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Georg Löwisch: „Die „taz“ ist die Zeitung, die macht, was sie will“

Löwisch hat selbst bei der „taz“ volontiert. Inzwischen ist er Chefredakteur der Tageszeitung. Deren erste Ausgabe ist vor 40 Jahren erschienen. Vielleicht gibt es die Zeitung bald während der Woche nur noch digital.

Berlin (dpa) − Georg Löwisch kann sich gut an die Zeit erinnern, als die „taz“ nur in Schwarz-Weiß erschienen ist. Solange ist das noch gar nicht her. Inzwischen überlegt der Chefredakteur der Tageszeitung mit seinen Kolleginnen und Kollegen allerdings bereits, wann es sich nicht mehr rechnet, die „taz“ noch auf Papier zu drucken, zumindest nicht an den Wochentagen. „Wir wollen einen starken Mix aus Print und Digital“, sagte Löwisch (44) der Deutschen Presse-Agentur. Wichtig sei, die digitale tägliche „taz“ vom Papiervorbild zu emanzipieren und noch besser zu machen.

Frage: Wann sind Sie das erste Mal auf die „taz“ aufmerksam geworden?

Antwort: Das muss 1997 in Leipzig gewesen sein. Ich habe dort Journalistik studiert und hab‘ mir überlegt, wo möchte ich mein Volontariat machen? Dann hat ein Studienkollege zu mir gesagt: „Du musst entweder zur „Bild“ oder zur „taz“!“ Die Entscheidung war einfach. Ich habe der „taz“-Medienseite einen Artikel angeboten, und die haben dann so großartig redigiert, dass ich auf den Geschmack gekommen bin und mir für 1998 ein Volontariat ergattert habe.

Frage: Wenn Sie die „taz“ von damals und die Ausgabe von heute nebeneinander legen, was sind die wichtigsten Unterschiede?

Antwort: Damals ist sie noch ganz in Schwarz-Weiß gedruckt worden. Das vergisst man heute, dass wir noch 2009 eine Blattreform gemacht haben, bei der nur der Titel in Farbe war und sonst alles schwarz-weiß. Es gab 1997 auch noch keine Schwerpunktseiten, es gab noch nicht das Gesellschaftsressort taz zwei. Und es gab damals nur die tägliche gedruckte Zeitung, es gab „taz.de“ noch nicht, es gab keine „taz am Wochenende“, es gab die tägliche „taz“ noch nicht als ePaper oder App.

Frage: Wenn die Kinder aus der Grundschule in Ihrer neuen Nachbarschaft in der Friedrichstraße zu Besuch kämen, wie würden Sie ihnen erklären, was das Besondere an der „taz“ ist?

Antwort: Erst neulich waren wieder Kinder von einer Grundschule hier, und ich habe denen gezeigt, dass wir bei der Seite 1 manchmal Skizzen kritzeln, die sehen wie Kinderzeichnungen aus, und dann setzen wir das mit Titelzeilen und Foto oder Fotomontage oder Illustration um. Das ist, was Kinder toll finden, dieses gestalterische Moment. Ich habe ihnen gesagt: „Die „taz“ ist die Zeitung, die macht, was sie will.»

Frage: Ist die Seite 1 für die „taz“ wichtiger als für andere Zeitungen?

Antwort: Klar, das ist eines unserer Markenzeichen, der „taz“-Moment, wenn Leute über die Seite sagen „die taz mal wieder!“. So wie die Titelseite mit dem Mops zum Es-gab-keinen-Mob-Zitat von Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer. An dem Tag hatten wir eigentlich schon eine Seite 1 zum Thema Mieten. Dann hat der Fotoredakteur uns diese Mopsbilder gezeigt, und die Entscheidung fiel, etwas damit anzustellen und auch einen Kommentar zu dem Thema zu schreiben.

Frage: Gibt es über „taz“-Titel noch so viele Proteste wie früher?

Antwort: Gibt es, zum Beispiel beim Titel „Blühende Landschaften“ nach dem Tod von Helmut Kohl, für den ich mich ja dann entschuldigt habe. Denn ich hatte den Eindruck, es steht im Raum, wir freuten uns über den Tod eines Menschen. Ärger setzt es auch, wenn wir kritisch über Sahra Wagenknecht titeln. Da besteht eine unverbrüchliche Solidarität von Teilen unserer Leser/innen/schaft.

Frage: Die „taz“ wurde 1978 als eine linke, radikale Zeitung gegründet, was ist davon noch übrig?

Antwort: Bei uns hat Links so viele Perspektiven wie nirgendwo sonst. Jetzt rutscht die Republik nach rechts, und es wird vieles von rechts diskutiert, häufig auch mit einem scheppernden und beklemmenden Sound. Und dagegen setzen wir eine linke Buntheit und Lebendigkeit. Wir sind überhaupt nicht dogmatisch, sondern kreativ und quirlig und wollen auch irritieren. Nehmen Sie Macron: Auch Leute, die sich in unterschiedlicher Weise als links verstehen, können sich über Macron die Köpfe heiß reden − ist das ein neoliberaler Schuft oder der letzte Europäer? Es sind Zeiten, zu denen es gut passt, dass wir keine Dogmazeitung sind.

Frage: Musste die „taz“ Dogmen hinter sich lassen?

Antwort: Die „taz“ hat immer schon gern gestritten. Als ich zur „taz“ kam, gab es gerade Ärger darum, ob man ein Porträt über Jörg Schönbohm machen kann, den Berliner Innensenator von der CDU. Die eine Schule sagte, die „taz“ ist ein Werkzeug, um die Welt zu begreifen, da ist es gut, viele Perspektiven zu zeigen. Die anderen wollten dem Hardliner kein Forum bieten. Neulich hatten wir einen Gastbeitrag von Jens Spahn über Debattenkultur − darüber hat die Redaktionskonferenz schwer gerungen, hinterher erschien ein Gegenbeitrag.

Frage: Wie gehen Print und Digital bei der „taz“ zusammen?

Antwort: Den „taz“-Journalismus können wir ja auf allen Kanälen spielen, stündlich, täglich, wöchentlich. Ich mag die Idee und die Kraft der Tageszeitung gedruckt und als tägliche App. Ich bin aber auch fasziniert vom Live-Tempo der Social Media und beeindruckt vom Punch von „taz.de“, wo wir auch Menschen erreichen, die uns bisher nicht lesen. Und ich liebe die magazinige Tiefe der „taz am Wochenende“, deren Urform, die „sonntaz“, ich mitgegründet habe.

Rechnen Sie damit, dass Sie selbst als Chefredakteur es noch erleben, dass die „taz“ montags bis freitags nicht mehr gedruckt erscheint?

Antwort: Ist ja die Frage, wie lange ich noch Chefredakteur bin. Aber Spaß beiseite, wir haben überhaupt kein fixes Datum. Vielleicht gibt es die gedruckte „taz“ am Werktag länger als gedacht. Viel hängt davon ab, wie sich Kosten und Zuverlässigkeit des Zeitungsvertriebs entwickeln. Jetzt gilt aber erst mal die Devise: Die jungen Produkte müssen stärker wachsen. Dann hilft das auch der gedruckten Zeitung von Montag bis Freitag.

Frage: Aber es kann sein, dass die „taz“ schon bis 2022 entscheidet, die Zeitung nur noch am Wochenende gedruckt erscheinen zu lassen?

Antwort: Wir haben in einem Planspiel einfach mal ausgerechnet, ob wir den Laden hier mit all den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern finanzieren könnten, wenn der Vertrieb der gedruckten „taz“ am Werktag irgendwann nicht mehr funktioniert. Geht das, wenn sich die anderen „taz“-Produkte entsprechend entwickeln? Das Interessante ist: Da würde ein Schuh draus. Aber ich bin auch glücklich, wenn die gedruckte tägliche Zeitung bis 2048 bleibt. Nur ist es wichtig, dass wir die jüngeren Geschwister stärker in den Fokus rücken: Dass wir die digitale tägliche „taz“ optimieren und vom Papiervorbild emanzipieren. Dass wir mit Kraft „taz.de“ entwickeln. Und die „taz am Wochenende“ gehört auch zur Diversifizierungs-Strategie. Wir wollen einen starken Mix aus Print und Digital.

 

Interview: Andreas Heimann, dpa

ZUR PERSON: Georg Löwisch (44) hat schon während seines Journalistik-Studiums in Leipzig für verschiedene Zeitungen gearbeitet und ab 1998 bei der „taz“ volontiert. 2001 wurde er Redakteur für die Reportageseite, arbeitete als Inlandsreporter und entwickelte die Wochenendausgabe „sonntaz“ mit. Das dafür verantwortliche Ressort leitete er ab 2009. Drei Jahre darauf wurde er Textchef beim „Cicero“, 2015 kam er als Chefredakteur zur „taz“ zurück.