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Energieriese gegen WDR-Journalist

Energieriese gegen WDR-Journalist RWE-Sprecher Lothar Lambertz.

Warum RWE-Pressechef Lothar Lambertz komplette Recherche-Anfragen von Medien veröffentlicht.

Düsseldorf - Wenn WDR-Journalist Jürgen Döschner anfragt, steigt bei Pressesprechern der Puls. Döschner ist Investigativreporter und seit Jahren auf Umwelt-Themen spezialisiert: Müll-Verklappung, Kraftwerke, Grenzwerte. Über seinem Twitter-Profil prangt ein kämpferisches Zitat von George Orwell: „Journalism is printing what someone else does not want printed: everything else is public relations.“


Im Februar 2019 steigt der Puls bei RWE. Das Thema der Döschner-Anfrage: Abfallverbrennung in Kohlekraftwerken. Konzernsprecher Olaf Winter antwortet Döschner, spricht etwas hübscher von „thermischer Mitverwertung“. Der WDR berichtet drei Tage später über die „problematische Abfallverbrennung“. Und dann passiert etwas Ungewöhnliches: Die RWE-Kommunikation twittert einen Screenshot ihrer E-Mail an Döschner – und schreibt dazu: „Unsere 1:1-Antwort offen und transparent“. Der Zungenschlag ist klar: Der WDR übertreibt und wir haben es denen auch so gesagt.
 
Dass PR-Profis Presseanfragen veröffentlichen, ist nicht alltäglich. Aber in Zeiten von Social Media, Firmen-Blogs und Social Intranets so einfach wie nie. Lothar Lambertz behält es sich vor, immer wieder Presseanfragen zu veröffentlichen – nicht nur weil Investigativjournalist Döschner der natürliche Gegenspieler des RWE-Pressechefs ist. „Social Media ermöglicht es uns, unsere Sicht schnell und direkt darzulegen“, sagt Lambertz. Ihn ärgert es, dass große Teile seiner Antworten in journalistischen Berichten nicht auftauchen: „Oft bekommen wir einen recht opulenten Fragenkatalog und beantworten natürlich umfassend. Davon erscheint aber manchmal nur ein kleiner Teil, sodass der Gesamtzusammenhang nur schwer erkenntlich ist.“
 
Auf die Veröffentlichung der E-Mail folgte zwar ein Protest Döschners, aber nicht mehr. Der Journalist sagt auf Nachfrage: „Das war nicht die feine Art, aber auch nicht justiziabel.“ Er wehrt sich nicht, wundert sich aber. Denn „offen und transparent“, wie RWE mit dem Veröffentlichen der E-Mail erscheinen wolle, reagiere der Konzern sonst nicht. „Unternehmen wie RWE und BP lehnen immer wieder Interviewanfragen des WDR für Radio und Fernsehen ab“, klagt er. „Auf der anderen Seite hat es mit Transparenz nichts zu tun, meinen Fragenkatalog und die Antworten des Unternehmens dazu im Wortlaut zu veröffentlichen. Das ist lediglich eine Fortsetzung von PR mit anderen Mitteln.“
 
Döschner widerspricht auch Lambertz’ Verkürzungs-Vorwurf: Eine umfassende und kompliziert formulierte schriftliche Antwort habe keinen Platz in einem zwei bis drei Minuten langen Beitrag. „Wir garantieren allerdings immer dafür, dass sich der Kern der Erwiderung in der Berichterstattung wiederfindet. Darauf achtet nicht nur die Redaktion, sondern im Zweifelsfall auch unser Justitiariat.“
 
RWE kapert Presseanfragen zwar nicht regelmäßig, aber im März folgte ein zweiter Fall. (...)
 
Tipp: Diesen und drei weitere Fälle (RWE gegen „taz“, Coca-Cola gegen „Süddeutsche Zeitung“ und RTL gegen „Bild“) beschreibt die aktuelle Ausgabe des „PR Reports“. Dabei gehen das Magazin auch der Frage nach, was Unternehmen das Veröffentlichen ganzer Presseanfragen vor Veröffentlichung einer Berichterstattung bringt und ob dieses Vorgehen juristisch überhaupt zulässig ist.