niemand äußern, gerne wird aber informell die Gegenfrage gestellt, warum der „Focus“ ausgerechnet Alice Schwarzer schützen solle, wenn er selbst Bayern-München-Boss Uli Hoeneß zu Fall gebracht habe – und diese Nachricht habe schließlich „Focus“-Chef Jörg Quoos persönlich an Land gezogen, was ihm die Redaktion hoch anrechnet. Wenn auch mancher intern die Story gerne größer gefahren hätte. Quoos selbst mochte zu den Fragen des „Wirtschaftsjournalisten“ keine Stellung nehmen.
2. Wie findet die "Focus"-Redaktion ihren Boss?
Bei „Bild“ geraten Gesprächspartner schnell ins Schwärmen, wenn die Rede auf Jörg Quoos kommt. Und das gilt bei Springers Boulevardblatt nur für ganz wenige Führungskräfte. „Seine Tür ist immer offen. Er kann gut zuhören, hat Ideen, leitet uns an. Ein menschlicher Vorgesetzter, der sich Zeit nimmt für seine Leute“, heißt es bei Exkollegen. Bei Quoos’ Abschiedsfete wurde es emotional, inklusive herzerweichender Abschiedszeitung im „Focus“-Stil, sogar Verlegerin Friede Springer gab sich am Abend die Ehre.
Beim „Focus“ dagegen gibt es auch eineinhalb Jahre nach dem Start noch zwei Lager. Die Kritiker, die viele Entscheidungen für falsch halten, und die Modernisierer, die für den Umbruch aktiv werben. „Machen wir uns nichts vor, teilweise war es doch so, dass manche Redakteure am Mittwoch immer noch an ihren 30 Zeilen für die nächste Ausgabe saßen“, sagt ein Freund der Veränderung.
Angesichts der sinkenden Verkaufszahlen muss Quoos auch von den Etablierten mehr fordern. Dabei hat er es noch nicht geschafft, die Redaktion hinter sich zu sam- meln. Viele Redakteure fühlen sich nicht mitgenommen. „Seine Tür ist zu“, sagt ein Gesprächspartner, der die Chefredaktion als „Fremdkörper“ und gar „Blase“ außerhalb der Redaktion betrachtet. Schon im Vorfeld hat es in der Redaktion eine Anti-Stimmung gegen Quoos gegeben, weil er das Handwerk bei „Bild“ lernte.
Fachliche Vorwürfe sind eher selten. Einer lautet aber, die Chefredaktion richte den Titel zu stark nach der Marktforschung aus und höre zu wenig aufs journalistische Bauchgefühl. Tatsächlich lässt „Focus“ geplante Titel inzwischen testen, was aber im Gewerbe durchaus üblich ist.
Schwerer wiegt, dass mehrere Leistungsträger, die das Blatt teilweise seit Jahren geprägt haben, den Titel aus eigenem Antrieb verlassen haben: Michael Miersch, der langjährige Ressortleiter Wissen, geht Ende August. Stefan Ruzas, stellvertretender Ressortleiter Kultur, macht den Umzug nach Berlin nicht mit – stattdessen will der Buchautor („Höchste Paarungszeit – Erotisches für Eltern im Alltagschaos“) gemeinsam mit seiner Ehefrau Paartherapie anbieten. Als erfahrene Medizinjournalistin hat Ulrike Bartholomäus an fast allen relevanten Medizintitelgeschichten beim „Focus“ mitgeschrieben. Sie scheidet im Sommer aus und wird ein Buch schreiben.
3. Was soll der Umzug nach Berlin?
Verleger Hubert Burda scheint klar, dass das Magazin von dem teilweisen Umzug nach Berlin profitieren kann, wenn die Ressorts Politik und Kultur in die Hauptstadt umgesiedelt werden. Dafür handelten sich der Verleger und sein Chef den Zorn einer Belegschaft ein, die ihnen in den Jahren zuvor wohl noch in Nibelungentreue gefolgt wäre.
Einen Komplett-Umzug aller Ressorts wird es nicht geben, auch wenn Magazinkenner wie Stefan Aust durchaus offen die Frage stellen, warum der „Focus“ nicht mit allen Einheiten an die Spree kommt. Doch die Entscheidung für den teilweisen Umzug steht. München gilt immerhin im Sport oder in der Wirtschaft als wesentlich spannender als Berlin: Der FC Bayern sticht Hertha BSC aus und etliche DAX-Unternehmen in München schlagen die kränkelnde Berliner Wirtschaft.
Dafür soll das Politikressort künftig auch von den engen Berliner Kontakten des Chefs und seiner Präsenz in Berlin profitieren. Hintergrundgespräche, persönliche Ansprache von Politikern, Redaktionsbesuche von Entscheidern – der „Focus“ will künftig darauf setzen, als einziges bedeutendes Wochenmagazin seine komplette Politikberichterstattung in Berlin zu erledigen. Aber auch in München will Quoos laut Redaktionskreisen präsent bleiben, um Gespräche mit den eigenen Journalisten zu führen, aber auch, um über die Entwicklungen der Zeitschrift mit der Verlagsseite zu sprechen.
Enttäuschte „Focus“-Redakteure werfen Jörg Quoos gar vor, dass er aus rein persönlichen Gründen den Umzug forciert, was die Entfremdung zwischen Teilen der Redaktion und Quoos zeigt. Denn wer mag ernsthaft glauben, dass ein Medien-Profi zwei Ressorts aus persönlichen Gründen zwangsumsiedelt? „Quoos hat eine Vision, am Ende will er das beste Blatt mit den Möglichkeiten machen, die ihm zur Verfügung stehen“, sagt ein alter „Bild“-Begleiter.
Ein Blick in seine Biografie zeigt zudem, dass Quoos Profi genug war, um für den Beruf auch seinen Wohnort zu wechseln. Von Heidelberg kam er nach Berlin, ging dann nach Hamburg, kehrte dann zurück nach Berlin, bevor er nach München wechselte.
Außerdem scheint Quoos durchaus in München angekommen zu sein. Er lebt in einem schillernden Viertel von München gemeinsam mit zwei weiteren Journalisten, die ihm von „Bild“ zu „Focus“ gefolgt sind.
In dieser „Focus“-WG wird gelegentlich auch nach Feierabend bei einem Glas Rot- wein diskutiert, und über die Blattlinie gesprochen, ist zu hören.
Auf Feten in dieser Journalisten-WG sind aber schon langjährige „Focus“-Mitarbeiter gesichtet worden, und es hat dort auch erste Gespräche mit Journalisten gegeben, von denen einige in den nächsten Monaten eine neue Stelle beim „Focus“ antreten werden.
4. Wie gut ist eigentlich die Wirtschaftsredaktion?
Wer in diesen Tagen mit Pressesprechern telefoniert, erfährt schnell: Relevanz in der Wirtschaftsberichterstattung wird dem „Focus“ nicht mehr zugetraut. Zumindest aktuell: „Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass der ,Focus‘ immer mal wieder mit eigenen Geschichten die Nachrichtenlage dominiert. Das reicht aber noch nicht aus, um ihm wieder die Relevanz zu verleihen, die der ,Focus‘ noch unter Helmut Markwort hatte“, heißt es aus einer Pressestelle eines DAX-Unternehmens.
Dies deckt sich mit den Ergebnissen einer Befragung dieses Magazins vom vergangenen Sommer, an der 208 PR-Verantwortliche teilnahmen. Unter 50 abgefragten Wirtschaftsredaktionen belegte der „Focus“ im Qualitätsranking nur Rang 44, hinter „Markt und Mittelstand“ und der „Sächsischen Zeitung“. Gerade einmal 20,6 Prozent der Kommunikatoren gaben den „Focus“ als Pflichtlektüre an. Zum Vergleich: „FAZ“, „Handelsblatt“ und der Konkurrent „Spiegel“ werden von mehr als 70 Prozent der Kommunikatoren als Must-read angesehen.
Trauen Top-Kommunikatoren Quoos die Wende zu? Ja, heißt es da. Wenn er sich ganz auf das Blatt konzentriere, es modernisiere, neue, gute, frische Leute in sein Team holt. Schließlich: Was waren das für Zeiten, als beispielsweise die Volkswagen-Affäre vom „Focus“ aufgedeckt wurde? Heute fehlt gerade bei den Automobil-Geschichten die Relevanz, kritisiert einer aus der Branche.
Grundsätzlich spielt die Redaktion Wirtschaft, die vom erfahrenen „Focus“-Mann Uli Dönch geleitet wird, für den Titel eine wichtigere Rolle, als es nach außen scheint. „Focus Spezial“, ein unregelmäßig erscheinender Sondertitel, wird fast immer von der Wirtschaftsredaktion verantwortet. Auch Geschichten wie der „Immobilien-Atlas“, „Deutschlands Top-Steuerberater“ bis hin zu den besten Arbeitgebern Deutschlands tragen alle die deutliche Handschrift des Wirtschaftsressorts. „Die Wirtschaftsredaktion hat so viel mit Standards und Spezials zu tun, da bleibt kaum noch Zeit für investigative Arbeit“, bedauert ein Redaktionsmitglied. Zudem habe die Wirtschaftsredaktion „journalistische Schwergewichte“, die in andere Ressorts gewechselt seien oder den „Focus“ verlassen hätten, nicht adäquat ersetzen können: „Die falsche Personalpolitik macht sich bemerkbar.“ So sei Tanja Treser aus der Wirtschaftsredaktion heraus in das Investigativ-Ressort gewechselt. Treser wird im Sommer Chefreporterin bei der „Bild am Sonntag“.
Im Verlag heißt es deutlich, dass der „Focus“ auch allein noch schwarze Zahlen schreibt. Genaue Belege: Fehlanzeige. Klar ist es aber, dass die schwindende Auflage im Moment Sorgen bereitet. So ist im Jahresvergleich die verkaufte Auflage um 6,4 Prozent auf 497.456 Exemplare zurückgegangen, beim Abo beträgt der Rückgang sogar 9,2 Prozent. In der Vermarktung hält sich das Magazin dagegen stabil. Bei der Nielsen-Anzeigenstatistik 2014 liegt „Focus“ mit einem Brutto-Umsatz von 20,10 Millionen Euro auf Rang 5, ein Minus von 4,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zum Vergleich: Konkurrent „Spiegel“, auf Rang 2 bei den Publikumszeitschriften, verlor im selben Zeitraum 13,1 Prozent des Brutto-Umsatzes.
Die Erfolgsgeschichten im Haus liefern derzeit aber andere. So ist derzeit Online-Chef Daniel Steil der Mann der Stunde, der auch den Verleger Hubert Burda verzückt. Mit einer deutlich kleineren Mannschaft als der „Spiegel“ macht sich Steil daran, mit dem großen Konkurrenten im Netz gleichzuziehen.
6. Wen musste Jörg Quoos für seinen Job ausstechen?
Wer ist im Moment in aller Munde, formt von Düsseldorf aus als Junior-Verleger ein Medienhaus ganz nach seinem Gusto und setzt Maßstäbe für alle Online-Medien? Gabor Steingart. Der galt bei Hubert Burda lange als erste Wahl, nachdem Wolfram Weimer 2011 das Haus verlassen hatte.
Doch Hubert Burda hielt sich diesmal offenbar mit seinem Vorschlagsrecht zu- rück. Aber dieser Steingart, der auch in Helmut Markwort einen wichtigen Für- sprecher fand, der gefiel Hubert Burda gut. Dass der Verleger die Arbeit von Gabor Steingart aber weiterhin schätzt, bewies er noch einmal in aller Öffentlichkeit Anfang Januar auf dem DLD-Kongress. Hubert Burda sagte, dass im Netz das Maß aller Dinge unter den deutschen Medienmarken das „Handelsblatt“ sei. Burda hob die Mischung aus Abonnement, Bezahlinhalten im Web und Apps hervor.
Beim „Focus“ schrillten alle Alarmglocken, dass ausgerechnet ihr Verleger die Düsseldorfer Tageszeitung und den erfahrenen Magazin-Mann Steingart so in den Mittelpunkt stellte.
Inzwischen heißt es aber aus dem Umfeld von Hubert Burda, dass er die Linie von Jörg Quoos beim „Focus“ vollständig unterstützt. Gnädig gestimmt haben sollen ihn vor allem Scoops wie die Gurlitt-Berichte.
7. Schafft Quoos die Wende?
Nach einem schwierigen ersten Jahr zeigt sich beim Nachrichtenmagazin „Focus“, dass Chefredakteur Jörg Quoos den Aufgaben bei Burdas Flaggschiff gewachsen ist. Der ehemals zweite Mann bei Springers „Bild“ hat keine Scheu vor unpopulären Aufgaben, wenn er ihre Notwendigkeit erkennt. Angekommen ist er aber noch nicht, dafür ist noch eine zu starke Opposition spürbar. Ein langjähriger Redakteur des Hauses verleitet sich sogar zu der Aussage: „Jörg Quoos stiehlt ,Focus‘ die Seele.“
Dabei muss Quoos dem Magazin neues Leben einhauchen, Strukturen aufbrechen und Arbeitsabläufe verändern. „Er erledigt jetzt die Hausaufgaben, die in den letzten Jahren liegengeblieben sind“, sagt ein Befürworter von Quoos’ Wirken. „Ein Lieblingssatz meiner Kollegen lautet ja: Das haben wir doch immer so gemacht. Das hat doch immer geklappt. Dass die Zeiten sich aber geändert haben, wollen sie leider nicht erkennen.“
Dem Vernehmen nach sucht Quoos gerade einen starken Statthalter in München, wenn er in Berlin ist. Möglichst einen mit Wirtschaftskompetenz. Kein einfacher Job.