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„Zugang zu schnellem Internet muss Menschenrecht sein“

Schnelles Internet für alle? Die Forderung von Julian Reichelt, die der Chefredakteur von Bild.de in einem Gespräch mit NEWSROOM erhoben hat, sorgt unter Journalisten für viele Diskussionen - und für viel Zustimmung. Von Bülend Ürük.

Berlin - "Schnelles, flächendeckendes Internet ist unabdinglich für den Wirtschafts- und Medienstandort Deutschland", unterstützt Tobias Lobe, Chefredakteur der digitalen Nachrichtenagentur spot on news, die Forderung von Julian Reichelt.

Der Breitbandausbau sei die "absolute Basisvoraussetzung, damit sich ein Land weiter entwickeln kann", hatte Julian Reichelt, der seit einem Jahr Bild.de verantwortet, in dieser Woche auf NEWSROOM gefordert.

 


Julian Reichelt verantwortet seit dem 1. Februar 2014 als Chefredakteur Bild.de, das erfolgreichste deutschsprachige Nachrichtenportal der Welt. Im Gespräch mit Newsroom.de forderte Reichelt diese Woche schnelles Internet für alle.

 

"Wir benötigen flächendeckend schnelles Internet", so der Chefredakteur von Bild.de. Bei seiner Forderung nach Breitbandausbau bekam Julian Reichelt direkt Unterstützung aus der Wissenschaft. "Deutschlandweites DSL wäre für die Bürger sicher wichtiger und dringender als Maut und Co.", sagte Verena Renneberg, Professorin für Online-Journalismus an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft (HMKW) in Berlin.

„In Bewegtbild-Content und neuen, bewegtbildbasierten Werbeformaten schlummern hohe Erlöspotentiale, die der Journalismus im digitalen Zeitalter dringend benötigt. Deutschland hinkt der internationalen Entwicklung deutlich hinterher“, macht Tobias Lobe deutlich. Seine spot on news ist die führende Nachrichtenagentur für Entertainment und Lifestyle und beliefert Portale wie Focus.de, Yahoo.com, Gala.de oder Huffingtonpost.de mit einer Gesamtreichweite von 60 Millionen Unique Usern.

„Schnelles Internet ohne Barrieren, zu günstigen Preisen, im Festnetz und unterwegs – wer will das nicht? Natürlich ist das eine konstituierende Infrastruktur einer modernen Demokratie. Ich sage das aber aus sehr grundsätzlichen Erwägungen, nicht weil ein Netzausbau ganz dringend im Interesse meiner Redaktion läge“, betont Stefan Plöchinger. Plöchinger, Mitglied der Chefredaktion Süddeutsche Zeitung (Digitale Projekte) und Chefredakteur Süddeutsche.de. Er warnt sogar davor, publizistisch etwas zu vertreten, was im eigenen und nicht im übergeordneten Interesse stehen könnte.

„Mobile Netzausbau muss vorangetrieben werden“

„Natürlich kann ich das nur unterstützen, weil wir ganz erheblich davon profitieren würden“, macht Magnus Schlecht deutlich.

 

Tobias Schwarz ist Executive Editor bei Netzpiloten.de. Foto: Kai-Oliver Goldmann, Shootbook

 

Der Chefredakteur der „Pforzheimer Zeitung“ sagt: Auch bei uns in der Region gibt es in ländlichen Gebieten noch weiße Flecken, was dazu führt, dass in diesen Bereichen unser Online-Angebot, das auch sehr stark auf Bewegtbild setzt, nicht umfänglich oder nur mühsam genutzt werden kann. Ob unser Angebot anders aussehen würde, wenn jeder schnelles Internet zur Verfügung hätte, wage ich zu bezweifeln. Denn trotz der strukturschwachen Gebiete in Sachen schnelles Internet haben wir es mit www.pz-news.de geschafft, mit 1,04 Millionen Visits pro Monat und gemessen an der Printauflage (ca. 36000) zu einer der erfolgreichsten lokalen Nachrichtenplattformen Deutschlands zu werden. Hinzu kommt, dass wir entsprechend des Userverhaltens künftig sehr stark auf mobile Nutzung unserer Nachrichtenplattform setzen werden. Insofern haben wir natürlich auch ein sehr großes Interesse daran, dass gerade der mobile Netzausbau vorangetrieben wird“, so Magnus Schlecht.

 

Magnus Schlecht, Chefredakteur der "Pforzheimer Zeitung", sagt: "Gerade mobiler Netzausbau muss vorangetrieben werden".

 

„Schnelles Internet ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die digitale Zukunft des Landes. Das hat in erster Linie gar nichts mit Journalismus zu tun, sondern stellt eine gesamtgesellschaftliche Notwendigkeit dar. Von den bisherigen Versuchen der Bundesregierung, damit dies eines Tages auch Realität wird, bin ich allerdings nicht überzeugt“, sagt Tobias Schwarz, Executive Editor bei Netzpiloten.de.

"Netzneutralität gesetzlich festschreiben"

Für Tobias Schwarz steht fest: „Unser Online-Angebot ist in seiner jetzigen Form, als vor allem textbasiertes Medium, noch nicht unmittelbar davon abhängig, aber auch wir nutzen verstärkt Podcasts und Videos, die nun einmal von unseren Lesern auch mobil konsumiert werden. Allein deshalb liegt es natürlich auch in unserem beruflichen Interesse, dass es einen schnellen und mobilen Internetzugang in Deutschland gibt.“

Und der Medienmacher fügt hinzu: „Wichtiger ist aber, dass die Netzneutralität gesetzlich fest geschrieben wird, damit auch Medien wie die Netzpiloten, die sich im Gegensatz zur „Bild“ keine "Vorfahrt" im Netz leisten könnten, auch bei schnellem Internet gleichberechtigt Inhalte verbreiten können.“

Unterstützung für Julian Reichelt kommt auch von der „taz“. „Wir brauchen in Deutschland flächendeckendes, schnelles Internet. Es ist Teil einer funktionierenden und gelungenen Infrastruktur“, macht Rieke Havertz, Online-Chefin der „taz“, deutlich. "Unabhängig von ihrem Wohnort sollten Leser ohne Verzögerung jederzeit Zugriff auf die Geschichten und Nachrichten auf taz.de erhalten und nicht aufgrund struktureller Defizite von der Informationsquelle Internet ausgeschlossen sein“, so die 34-Jährige, die seit Juli 2014 gemeinsam mit Daniél Kretschmar taz.de leitet. Für sie bedeutet der Breitbandausbau auch im Bereich des E-Paper-Angebots eine erhebliche Verbesserung, „da Ladezeiten minimiert und so der Lesekomfort erhöht wird."

 

Rieke Havertz ist Online-Chefin der taz. Foto: Karsten Thielker

 

Havertz, die in Leipzig und in Athens/Ohio Journalistik und Amerikanistik studiert hat, sagt: “Wir entwicklen unsere Seite und Formate auf taz.de kontinuierlich weiter und sind dabei vornehmlich inhaltlich getrieben. Schnelles Netz ist für die Qualität von taz.de dabei einer von vielen Faktoren im stetigen Bestreben, die Seite für unsere User attraktiver zu gestalten."

Für Havertz ist es aber wie für Tobias Schwarz wichtig, dass Journalisten sich auch in einem anderen Bereich gemeinsam engagieren: “Wir freuen uns, dass sich die Kollegen von bild.de mit einer Forderung nach flächendeckendem, schnellen Internet daher in Zukunft sicherlich auch mit Verve für Netzneutralität in Deutschland starkmachen werden."

"Zugang zu Kommunikation kein Luxus, sondern wirtschaftliche Notwendigkeit"

"Der Zugang zu Kommunikation ist kein Luxus, sondern eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Es darf daher keine Frage der sozialen oder geographischen Herkunft sein. Schon allein deshalb unterstütze ich die Forderung nach einem schnellen Internet für alle“, sagt Stephan Kabosch, seit 2008 Redaktionsleiter Online bei der Münchner „Abendzeitung“.

„Als Online-Angebot hat die Abendzeitung ein natürliches Interesse daran, möglichst viele Nutzer optimal zu erreichen. In Bayern sollen ja nach den Plänen von Heimatminister Markus Söder bis zum Jahr 2017 sämtliche Gemeinden flächendeckend mit Breitband-Internet ausgestattet sein“.

 


Stephan Kabosch ist seit 2008 Redaktionsleiter Online bei der "Abendzeitung" in München. Zuvor arbeitete er unter anderem als Chef vom Dienst und Redaktionsleiter bei N24.de und führte das Landesbüro München der Berliner „Netzeitung“.

 

„Selbstverständlich spielt die technische Infrastruktur in unserem Verbreitungsgebiet auch bei der inhaltlichen Ausrichtung von abendzeitung-muenchen.de eine gewisse Rolle, gerade mit Blick auf den Bewegtbildbereich und ganz allgemein auf den weiteren Ausbau der mobilen Angebote“, erklärt der gebürtige Österreicher, der vor seinem Wechsel in den Onlinejournalismus als stellvertretender Ressortleiter „Weltpolitik“ bei der „Tiroler Tageszeitung“ arbeitete.

„Aber auch in ganz praktischer redaktioneller Hinsicht freue ich mich auf ein flächendeckendes schnelles Internet - wenn dann auch aus entlegenen Regionen Liveticker tatsächlich in Echtzeit online stattfinden“, macht Stephan Kabosch deutlich.

„Zugang zu schnellem Internet muss Menschenrecht sein“


„Natürlich hat Herr Reichelt Recht“, sagt Stefan Bergmann. Er ist seit November 2014 Chefredakteur der „Emder Zeitung“, Deutschlands kleinster Zeitung mit Vollredaktion. Für Bergmann gehen die Forderungen von Julian Reichelt aber nicht weit genug: „Natürlich hat die Daten-Versorgung in vielen ländlichen Gebieten eher Schneckentempo. Aber vollends peinlich ist es für das Industrie-Vorzeige-Land Deutschland, dass es die deutschen Provider nicht schaffen, entlang von Autobahnen, Bahnlinien und auch in mittelgroßen deutschen Städten eine ordentliche 3G-Netzversorgung auf die Beine zu stellen. Von LTE ganz zu schweigen. Drei Kilometer hinter einer beliebigen Stadtgrenze fällt man mit seinem teuren Smartphone regelmäßig zurück ins digitale Mittelalter“, bedauert Bergmann.

 


Stefan Bergmann führt seit November 2014 die "Emder Zeitung", Deutschlands kleinste Tageszeitung mit Vollredaktion.

 

„Ich bin der Meinung, dass die DSL-Versorgung der Menschen und Unternehmen vom Staat inzwischen ähnlich behandelt werden sollte wie die Versorgung mit Wasser und Strom - also wie ein Teil der so genannten Daseinsvorsorge“, fordert Stefan Bergmann: „Der Bürger muss ein einklagbares Recht bekommen, DSL in ordentlicher Geschwindigkeit ins Haus gelegt zu bekommen. Niemand muss akzeptieren, wenn die Stadtwerke sagen: "Sie wohnen zu weit draußen. Zu Ihnen legen wir kein Stromkabel." Aber wenn die Telekom eine ordentliche Datenleitung verweigert, ist man ausgeliefert - oder geliefert. Je nachdem. Der Zugang zu schnellen Internet wird hoffentlich schon bald ein Menschenrecht sein.“

Bülend Ürük

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