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„Ghosting“ im Medienbusiness – wenn auf Anfragen nur Schweigen folgt

„Ghosting“ im Medienbusiness – wenn auf Anfragen nur Schweigen folgt Attila Albert

Karrierecoach Attila Albert erklärt, warum „Ghosting“ so häufig vorkommt, welche Motive dahinterstehen und wie Profis konstruktiv damit umgehen.

Berlin – Wer sich den Dialog mit jemandem wünscht, sei es beruflich oder privat, erwartet auf seinen Beitrag eine Antwort: dass auf die E-Mail, Chat-Nachricht oder eventuell SMS mit einem Vorschlag oder Angebot reagiert wird, dass man sie nicht nur liest, sondern auch beantwortet. Doch wie jeder aus Erfahrung weiß, bleibt das manchmal aus: keine Antwort, nur Schweigen, auch auf mehrere Rückfragen. Das Phänomen ist altbekannt, selbst wenn der amerikanische Modebegriff „Ghosting“ den Eindruck eines neuen Trends erwecken soll; ebenso wird wie zu allen Zeiten über die Verlotterung des Anstandes und der Sitten geklagt.


Ärgerlich oder verletzend ist es trotzdem, keine Antwort zu erhalten – für Selbständige, Angestellte mit erfolgsorientierter Bezahlung und Stellensuchende sogar existenziell bedrohlich. Dazu gehören: freie Journalisten, die einen ausgearbeiteten Themenvorschlag an eine Redaktion senden, aber nichts wieder dazu von ihr hören; Spezialisten, die Projekte konzipieren und kalkulieren, aber keine Antwort erhalten; Abo- und Anzeigenverkäufer, die ihre Angebote ohne Echo versenden. Ebenso Stellensuchende, auf deren Bewerbung nicht reagiert wird – nach dem unausgesprochenen Motto: „Bei Interesse melden wir uns.“


Gelegentlich wird wirklich eine Nachricht übersehen oder vor dem Beantworten wieder vergessen. Das lässt sich aber normalerweise mit einer Nachfrage aufklären. Wer regelmäßig erlebt, dass andere nicht (mehr) reagieren, sollte sich mehr Gedanken zu möglichen Gründen und Auswegen machen. Dazu einige Anregungen.


Selbstzweifel, Ängste, aber auch Wut
Keine Antwort zu erhalten, ist wegen der fehlenden Rückmeldung belastend: Man fragt sich, ob man etwas falsch gemacht hat oder überhaupt richtig verstanden wurde, bekommt auch keine Chance, sich zu erklären oder den Vorschlag bei Bedarf anzupassen. Je nach Persönlichkeit und konkreter Situation reagieren die Betroffenen unterschiedlich: Manche werden von Selbstzweifeln und Ängsten überwältigt, andere von Wut. Entsprechende Beschwerden bei Kollegen oder auf LinkedIn verschaffen einem zwar Anteilnahme und Trost, aber nicht unbedingt kooperativere Kunden und mehr Aufträge.


Wie also damit umgehen? Das beginnt mit einer realistischen Erwartungshaltung. Bei werblichen Angeboten, um die es sich bei E-Mails zur Akquise (Aufträge, Projekte, Jobs) nun einmal handelt, gibt es kein Recht auf Antwort – umso mehr, wenn man sie unaufgefordert verschickt hat. Wer sich beruflich mit Akquise beschäftigt, geht schon bei seiner Planung von einer Antwortquote um 10 Prozent aus. Es ist also leider normal, dass die Allermeisten nicht reagieren – und das kann vielerlei Gründe haben: kein Interesse an dem Angebot, kein Geld (Budget) für den Kauf, zu sehr mit anderem beschäftigt usw.


Wer Akquise professionell angeht – und das ist insbesondere für Selbständige zwingend –, beschäftigt sich intensiv mit jedem dieser Hindernisse: Hat man jemanden angesprochen, der kaufwillig und -fähig ist? Ist das Angebot leicht verständlich und lässt es sich einfach bestätigen? Ist der Preis klar und angemessen? Statt einer emotionalen Schuldzuweisung an potenzielle Kunden, die Branche oder die allgemeinen Sitten also: eine nüchterne Analyse – und fortlaufende Verbesserung aller Faktoren, die man beeinflussen kann. Beispiel: eine verlinkte Online-Preisliste und ein Link für eine Schnell-Antwort.


Eigenes Angebot und Zielgruppe anpassen
Manchmal führt das zu der Einsicht, dass das eigene Angebot nicht mehr zeitgemäß ist und dringend modernisiert werden muss – oder man sich um eine Zielgruppe bemüht, die immer kleiner und weniger zahlungsfähig wird. Beispiel: freie Mitarbeiter von Regional- und Lokalzeitungen sowie von Publikumszeitschriften, die sich fortlaufend sinkenden Honoraren und weniger möglichen Abnehmern durch die Zusammenlegung von Redaktionen gegenübersehen. Da bringt es einen wenig weiter, sich mit dem Ressortleiter zu streiten, wenn der nun einmal weniger (oder gar kein) Budget vergeben kann.


Gerade ältere Medienprofis, die noch andere Zeiten kennen (höhere Budgets, mehr Mitarbeiter in den Unternehmen, geringere Auslastung), müssen mit ihren bisherigen Praktiken brechen, weil sie sich überholt haben. Beispiel: identische Themenangebote über einen Verteiler an eine Vielzahl von Redaktionen senden – wie es in den 90ern üblich war. Irgendwann antworten nur noch einige befreundete Branchenkollegen aus alter Verbundenheit und Höflichkeit – aber auch ihnen wird es einmal zu viel. Ein Ausweg in diesem Fall: weniger, dafür speziellere Angebote und nur noch ausgewählte Empfänger.


Ein neues Geschäftsmodell zu entwerfen und auszuprobieren und sich um einen finanziell interessanteren und offeneren Kundenkreis zu bemühen, lenkt den Frust in konstruktive, kreative Bahnen. Man verwendet nicht mehr viel Energie dafür, sich über gedankenlose, störrische, gar unhöfliche Menschen zu ärgern und ihnen hinterherzulaufen, sondern konzentriert sich darauf, bessere Optionen zu erschließen. Dabei sollte man mögliche Geschäftspartner nicht nur nach deren Umsatzpotenzial bewerten, sondern auch nach deren Selbstorganisation und Sozialkompetenz: Passt man überhaupt zusammen?


„Keine Zeit“ ist meist nur vorgeschoben
Ein Sonderfall liegt vor, wenn jemand, mit dem man bisher in regelmäßigem und gutem Austausch stand, plötzlich nicht reagiert. Hier hilft oft zuerst eine Recherche, etwa ein Anruf in der Telefonzentrale: Ist derjenige überhaupt noch im Unternehmen bzw. für das bisherige Aufgabengebiet zuständig? Möglicherweise hat man auch einen persönlichen Kontakt (z. B. früherer Arbeitskollege) übermäßig beansprucht, der dem nun Grenzen setzen will. Einen Gefallen tut jeder gern – aber nicht ständig weitere. Nicht zuletzt: Man sollte sich immer auch selbstkritisch fragen, ob das bisherige Herangehen optimal ist.


„Keine Zeit“ ist bei denjenigen, die gar nicht antworten, meist nur eine (manchmal sogar unbewusst) vorgeschobene Erklärung. Wahrscheinlicher ist: Andere Anfragen sind für sie relevanter. Darum kümmern sie sich – und haben nicht mehr die Energie und das Interesse, anderen abzusagen. Nicht selten scheuen sie sich auch davor, weil sie lange Diskussionen befürchten, sich nicht auch noch erklären und rechtfertigen wollen. Ein schlechter Stil ist das trotzdem – und häufig organisatorisch zu lösen. Beispiel: vorbereitete Kurzantworten auf typische Anfragen, die man leicht kopieren und versenden kann.


Wer sich länger mit „Ghosting“ und seiner typischen Reaktion darauf beschäftigt, entdeckt fast immer auch Potenzial zur eigenen Persönlichkeitsentwicklung: weniger Emotionalität und Fokus auf die persönlichen Bedürfnisse, mehr Rationalität und Interesse an der Verfassung und den Herausforderungen anderer (Empathie). Das erleichtert nicht nur das Berufsleben, bei dem man immer auch mit schwierigen Menschen auskommen muss, sondern hilft auch im Privaten – etwa beim Dating und im Beziehungs- und Familienleben. Denn auch dort muss man gelegentlich einsehen: Keine Antwort ist auch eine Antwort.

 

Zur vergangenen Kolumne: Medienprofis im Wandel

 

Zum Autor: Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der Freien Presse, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA.

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