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dpa

Medienexperte: Angst vor der Filterblase ist übertrieben

Kaum jemand informiert sich nur über soziale Netzwerke. Das Vertrauen in klassische Medien ist nach Einschätzung von Sascha Hölig deutlich größer. Manches Risiko beim Umgang mit Facebook & Co. hält der Medienexperte für viel kleiner, als viele es wahrnehmen.

Hamburg/Berlin (dpa) − Nachrichten lassen sich zwar auch in den sozialen Medien verfolgen. Aber in Deutschland bleiben Zeitungen und Rundfunk dafür ungleich wichtiger. Ausschließlich bei Facebook & Co. informiere sich nur eine kleine Minderheit, sagte Sascha Hölig vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung in Hamburg der Deutschen Presse-Agentur. Sein Institut veröffentlicht in Deutschland jedes Jahr die aktuellen Daten zur Mediennutzung aus dem „Reuters Institute Digital News Report“. Die Angst, viele Menschen könnten bald in einer Filterblase stecken und über soziale Medien nur noch sehr einseitig informiert werden, hält Hölig daher für übertrieben. 

 

Wenn von Fake News die Rede ist, wird immer darauf hingewiesen, wie schnell sie sich über soziale Medien verbreiten. Aber welche Rolle spielen Facebook & Co. überhaupt für die Nachrichtennutzung in Deutschland?
Sie werden wichtiger. Etwa ein Drittel der Befragten hat 2016 Nachrichten über soziale Medien wahrgenommen, und das ist vor allem Facebook. Man muss das allerdings relativieren: Wenn man soziale Medien nutzt, bekommt man auch etwas von Nachrichten mit. Aber man nutzt soziale Medien nicht, um sich über Nachrichten zu informieren. Man nutzt soziale Medien, um sich mit seinen Kontakten auszutauschen, um Urlaubsbilder anzuschauen. Wir sehen, dass viele Befragte, soziale Medien als Nachrichtenquelle mitangeben, aber nur wenige nennen soziale Medien als wichtigste oder sogar als einzige Nachrichtenquelle.

 

Wird das Risiko überschätzt, viele Menschen könnten sich in einer Filterblase befinden und nur noch Nachrichten über soziale Medien konsumieren?
Die Zahl derjenigen, die soziale Medien für Nachrichten nutzen, nimmt zu. Das hat auch mit den Strategien der Anbieter zu tun, man versucht ja schon, etwa auf Facebook vertreten zu sein. Und auch der Anteil derjenigen, die sagen, es sei für sie die wichtigste Nachrichtenquelle, ist gestiegen. Aber wir bewegen uns hier noch im einstelligen Prozentbereich. Man sollte das nicht überschätzen, das sind nicht unbedingt die Menschen, die an Nachrichten oder politischen Themen interessiert sind. Die Angst vor der Filterbubble halte ich deshalb für übertrieben. Auch wenn die Algorithmen in Facebook nur ein bestimmtes Spektrum abdecken, bekommt man in der Regel durch andere Quellen noch andere Nachrichten mit. Diejenigen, die sich nur in sozialen Medien bewegen, machen nur einen klitzekleinen Teil der Bevölkerung aus. Ich halte es für einen Vorwand, dass man Wahlergebnisse auf Fake News oder die Filterbubble schiebt. Es gibt auch keinen empirischen Nachweis dafür.

 

Wie schätzen die Nutzer die Glaubwürdigkeit von sozialen Medien im Vergleich zu Zeitungen, Fernsehen und Radio ein?
Da zeigen alle Studien ähnliche Ergebnisse: Dass das Vertrauen in Zeitungen und in Fernsehnachrichten immer noch am höchsten ist im Vergleich zu sozialen Medien. Man sollte die Bevölkerung in dieser Hinsicht auch nicht unterschätzen. Es ist mit den sozialen Medien wie mit dem Stammtisch, an dem man sich über Gerüchte und Neuigkeiten austauscht. Wie weit dem Glauben geschenkt wird, ist eine andere Frage. Das Vertrauen in die traditionellen Medien ist durchaus gegeben. Und traditionelle Medienmarken haben auch im Internet immer noch eine höhere Glaubwürdigkeit als Online-only-Angebote oder Blogs.

 

Welche Rolle spielt das Smartphone inzwischen für die Nachrichtennutzung, nicht nur bei den Jüngeren?
Die Verbreitung nimmt zu und auch die Nutzung für Nachrichten. In den jüngeren Altersgruppen bis Mitte 30 ist es das wichtigste Gerät für Online-Nachrichten. Die Zahlen steigen aber in allen Altersgruppen.

 

In den vergangenen Monaten ist oft kritisch über Medien diskutiert worden, Stichwort Lügenpresse. Das, was Sie beschreiben, klingt insgesamt viel positiver.
Ich bin da tatsächlich positiver gestimmt. Ich denke, dass die Berichterstattung über Lügenpresse, über Zweifel an den Medien, ein zu großes Gewicht bekommt. Alle Befragungen dazu zeigen kein so düsteres Bild. Ich will das nicht schönreden. Aber es nicht ganz so negativ, wie es oft dargestellt wird. Das Problem ist, dass einige Leute, die ihre Meinung im Internet kundtun, dabei sehr, sehr laut sind und dann auch wieder Aufmerksamkeit durch die traditionellen Massenmedien bekommen, obwohl ihr Anteil insgesamt sehr gering ist. Der Anteil derjenigen, die im Internet auf Seiten wie von „Spiegel Online“ oder in sozialen Medien Nachrichten weiterleitet, liked oder kommentiert, ist gering. Es ist für Journalisten natürlich sehr bequem, auf solche Kommentare zuzugreifen, man muss dafür nicht mal rausgehen. Aber das sind nur ein, zwei Prozent der Bevölkerung, die sich zum Beispiel auf Twitter äußern. Wenn man deren Stimme verkauft als „So reagiert das Netz auf...“, ist das in meinen Augen eine sehr gefährliche Entwicklung. Weil es immer vor allem die extremen Stimmen sind, die im Internet zu hören sind.

 

Es heißt, Donald Trump habe soziale Medien wie Twitter im Wahlkampf virtuos genutzt. Wie sehen Sie deren Bedeutung für die Kommunikation politischer Nachrichten in Deutschland?
In dieser Hinsicht kann man die USA und Deutschland überhaupt nicht vergleichen, weil die USA ein völlig anderes Mediensystem haben und auch nicht so starke öffentlich-rechtliche Angebote. Schon deshalb spielen das Internet und soziale Netzwerke dort eine viel größere Rolle. Man sollte soziale Medien in Deutschland nicht überschätzen, auch nicht aus Sicht der Nachrichtenanbieter. Wenn man sieht, welche Artikel besonders oft geliked und geteilt werden, sind das fast immer Berichte, die emotionalisieren oder skandalisieren. Und oft haben die Schlagzeilen auch wenig mit dem Inhalt des Artikels zu tun. Das fällt dann wieder zurück auf das Image und die Glaubwürdigkeit der Medien.

 

ZUR PERSON: Sascha Hölig, geboren 1976, studierte Kommunikationswissenschaft, Soziologie und Philosophie an der Universität Jena und der Universität Tampere (Finnland). Von 2007 bis 2011 war er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Empirische Kommunikationswissenschaft des Instituts für Medien und Kommunikation der Uni Hamburg. Nach der Promotion wechselte er ans Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienkultur (IfKM) der Universität Lüneburg. Seit 2013 ist er Senior Researcher am Hans-Bredow-Institut.