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Satirezeitung «Canard» macht französischen Politikern zu schaffen

«Eine Zensur gibt es in Frankreich heute nicht mehr, dafür aber einen starken Hang zur Selbstzensur, und das ist eigentlich viel schlimmer», sagt Chefredakteur Claude Angeli.

Paris (dpa) - Mittwochs schlagen französische Politiker manchmal mit leichtem Unbehagen die Zeitungen auf. Anlass zur Sorge ist ein Wochenblättchen auf billigem Papier, das aussieht wie eine schlecht gemachte Schülerzeitung aus den 80er Jahren: Zweifarbdruck, kaum Fotos, Schrifttypen-Wirrwarr. Die Satirezeitung «Le Canard Enchaîné», die schon reihenweise Politiker aus dem Amt gehebelt hat, ist eine Institution in Frankreich. Gegründet wurde sie während des Ersten Weltkriegs aus Protest gegen Zensur und Propaganda. «Eine Zensur gibt es in Frankreich heute nicht mehr, dafür aber einen starken Hang zur Selbstzensur, und das ist eigentlich viel schlimmer», sagt Chefredakteur Claude Angeli.

Wegretuschierte Speckröllchen an den Hüften des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, der Verzicht auf die Meldung, dass dessen damalige Frau Cécilia bei der Präsidentschaftswahl ihre Stimme nicht abgegeben hat - Beispiele für Selbstzensur französischer Medien gibt es genügend. «Im "Figaro" werden Sie sicher nichts über die Probleme beim Verkauf des Kampfflugzeugs Rafale lesen», sagt Angeli. Kein Wunder, das Blatt gehört dem Rüstungsindustriellen Serge Dassault, dessen Konzern die Rafale entwickelt hat.

Angeli ist seit 37 Jahren beim «Canard Enchaîné» - lange genug, um sich ein hervorragendes Kontaktnetz aufzubauen. Der «Canard» hat schon zahlreiche Skandale aufgedeckt, weil ihm Informationen gesteckt wurden, die die Betroffenen lieber vertuscht hätten. Die Quelle sind häufig frustrierte Regierungsbeamte oder Politiker, die ihren Feinden schaden wollen. «Es gibt überall gerne Menschen, die gerne tratschen», meint Angeli und lächelt diskret. Seine Zeitung veröffentlicht allerdings nichts, was die Redakteure nicht selbst überprüft haben. Das kann auch schon mal mehrere Monate dauern, wie etwa im Fall der gefälschten Wählerlisten in Paris.

Zu den größten Skandalen, die Angeli für den «Canard» aufgedeckt hat, gehören die sogenannten Diamanten von Bokassa. Der damalige französische Präsident Valéry Giscard d'Estaing habe vom selbst ernannten zentralafrikanischen Kaiser Bokassa 30 hochkarätige Diamanten erhalten und sich von ihm außerdem auf luxuriöse Großwildjagden einladen lassen, berichtete der «Canard» 1979. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit, in dem die Zeitung bei ihrer Version blieb und Giscards Ansehen erheblich beschädigt wurde. Zwei Jahre später verlor Giscard die Wahl.

Die Liste der vom «Canard» bloßgestellten Politiker ist lang: Dort findet sich auch der ehemalige Premierminister Alain Juppé, der sich als hochrangiger Angestellter der Stadt Paris eine schicke Wohnung weit unterhalb des Marktpreises verschafft hatte. Erst kürzlich verlor der Kabinettsdirektor der Wohnungsbauministerin seinen Posten, weil er ebenfalls eine auffallend niedrige Miete für eine edle Dienstwohnung im Zentrum von Paris zahlte.

Vermutlich hat der «Canard» auch deswegen solchen Erfolg, weil es in Frankreich keine aggressiven Boulevardzeitungen gibt. Es gibt auch durchaus Sex im «Canard», allerdings typisch französisch, raffiniert verpackt in Form von Wortspielen. In der Spalte «Aus dem Album der Comtesse» finden sich eine Reihe scheinbar belangloser Sätze, die sich als handfeste Schweinereien lesen lassen, wenn man nur die richtigen Buchstaben vertauscht. Zum guten Ton gehört es allerdings, sich darüber zu amüsieren, ohne die Lösung auszusprechen.

Sarkozy ist für die 14 politischen Redakteure und acht Karikaturisten ein gefundenes Fressen. Mit scharfer Feder und sanfter Ironie deckt die Zeitung Woche für Woche die Schwächen und Ungereimtheiten des Präsidenten auf. Besonders beliebt ist derzeit die fiktive Kolumne «Tagebuch der Carla B.», in der die Präsidentengattin die politischen Ereignisse an der Seite von «Nic» kommentiert. Seit der Amtsübernahme Sarkozys ist die Auflage des Satireblatts spürbar gestiegen, von manchen Ausgaben wurden über eine halbe Million Exemplare verkauft.