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Die Zeit beim Busenblatt hat sie abgehärtet: So tickt die neue „Bild“-Chefin Marion Horn

Die Zeit beim Busenblatt hat sie abgehärtet: So tickt die neue „Bild“-Chefin Marion Horn Marion Horn

Die „Berliner Zeitung“ nennt sie „Deutschlands mächtigste Journalistin“. In einem früheren Interview mit dem „medium magazin“ spricht Horn auch über ihre Zeit als Chefredakteurin von Bauers Busenblatt „Wochenend“.

Berlin – Schon einmal hatte die heute 57-Jährige die Führung der „Bild-Zeitung“ übernommen: Im Jahr 2012, als Marion Horn und Alfred Draxler Kai Diekmann vertraten, der in den USA war. Annette Milz und Matthias Thiele sprachen für das „medium magazin“ 2012 mit Horn über das Blattmachen, ihren Führungsstil, die Rolle von „Bild“ und Frauen-Förderung.

 

Wie groß ist denn Ihr Freiraum zur Blattgestaltung in der Abwesenheit von Kai Diekmann?

Marion Horn: Ich arbeite jetzt seit zwölf Jahren unter der Leitung Kai Diekmanns und „Bild“ wurde in dieser Zeit ständig weiterentwickelt. Wir beiden Stellvertreter machen wöchentlich im Wechsel das Blatt und wir haben den gleichen Spielraum, den Kai Diekmann bislang hatte. Ungewöhnlich ist nur, dass nun auch eine Frau zum ersten Mal die Macht des letzten Wortes hat.

 

Was machen Sie mit dieser Macht?

Der Platz in „Bild“ ist sehr begrenzt und es ist ein ständiger Kampf um die besten Geschichten. Die Macht bedeutet: Als Blattmacherin darf ich entscheiden, welche Geschichten in die Zeitung kommen. Und es fühlt sich gut an, das entscheiden zu können.

 

Und welche Themen, um die Sie früher kämpfen mussten, wollen Sie jetzt verstärkt ins Blatt bringen?

Mir geht es da weniger um einzelne Inhalte, sondern um etwas Grundsätzliches, nämlich unsere journalistische Haltung: Ich bin beseelt von der Idee, nicht mehr von „dem Leser“ zu sprechen, sondern zu fragen: Interessiert mich die Geschichte? Und wenn sie mich nicht interessiert: Kenne ich jemanden, den sie interessiert? Heute zum Beispiel gab es in der Konferenz eine große Debatte über die jüngste Studie zum „ema, dass Frauen noch immer weniger verdienen als Männer. Da gähne ich nur, so was wissen wir Frauen doch seit 30 Jahren. Das ist für mich keine „Bild“-Schlagzeile. Eine Schlagzeile wäre: „Frauen verdienen endlich das Gleiche.“

 

Kai Diekmann hat 2003 in einem „medium magazin“-Interview gesagt: „Der Kern von ‚Bild‘ ist die Provokation, die Tabuverletzung.“ Sehen Sie das auch so? Was verstehen Sie unter Provokation?

Natürlich ist Empörung ein wichtiges Gefühl für eine Boulevardzeitung. Aber es ist nur eines von vielen. In erster Linie soll unser Produkt informieren und amüsieren, Spaß machen und relevant sein. Das geht auch mit anderen Gefühlen: Ich habe auch Spaß daran, „Sahara-Sommer“ zu titeln. Es ist heiß, jeder sitzt im Büro und freut sich auf das Wochenende. Ich gebe gern zu: Das ist nicht wirklich relevant. Die Leser wussten auch vorher, dass es warm ist; aber es macht einfach Spaß, dieses Gefühl aufzugreifen – und Hitze im Sommer ist ein schönes Gefühl. Die Menschen wollen nicht immer nur Wut und Empörung. Wahrscheinlich ist diese Ausgabe auch deshalb sehr gut gelaufen.

 

Sie haben gerade ein paar Mal von „Spaß“ gesprochen. Liegen da Ihre Prioritäten?

Natürlich ist Information die härteste Währung. Die selbst recherchierte, eigene Information. Die andere Währung ist die Art, wie die Nachricht vermittelt wird. Der alte Witz: „,Bild‘ sprach als Erstes mit der Leiche“, hat einen wahren Kern. Ja, wir wollen die Nachricht als Erstes haben. Aber mindestens genauso wichtig ist, wie die Geschichte erzählt wird. Welche Haltung habe ich? Wie erzähle ich die Geschichte, dass es Lust macht, sie zu lesen? Das ist in Zeiten, in denen das Lesen immer weniger Raum im Alltag hat, zunehmend entscheidend. Und deshalb müssen die Leser schon in den großen Buchstaben in jedem Ressort erfahren, warum die Geschichte interessant für sie sein könnte. Idealerweise ist sie dann auch unterhaltsam. Denn: „Bild“ quält sich – aber nicht die Leser.

 

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Gibt es überhaupt in Ihren Augen so etwas wie weiblichen Journalismus?

Damit tue ich mich schwer. Es gibt guten Journalismus und schlechten Journalismus. Insbesondere im Boulevardjournalismus hängt viel davon ab, welche emotionale Haltung Sie zu einem „ema haben. Diese Haltung ist natürlich stark geprägt von der Persönlichkeit des Journalisten. Als Mutter von zwei Töchtern, die Vollzeit arbeitet, erlebe ich die Welt wahrscheinlich ein Stück weit anders als die allermeisten männlichen Kollegen. Das hat vermutlich Einfluss darauf, wie ich Themen bewerte. Aber das ist deshalb kein „weiblicher“ Journalismus.

 

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Welche Rolle spielt für Sie beim Blattmachen eigentlich der digitale „Bild“-Kanal?

Wir denken „Bild“ gedruckt und online als ein Produkt, eine Marke. Und wir waren damit noch nie so erfolgreich wie jetzt. Interessant ist dabei, dass wir mit bild.de eine ganz andere Zielgruppe erreichen als mit der gedruckten Zeitung. Die Überschneidung liegt deutlich unter zehn Prozent. Uns treibt natürlich auch die Frage um: Wenn die gedruckte Ausgabe Millionen von Lesern 70 Cent wert ist, was können wir dann von den Online-Usern verlangen, ohne dass sie auf andere Seiten abwandern? Aber das zu entscheiden ist zuerst Aufgabe des Verlages. Der Job der Redaktion ist es, gute Inhalte zu produzieren – egal für welchen Kanal.

 

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Nervt es Sie eigentlich, wenn Sie nach Frauenthemen gefragt werden?

Mich nervt, wenn Männer durch die Fragestellung outen, was sie für Frauenthemen halten – das ist fast immer komplett daneben. Damit sind dann Dinge gemeint wie Ratgeber zum Thema Seife oder eine Geschichte über Liebe. Das reduziert Frauen auf Frauenzeitschriften-Journalismus. Tatsächlich gibt es keine Frauenzeitschrift, die mehr Leser hat als „Bild“ – wir machen das also sehr ordentlich.

 

Sie waren mit Anfang 20 Ressortleiterin bei „Bild der Frau“, dann Chefredakteurin bei Bauers Busenblatt „Wochenend“. Ist das eine Hilfe für Ihre heutige Aufgabe?

Ich bin zur „Wochenend“ gekommen, weil ich mit 25 bei „Bild der Frau“ keine Lust mehr auf Frauenthemen hatte und gekündigt habe, ohne einen neuen Job zu haben. Ich war alleinerziehend, meine Tochter Kim erst vier Jahre alt; das war kein ganz einfacher Schritt. Kurz darauf kontaktierte mich ein Headhunter wegen einer Chefposition im Heinrich Bauer Verlag – und als ich erfuhr, worum es gehen sollte, eben ausgerechnet um „Wochenend“, war ich zuerst geradezu beleidigt. Ich habe dann zunächst frei angefangen, Entwicklungsarbeit dort gemacht, und dann dort verdammt viel gelernt. Zum Beispiel mich in Marktforschungsrunden mit Zielgruppen und Inhalten auseinanderzusetzen, systematisch zu arbeiten und mit Geld umzugehen, Mitarbeiter zu führen – ich war dann plötzlich Chefin eines 50-köpfigen Teams, mit Mitte 20. Deshalb bin ich stolz auf die vier Jahre dort.

 

Chefin eines Blattes, das auch „Sexpostille“ genannt wird, war aber nicht gerade imagefördernd, oder?

Auch das gehörte zu den wertvollen, wenn auch zunächst harten Erfahrungen: Ich galt plötzlich als die Vollidiotin, die „Wochenend“ macht. Dieser Job isolierte mich erst mal völlig von meinem vorherigen Umfeld. Aber das härtet ab, auch deshalb ist es mir heute egal, was andere von mir denken. In jenem Prozess habe ich Demut gelernt – das muss ich so pathetisch sagen. Denn es war für mich zuerst unvorstellbar, dass Frauen so eine Zeitschrift lesen, geschweige denn kaufen. In Wahrheit aber waren 40 Prozent der Käufer Frauen. Über die Beschäftigung mit diesem Phänomen habe ich übrigens auch gelernt, welche Art von Nacktfotografie wie funktioniert. Also welche Motive Frauen und Männern gefallen.

 

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Wie halten Sie es zum Beispiel mit dem Thema Gleichberechtigung in „Bild“?

Wir haben nicht vor, „weiblicher“ zu werden, und es gibt auch keinen Auftrag, nun gezielt weibliche Leser zu gewinnen. Ich möchte eine Zeitung machen, die sich gut verkauft, und freue mich natürlich, wenn auch Frauen dieses fantastische Produkt kaufen. Solange ich bei „Bild“ bin, war mir die Gleichberechtigung immer wichtig. Deshalb nutze ich meinen Einfluss – oder nennen Sie es meine Macht – dort, wo ich sie habe. Schon als ich stellvertretende Chefredakteurin mit Zuständigkeit für die Außenredaktionen war, habe ich sehr auf solche Themen geachtet. Übrigens, immer wenn bei „Bild“ eine Stelle zu besetzen ist, gibt es eine Shortlist, auf der immer ein Mann und eine Frau stehen – und dann muss man schon verdammt gute Argumente haben, warum es die Frau nicht sein soll.

 

Und wie entsteht die Shortlist der Bewerber und Bewerberinnen?

Wir schauen uns im Haus und auf dem Markt um und werben für uns. Meine Erfahrung ist allerdings, dass man um Frauen mehr werben muss als um Männer.

 

Inwiefern?

Wenn Sie eine Position zu vergeben haben und einen Mann anrufen, ihm sagen: „Sie sind mir empfohlen worden“, reagiert er nach dem Motto: Endlich erkennt jemand mein Talent! Wenn Sie hingegen eine Frau anrufen, ist es ungleich schwerer. Positiv ausgedrückt: Bei Frauen ist die Selbstreflexion stärker ausgeprägt.

 

Woran liegt das?

Vielleicht liegt das auch an „Bild“. Der Zeitung geht natürlich ein Ruf voraus – und wir sind hier nicht bei Olympia, sondern spielen in der Champions League: Es geht nicht darum, dabei zu sein, sondern darum, Tore zu machen!

 

Dennoch fährt „Bild“ in der Frage der Frauen-Quote keinen ganz eindeutigen Kurs.

Wir haben auch „Pro Quote“ kommentiert. Und ich erlebe Kai Diekmann so sehr pro Frauen, dass ich ihn manchmal fast bremsen muss.

 

Wieso?

Weil Frauen nicht per se die besseren Menschen sind. Und was die Redaktion betrifft: Wir brauchen sicher eine relevante Anzahl an Frauen. Aber ich bin gegen dieses Denken in Schemata Männer – Frauen. Mir geht es schlicht um Menschen, die querdenken, eine andere Vita haben. Ein erfolgreicher Boulevardtitel braucht ein heterogenes Team. Hinzu kommt: Ich halte eine Quote ordnungspolitisch für kompletten Unfug. In der Privatwirtschaft hat Quote nichts zu suchen. Wenn mir der Laden hier gehören würde und man würde mir eine Quote vorschreiben, würde ich Amok laufen.

 

Haben Sie deshalb nicht die JournalistinnenInitiative „Pro Quote“ unterschrieben?

Nein. Aber ich habe mich gerade erst über „Pro Quote“ unfassbar geärgert!

 

Warum?

Sehen Sie es mir nach, aber ich bin ein bisschen stolz darauf, heute dort zu sein, wo ich bin. Wie viel Frauen gibt es denn auf Chefpositionen bei Zeitungen? Wir sind immer noch eine winzige Minderheit. Und trotzdem ist niemand der Macherinnen der „Pro Quote“-“taz“ auch nur auf die Idee gekommen, mich überhaupt mal nach meiner Meinung zu fragen. Stattdessen haben die Initiatorinnen Nikolaus Blome, unseren Leiter des Hauptstadtbüros, angefragt, ob er für die Quoten-„taz“ über Gleichberechtigung reden wolle – statt die Frau zu fragen, die sich gerade mit einem männlichen Kollegen die gesamte Blattverantwortung teilt. Ich frage mich, was die Verantwortlichen bei „Pro Quote“ da wirklich treibt. Das ist doch unfassbar.

 

Für Frauen ist ein Kind oft noch immer Karrierehindernis. Sie sind mit 43 Jahren nochmals Mutter geworden, in Ihrem Büro steht ein Bobby-Car. Hat Ihre dreijährige Tochter da schon mal draufgesessen?

Natürlich. Und es ist ein großes Privileg, dass Axel Springer jetzt einen eigenen Betriebskindergarten hat, der bis 20 Uhr geöffnet ist, keine Betriebsferien und einen tollen Betreuungsschlüssel hat. Vom Produktionsraum aus kann ich sogar herunterschauen. Vielleicht ist es das Östrogen, aber es beruhigt mich, zu wissen, dass meine Tochter den Tag im gleichen Haus verbringt wie ich und ich im Notfall ganz schnell bei ihr bin.

 

Welche Fehler sollte eine Frau, die bei Ihnen anfängt, nicht machen?

Faul sein! (lacht)

 

Geschenkt! Das gilt ja wohl für beide Geschlechter.

Sie wäre gut beraten, nicht die Mädchen-Schiene zu fahren à la Hutzibutzi-beiß-mich-nicht! Wichtig ist es, authentisch zu sein. Wer sich als „kleines Mädchen“ inszeniert, ist genauso nervig wie eine, die so tut, als habe sie alles schon einmal gesehen.

 

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Das komplette Interview mit Marion Horn können Sie bei mediummagazin.de lesen.