Pressefreiheit
AFP

"Cicero"-Durchsuchung war verfassungswidrig

Bundesverfassungsgericht stärkt Pressefreiheit.

Karlsruhe, 26. Februar (AFP) - Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Pressefreiheit und den Informantenschutz gestärkt. Der bloße Verdacht, dass ein Journalist Beihilfe zum Geheimnisverrat geleistet haben könnte, reiche nicht aus, um Redaktionsräume zu durchsuchen, entschied das Gericht in einem am Dienstag veröffentlichten Urteil. Es erklärte damit die Durchsuchung der Redaktion des Magazins "Cicero" wegen der Veröffentlichung geheimer BKA-Informationen für verfassungswidrig. Das Gericht bekräftigte zugleich seine so genannte "Spiegel"-Entscheidung von 1966, wonach Razzien bei Journalisten unzulässig sind, wenn sie allein dazu dienen, die Identität eines Informanten zu ermitteln. Der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Lutz Diwell, kündigte einen stärkeren rechtlichen Schutz von Journalisten an. (AZ: 1 BvR 538/06) Das Magazin hatte im April 2005 einen Artikel eines freien Mitarbeiters über den Terroristen Abu Mussab el Sarkawi veröffentlicht, in dem aus einem internen, als Verschlusssache gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) ausführlich zitiert wurde. Nachdem im BKA nicht ermittelt werden konnte, wie der Bericht nach außen gelangt war, ordnete das Amtsgericht Potsdam rund ein halbes Jahr später die dann erfolglose Durchsuchung der Büro- und Wohnräume des Journalisten sowie der "Cicero"-Redaktion an. Zur Begründung hieß es, dem Journalisten und dem "Cicero"-Chefredakteur Wolfram Weimer sei bekannt gewesen, dass die Weitergabe des Berichts durch einen BKA-Mitarbeiter in der Absicht erfolgt sei, den geheimen Inhalt in der Presse zu veröffentlichen. Sie seien deshalb der Beihilfe zum Geheimnisverrat verdächtig.

Dem widersprach das Bundesverfassungsgericht. Für solch einen Eingriff in die Pressefreiheit müssten vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Geheimnisträger die Veröffentlichung geschützter Informationen wollte. Erst dann könne ein Journalist wegen Beihilfe verfolgt werden. Laut Karlsruhe gab es für diesen Verdacht aber keinerlei Beleg. Das BKA-Papier hätte auch versehentlich oder über eine nicht zur Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangt sein können. Zudem gebe es die Möglichkeit, dass ein Geheimnisträger dem Journalisten nur Hintergrundinformationen gegeben habe, die gegen Absprachen veröffentlicht wurden. In all diesen Fallkonstellationen liegt den Verfassungshütern zufolge keine Verrat eines Geheimnisträgers vor und damit auch keine Beihilfe durch einen Journalisten. Staatsanwälte hatten es dem Gericht zufolge bislang in der Hand, das Grundrecht der Pressefreiheit und den Informantenschutz allein dadurch auszuhebeln, dass sie einen Journalisten ohne fundierte Belege der Beihilfe zum Geheimnisverrat verdächtigten. Laut Urteil müssen die Gesetze künftig so ausgelegt werden, dass allein die Veröffentlichung von Geheimnissen noch nicht für eine Durchsuchung ausreicht.

Zu fordern seien vielmehr "spezifische tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass ein Geheimnisträger die Veröffentlichung wollte. Vertreter von Journalistenorganisationen und Zeitungsverlegern begrüßten die Entscheidung. Der Journalist Hans Leyendecker vom "Netzwerk Recherche" sagte in Karlsruhe, das Urteil "sichert den Informantenschutz und damit unsere Arbeit". Die Entscheidung werde auch Einfluss haben etwa auf die weitere Berichterstattung des BND-Untersuchungsauschusses im Fall des in Guantanamo festgehaltenen Bremer Türken Murat Kurnaz. Staatsanwälten werde es nicht mehr möglich sein, gegen Journalisten wie bislang vorzugehen. "Cicero"-Chefredakteur Weimar sagte nach der Urteilsverkündung, es sei gut, dass Karlsruhe "so klare Grenzen zieht". Die Razzia in seiner Redaktion habe bundesweit Informanten und Kollegen verunsichert und zu "Mechanismen der Selbstzensur" geführt.