Medien
dpa - Deutsche Presseagentur GmbH

Alice Schwarzer wird 75: „Kampf um Rechte für Frauen geht weiter“

Alice Schwarzer wird 75: „Kampf um Rechte für Frauen geht weiter“ Alice Schwarzer

Alice Schwarzer, Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin, wird 75. Nach fünf aktiven Jahrzehnten sind ihre Kampagnen, Bücher und „Emma“ vielen bekannt. Was macht sie sonst noch aus?

Köln (dpa) - Viele schätzen sie, manchen ist sie ein rotes Tuch. Alice Schwarzer, Deutschlands bekannteste Feministin, wird am 3. Dezember 75 Jahre alt − und gibt auch weiter oft den Ton an in Frauenfragen. Seit mehr als fünf Jahrzehnten streitet sie für Gleichberechtigung. Mutig, hartnäckig, bissig, provozierend. Starken Gegenwind − von sachlicher Kritik bis zur boshaften Häme − kennt die Journalistin. Die mitunter als „Grande Dame des Feminismus“ oder „Ikone der Frauenbewegung“ beschriebene Autorin hat ihre Basis im mittelalterlichen Bayenturm in Köln.

 

Dort, am Rheinufer, sind die Redaktion der „Emma“ und das von Schwarzer initiierte feministische Archiv FrauenMediaTurm untergebracht. Aktuell steckt die Autorin im Endspurt für ihren neuen Titel „Meine algerische Familie“. Worum geht es? „Algerien ist das Schlüsselland des Maghreb. Sollte dieses Land in einen religiösen Fanatismus oder ins Chaos gleiten, kippt ganz Nordafrika. Was das für Europa bedeuten würde, wissen wir inzwischen“, erzählt Schwarzer. Algerien könne „sehr bald auch für Deutschland und ganz Europa von existenzieller Bedeutung sein“. 

 

Schwarzer und „Emma“ sind untrennbar. Mit dem alle zwei Monate erscheinenden feministischen Blatt − sie nannte es einmal ihr „Kind“ − hat sie manche Schlacht geschlagen. Für das Recht auf Abtreibung, gegen Unterdrückung, Pornografie, Prostitution. Anfang 2017 ist „Emma“ 40 Jahre alt geworden − und wird noch lange gebraucht, gibt sich die Chefredakteurin und Herausgeberin überzeugt. „Emma bleibt den feministischen Kerngedanken treu: der Utopie einer Gleichheit der Geschlechter und der Menschenrechte für alle Frauen der Welt, unabhängig von Hautfarbe, Ethnie oder Religion.“

 

„Emma“ sei oft ihrer Zeit weit voraus gewesen − habe schon lange vor anderen Medien etwa auf die „Gefahr des politisierten Islam“ hingewiesen, sagt Schwarzer. Die Druckauflage liegt bei rund 44 000, davon werden 30 000 Exemplare verkauft. Der FrauenMediaTurm, dem 2014 der „Todesstoß» drohte, als die das Land NRW seine Unterstützung einstellte, wird bis Ende 2019 vom Bund gefördert. 

Was macht Schwarzer sonst aus? Was für ein Typ ist sie? Ein dickes Fell dürfte sie haben. Und ihren Grundsatz: „Frauen müssen lernen, nicht immer geliebt werden zu wollen“, wird Schwarzer selbst verinnerlicht haben. Sie sei autoritär und machtbesessen, sagen Kritiker, auch frühere Mitstreiterinnen. Kann sie Fehler einräumen? Zumindest in einem „Spiegel“-Interview hat sie mal gesagt, es sei «nicht so klug gewesen, bei einer Imagekampagne für die „Bild“ mitgemacht zu haben. Das Boulevardblatt hatte Schwarzer zuvor stets als frauenverachtend attackiert.

 

Arges Kopfschütteln hatte sie mit ihrer „Bild“-Berichterstattung über den Vergewaltigungsprozess gegen den Wetterexperten und Moderator Jörg Kachelmann ausgelöst, die als parteiergreifend für die Klägerin kritisiert worden war. Kachelmann wurde freigesprochen. Das Kölner Oberlandesgericht stoppte Schwarzer später, sie dürfe auch in Glossen nicht weiter den Eindruck erwecken, dass Kachelmann ein Vergewaltiger sei.

 

Glaubwürdigkeit kostete ihre Steueraffäre 2014. Seit den 1980er Jahren führte die Publizistin ein Schweizer Konto, gab das aber erst 2013 beim Finanzamt an. Auch ihr Haus im Bergischen wurde durchsucht. Trotz Selbstanzeige und einer Nachzahlung von 200 000 Euro plus Säumniszinsen war ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Schwarzer beklagte Rufmord − statt Reue zu zeigen.  

Die Journalistin selbst sieht sich als lebenslustig, wissensdurstig, verletzlich, wie sie in ihrer Biografie „Lebenslauf“ (2011) schreibt. Darin schildert sie ihre Kindheit ohne Vater, ihre Mutter machte sich rar. Alice wuchs in Wuppertal bei den Großeltern auf. Sie ging nach abgebrochener kaufmännischer Ausbildung nach Paris, arbeitete für die „Düsseldorfer Nachrichten“, studierte in Frankreich Psychologie und Soziologie. „Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“ machte sie 1975 berühmt. Es folgten dutzende Titel, mehrere Auszeichnungen. 

 

Sexuelle Gewalt gehörte stets zu Schwarzers Themen. Nach den Vorwürfen gegen Hollywood-Mogul Harvey Weinstein berichten nun Millionen Frauen unter dem Hashtag #MeToo über sexuelle Übergriffe und Belästigungen. Die Heftigkeit der Reaktionen überrascht Schwarzer nicht. „Wir leben in einer Periode des Rückschlages, allgemein und für Frauen im Besonderen. Das bekommen nun auch jüngere Frauen zu spüren. Und sie beginnen, sich zu wehren.“

 

Schwarzer liebte Männer und Frauen, hatte zuletzt von einer weiblichen Partnerin gesprochen. Was ist das Beste, das ihr je passiert ist? „Nach 75 Jahren fällt es schwer, sich zu entscheiden. Im Guten wie im Bösen.“ Feiern will sie diesmal nicht in ihrem „Heimatland Deutschland“, sondern ihrer „Heimatstadt Paris.“ Und dann geht es weiter − Aufhören bleibt für sie ein Fremdwort.