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Kai Diekmann: „Erdogans Politik führt Türkei in eine instabile Lage“

Der Offene Brief der „Bild“-Zeitung wird in der Türkei als Beleidigung des türkischen Souveräns betrachtet. EU-Minister Mevlüt Cavusoglu bezeichnet die „Respektlosigkeit“ deutscher Medien sogar als „unakzeptabel“. Jetzt wehrt sich „Bild“-Chef Kai Diekmann. Von Bülend Ürük.

Istanbul - Im Interview sagt Diekmann, dass die „Bild“-Zeitung, Europas größte Tageszeitung, den Beitrittswunsch der Türkei zur EU in der Vergangenheit unterstützt habe. „Dafür wurde ich auch persönlich angegriffen“, sagt Kai Diekmann, der sich als der „türkischste Chefredakteur in der Geschichte von Bild“ sieht.

Der Offene Brief der „Bild“ an den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan hätte deutlicher nicht formuliert werden können: „Politiker wie Sie wollen wir in Deutschland nicht haben. Sie sind hier nicht willkommen!“. Die Zeilen haben für viel Aufregung in den türkischen Gemeinden in Deutschland und in politischen Zirkeln in der Türkei gesorgt. Der türkische EU-Minister Mevlüt Cavusoglu fand offiziell harte Worte, bezeichnet die "Respektlosigkeit" deutscher Medien sogar als "unakzeptabel".

„Natürlich haben sich viele Leser bei uns gemeldet, darunter auch viele Türken. Der Tenor war sehr unterschiedlich. Aber auch das gehört zur Meinungsfreiheit und Demokratie dazu“, so Kai Diekmann im Gespräch.

Die Position von Ministerpräsident Erdogan werde in der Türkei immer schwächer, glaubt Diekmann, der seit Januar 2001 die „Bild“-Zeitung verantwortet: „Nach dem Minenunglück von Soma beobachten wir nun, dass sich auch die Arbeiterschicht zunehmend von Erdogan vernachlässigt fühlt. Das schafft für seine Regierung Unsicherheit und für das Land eine zunehmend instabile Lage.“

Im Gespräch mit Bülend Ürük spricht Kai Diekmann auch über seine Nähe zur türkischen Dogan-Holding, die unter anderem die Zeitung "Hürriyet" herausgibt.

 

"Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann wünscht sich für die Menschen in der Türkei, dass es "eine schnelle Annäherung der Verhältnisse an die europäischen Standards" gibt. Foto: Ralf Guenther/Bild

 

 

Zur Person: Kai Diekmann, geboren am 27. Juni 1964 in Ravensburg, übernahm im Januar 2001 die Chefredaktion der „Bild“-Zeitung, dem wichtigsten Umsatzbringer des Axel-Springer-Konzerns. Diekmanns Ehefrau ist die Bestseller-Autorin Katja Keßler. Gemeinsam mit ihren vier Kindern lebt das Paar in Potsdam. Der erfahrene Journalist gilt als Intimus des früheren deutschen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Im Sommer 2013 war bekannt geworden, dass Helmut Kohl im Jahr 1982 in einem vertraulichen Gespräch mit der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher gesagt hatte, dass er die Zahl der Türken in Deutschland „um 50 Prozent reduzieren“ wolle. Mit Portugiesen oder Italienern hätte Deutschland keine Probleme, aber die Türken kämen „aus einer sehr andersartigen Kultur“. Die Aussagen hatten in der deutsch-türkischen Gesellschaft zu einem Aufschrei gesorgt.

Herr Diekmann, die Bild hat auf ihrer Onlineseite am Samstag den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan mit einem Offenen Brief begrüßt. Tenor: Sie sind hier nicht willkommen. Was haben Sie gegen die Türkei?


Kai Diekmann: Ich habe überhaupt nichts gegen die Türkei, im Gegenteil. Bild und auch ich persönlich wurden in Deutschland immer wieder von konservativen Kreisen heftig dafür kritisiert, dass wir den Beitrittswunsch der Türkei zur EU unterstützt haben. Bild veröffentlicht regelmäßig Artikel auch in Türkisch, wenn es wichtige Themen gibt, die beide Länder betreffen. Ich verbringe meinen Urlaub regelmäßig in der Türkei mit türkischen Freunden. Meine persönliche Assistentin hat türkische Wurzeln. Aus Anlass des Besuchs von Ministerpräsident Erdogan in Köln hat Bild einen Meinungsbeitrag veröffentlicht, in dem die Blockade-Haltung der EU-Staaten gegenüber der türkischen EU-Mitgliedschaft kritisiert wurde. Ich würde glatt behaupten, dass ich der türkischste Chefredakteur in der Geschichte von Bild bin.

 

Hintergrund: "Bild"-Zeitung

Die „Bild“-Zeitung ist mit einer verkauften Auflage von über 2,4 Millionen Exemplaren Europas größte Tageszeitung. Im April 2014 verzeichnete das Online-Angebot Bild.de, die von Julian Reichelt geführt wird, 279.609.496 Millionen Visits. „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann ist zugleich Herausgeber der „Bild“-Gruppe, in der zudem mit der „Bild am Sonntag“ - Chefredakteurin: Marion Horn - Europas größte Sonntagszeitung erscheint.

 

Wie schätzen Sie die politische Situation in der Türkei ein?

Kai Diekmann: Ministerpräsident Erdogan kann sich zwar noch immer auf breite Mehrheiten in der Bevölkerung verlassen, allerdings wendet sich gerade in den jungen gebildeten Schichten die Stimmung spürbar gegen die Regierung. Proteste wie im Gezi-Park hält eine Regierung nicht häufig aus, ohne dabei massiven Schaden zu nehmen. Nach dem Minenunglück von Soma beobachten wir nun, dass sich auch die Arbeiterschicht zunehmend von Erdogan vernachlässigt fühlt. Das schafft für seine Regierung Unsicherheit und für das Land eine zunehmend instabile Lage.


Der Offene Brief hat für Entrüstung in der Türkei und für viele kritische Kommentare in den sozialen Medien gesorgt. Haben Sie mit diesen Reaktion gerechnet?

Kai Diekmann: Dass so eine klare Ansage für intensive Diskussionen sorgt, kommt nicht überraschend und ist auch richtig so. Es liegt im Wesen von Bild, die Dinge klar und unbequem beim Namen zu nennen. In unserer Gesellschaft kann man glücklicherweise seine Meinung frei äußern und offen diskutieren. Die von Ihnen beschriebene Äußerungen von Ministerpräsident Erdogan würden im Kern nur die Kritik an seinem politischen Verhalten bestätigen.

 

Auch in türkischer Sprache teilte "Bild" am Samstag dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan mit: "Sie sind hier nicht willkommen."

 

 

Sie sitzen im Aufsichtsrat der türkischen Zeitung „Hürriyet“. Was sind Ihre Aufgaben?

Kai Diekmann: Ich bin bei Hürriyet im Beirat als Independant Board Member. In dieser Funktion geht es ausschließlich um einen Austausch zu übergreifenden Themen bezüglich der Entwicklung der Medien. Ich nehme in dieser Rollen keinerlei Einfluss auf die redaktionelle Linie der Medien des Unternehmens.


Kann es sein, dass die „Bild“-Kritik auch darauf beruht, dass Sie eng mit der Dogan-Holding zusammenarbeiten, die dem Ministerpräsidenten Erdogan nicht nahe steht?

Kai Diekmann: Axel Springer hat weder an der übergeordneten Dogan Holding, noch an der Dogan Yayin Medienholding, die alle Medienbeteiligungen von Dogan bündelt, irgendwelche Anteile. Auch an der "Hürriyet"-Holding sind wir nicht beteiligt. Wir sind im Rahmen einer strategischen Partnerschaft lediglich Minderheitsgesellschafter bei Dogan TV, wo alle TV- und Radioaktivitäten der Dogan Medienholding zusammengefasst sind. Axel Springer hält hier als Minderheitsgesellschafter rund 14,8 Prozent der Anteile. Dort sitzt auch ein Vertreter von uns im Aufsichtsrat, allerdings haben wir unsere Beteiligung in den letzten zwei Jahren zurückgefahren. Im Zeitungsmarkt sind wir gar nicht vertreten.


Erste Politiker in der Türkei wollen nach der Bild-Kritik die Dogan-Holding „bluten“ sehen, weil sie glauben, dass „Bild“ auf Geheiß des türkischen Unternehmens gehandelt hat. Können Sie das verstehen?

Kai Diekmann: Diese Vorwürfe sind absurd und zeigen einmal mehr das schwierige Verhältnis der handelnden Personen zu den fundamentalen Grundsätzen der Meinungsfreiheit, die in der EU gelten.


Wie wird sich die Situation der Meinungsfreiheit in der Türkei aus Ihrer Sicht entwickeln?

Kai Diekmann: Dazu möchte ich mir keine Prognosen erlauben. Ich hoffe nur für alle freiheitsliebenden und toleranten Menschen in der Türkei, dass es eine schnelle Annäherung der Verhältnisse an die europäischen Standards gibt.


Die Fragen an Kai Diekmann, Chefredakteur der „Bild“-Zeitung, stellte Bülend Ürük.

Ihre Einschätzung? E-Mails bitte an chefredaktion@newsroom.de.