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Tabubruch ist im TV Taktik - RTL widerspricht

Die Studie "Skandalisierung im Fernsehen", die 418 Fernsehformate auf 29 Kanälen zwischen den Jahren 2000 und 2009 untersuchte, wurde am Mittwoch veröffentlicht.

Berlin/Düsseldorf (dpa) - Grenzüberschreitungen und die Verletzung gesellschaftlicher Tabus werden im Fernsehen als bewusste Strategien eingesetzt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Landesanstalt für Medien (LfM) in Düsseldorf. Die Studie "Skandalisierung im Fernsehen", die 418 Fernsehformate auf 29 Kanälen zwischen den Jahren 2000 und 2009 untersuchte, wurde am Mittwoch veröffentlicht. Der Privatsender RTL stellte die Studie und ihre Methodik infrage.

   Von einer generellen Steigerung der Skandalisierung im Reality TV kann laut LfM zwar nicht gesprochen werden, bezogen auf einzelne Sendungen jedoch schon. Dieses Phänomen treffe zum Beispiel auf die Castingshow "Deutschland sucht den Superstar" (DSDS, RTL) zu, in der ein "Anstieg von Provokationen" zu verzeichnen sei, auch beim Coaching-Format "Super Nanny" (RTL) erreichten sie "ein sehr hohes Niveau".

   Auch bei Sendungen wie "Gnadenlos gerecht - Sozialfahnder ermitteln" (Sat.1) oder "U20 - Deutschland, deine Teenies" (ProSieben) würden Provokationen sehr häufig eingesetzt, um Aufmerksamkeit zu erzielen.

"Eine Skandalisierung wird von uns nicht vorrangig angestrebt", erwiderte eine RTL-Sprecherin. "Warum soll in einer Unterhaltungssendung nicht das gezeigt werden, was auch im normalen Leben stattfindet?"

Die Darstellung von Realität und die dramaturgische Aufbereitung gehören laut RTL zum Geschäft, und es gebe Regeln, an die sich der Sender halte. "Wir legen die Castingfolgen von "DSDS" seit zwei Staffeln der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen vor, die sie prüft. Das ist für uns die Arbeitsgrundlage. Alles andere ist eine Geschmacksdiskussion, die nur bedingt sinnstiftend ist."

Ein Muster der Grenzverletzung ist laut LfM auch die Sexualisierung, die bei "Big Brother" (vorwiegend RTL II) verstärkt zum Tragen komme. So sei die 10. Staffel im Jahr 2010 im Vergleich zur ersten Staffel 2000 "deutlich zugespitzt" worden.

   Auch auf einen häufig angewendeten Trick verweisen die Experten in der Untersuchung: Die Behauptung eines Tabubruchs werde bereits im Vorfeld der Ausstrahlung gezielt genutzt, um Medienberichterstattung hervorzurufen und damit wiederum öffentliche Aufmerksamkeit herzustellen.

   "Jugendliche erleben bei den Castingshows eine Art von voyeuristischer Sehlust, insbesondere an verbalen Entgleisungen", sagt die Journalistikprofessorin Margreth Lünenborg, die an der Studie mitwirkte. "Verbale Attacken und Beleidigungen werden von Jugendlichen demnach stärker akzeptiert als von Erwachsenen. Erkennbar ist auch, dass Boulevardzeitungen und Fernsehsender im Wechselspiel Skandale provozieren und darüber berichten, um öffentliche Aufmerksamkeit zu erzeugen."

Die RTL-Sprecherin untermauerte ihre Kritik an der Methodik der Studie damit, dass "es äußerst dehnbar ist, was vom Zuschauer als Provokation empfunden wird und was nicht. Die Studie erweckt fälschlicherweise den Eindruck, als ließe sich Provokation objektivieren." Den Probanden seien einzelne Szenen gezeigt worden, die damit völlig aus dem dramaturgischen Zusammenhang der Sendung genommen worden seien, damit sei eine Einordnung des Gezeigten nicht möglich gewesen.

Die Studie bestand laut LfM aus Fallstudien, Gruppendiskussionen mit Jugendlichen sowie Experteninterviews. Wissenschaftler vom Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin und vom House of Research Berlin analysierten Castingshows, Doku-Soaps, Coaching-Formate und andere Formen des Realitätsfernsehens.