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Alfons Pieper: „Zeitungsmarkt ist von einer Schwindsucht befallen“

„Zeitungskrise? Typisch, rufen die Kritiker der Medien, die Journalisten schreiben mal wieder alles runter, bis es kaputt ist. Dabei ist die Krise da, sie muss nicht herbeigeredet werden. Was nicht bedeutet, dass die Zeitungen vor ihrem nahen Ende stehen, aber die Zeichen stehen auf Sturm, der den Verlegern und Journalisten ins Gesicht bläst“, schreibt Alfons Pieper, lange Jahre stellvertretender Chefredakteur der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ in Essen, in einem Debatten-Beitrag für NEWSROOM.

Bonn - Das Ende der linksliberalen „Frankfurter Rundschau“ und der feinen „Financial Times Deutschland“ sind klare Alarmsignale, die durch Zahlen belegt werden. Lag die tägliche Auflage der Blätter vor zehn Jahren noch bei gut 23 Millionen Zeitungen, so ist sie heute auf 18 Millionen gesunken, zieht man den Vergleich über die letzten 20 Jahren, so wurde die Auflage gar halbiert. Der Zeitungsmarkt ist von einer Schwindsucht befallen, die ihn seit Jahrzehnten schwächt. Aber, um das gleich klarzustellen, es liegt nicht nur am Internet, dass sowohl die Auflagen wie die Anzeigen drastisch zurückgegangen sind.

Der Journalist Wulf Schmiese, einst Redakteur bei der FAZ und heute beim Fernsehen beschäftigt, zieht einen historischen Vergleich, um den Niedergang der Printmedien zu beschreiben. Wie groß das Massengrab werde, könne nur spekuliert werden, so Schmiese in der Zeitschrift „Cicero“. Fest stehe jedoch, „dass die gedruckten Zeitungen nicht die Ersten wären, die den Sprung in die Moderne verfehlen. Vor rund 100 Jahren schaffte es nur ein einziger Kutschenhersteller, die aufkommende Automobilindustrie zu überleben- indem er selbst auf Pferde verzichtete“. Schmiese hat den Kutschhersteller Karmann als den ausgemacht, der später mit dem Bau von Autos Geld verdiente. Aber Karmann ist heute auch längst pleite, wenngleich aus anderen Gründen.

Ein Leben ohne Tageszeitung unmöglich

Aber sind Zeitungen wirklich unfähig, sich in die Moderne zu transferieren? Stehen Zeitungen, verglichen mit der Geschichte von Kutsche und Auto, wirklich etwa im Jahre 1910? Schmiese behauptet das. Und einem gelernten Zeitungsmann wie mir wird angst und bange bei solchen Gedankenspielen. Ich bin, wie viele andere der älteren Generation, ein leidenschaftlicher Zeitungsleser, der jeden Morgen zum Frühstück zwei Blätter liest, den heimischen „Bonner Generalanzeiger“ und anschließend die „Süddeutsche Zeitung“. Ein Leben ohne Zeitung, die jeden Morgen gegen fünf Uhr im Postkasten liegt?  Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich anschließend ins Internet gehe und lese, was der „Berliner Tagesspiegel“ zu bieten hat, oder die „FAZ“, oder die „Bildzeitung“, oder auch die „WAZ“, eine der großen Regionalzeitungen, für die ich über 30 Jahre gearbeitet habe.

Ich finde im Internet die Auflagenzahlen der WAZ, die so genannten IVW-Zahlen, also offizielle Zahlen der Verlage. Im dritten Quartal 2012 betrug demnach die Auflage der WAZ-Mediengruppe in NRW -  also „Westdeutsche Allemeine Zeitung“, „Neue Ruhr Zeitung / Neue Rhein Zeitung“, „Westfälische Rundschau“, „Westfalenpost“ und „Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung“ - 711.097 verkaufte Exemplare, ein Rückgang von 5,3 Prozent im Vergleich zum dritten Quartal 2011. Der ältere Leser wird sich noch gut daran erinnern, dass allein die WAZ einst (vor 25 Jahren) eine Druckauflage von 700.000 Exemplaren hatte.

 

Alfons Pieper, Jahrgang 1941, war Parlamentskorrespondent für die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" und die "Augsburger Allgemeine" in Bonn, später viele Jahre stellvertretender Chefredakteur der WAZ in Essen und schließlich Chefkorrespondent der WAZ in Berlin. Für den Blog "Wir in NRW" hat er den Medienprojektpreis 2010 für kritischen Journalismus der Otto Brenner Stiftung erhalten, das Medium Magazin hat ihn ebenfalls 2010 zum "Regionalen Chefredakteur des Jahres" ernannt. Er ist Herausgeber vom Buch "Wir-In-NRW - Der Blog: Von Maulkörben und Maulwürfen".

Der negative Trend hat viele Blätter erfasst. Und die Verlage haben versucht, die wegbrechenden Auflagen und Anzeigen und damit die sinkenden Erlöse durch Stellenkürzungen auszugleichen. So kündigte die WAZ vor einigen Jahren an, 300 Stellen - von insgesamt über 800 - im redaktionellen Bereich abzubauen, um 30 Millionen einzusparen. Damit steht die WAZ nicht allein. Gab es im Jahr 2000 noch rund 15.300 Redakteure bei Tages- und Wochenzeitungen, so waren es in diesem Jahr gerade noch 13.000. Wobei anzumerken ist, dass die Aufgaben für die Journalisten in diesem Zeitraum größer wurden, denn Online kam hinzu.

Lust auf Zeitung hat abgenommen

Die Lust auf Zeitung, die die ältere Generation noch hat, hat bei den Jüngeren abgenommen. Zunächst bedienten sich die Jüngeren bei den privaten Lokalrundfunk- oder Fernsehsendern, die neben den öffentlich-rechtlichen auf den Markt kamen. Daran waren oft die Zeitungsverleger beteiligt, sie konnten die durch die Zeitungen entstandenen Miese hier einigermaßen wettmachen.

Krise am Arbeitsmarkt trifft Zeitungsverlage

Einige Verlage litten und leiden auch unter der Krise am Arbeitsmarkt, die sich vor allem im Ruhrgebiet bemerkbar machte. Wer seinen Job verlor, erkannte in seiner Heimatzeitung plötzlich einen Luxusartikel, auf den man verzichtete, um das Loch in der Haushaltskasse schließen zu helfen. Dabei ist die Zeitung sicher ein kostbares Gut, das aber gemessen am Angebot nicht zu teuer ist. Aber die zunehmenden Single-Haushalte übernahmen oft nicht mehr das Abo der Eltern nach deren Tod, wie das früher war. Sie kündigten und griffen nur noch am Wochenende gelegentlich zur Zeitung. Die schwindende Bevölkerung im Ruhrgebiet tat ihr übriges. So sank die Einwohnerzahl der einst größten Stadt des Reviers, Essen, von 731.000 im Jahre 1962 auf heute rund 570.000. Der Markt schrumpft, auch für die überregionalen Tageszeitungen. Sie verloren im Zeitraum zwischen 2000 und 2008 ein Drittel ihrer Leser ein.

Printmedien haben Online völlig unterschätzt


Die geschilderten Probleme gab es, ehe Online zur Konkurrenz der Printmedien wurde. Und diese Konkurrenz haben sie völlig unterschätzt. Ein Politologe und Soziologe aus dem Düsseldorfer Raum wurde in den 90er Jahren von einer größeren Journalistenschar mitleidig belächelt,  als er auf das neue Medium Online hinwies und auf Gefahren und Risiken aufmerksam machen wollte, wie zum Beispiel, dass das Netz schneller sei als Print. Die Zeitungen müssten sich überlegen, wie sie damit umgingen. Ahnungslos stellte man redaktionelle Inhalte kostenlos ins Netz, für die die Print-Leser aber zahlen mussten.  Dann wurden Online-Ressorts gebildet, aus dem Bestand der Redaktionen, die so zahlenmäßig geschwächt wurden. Mal hieß es „online first“, dann umgekehrt. Mal übernahmen Chefredakteure von Print-Zeitungen die Leitung der Online-Redaktionen  mit der Folge, dass beide Medien-Formate darunter litten. Hin und her ging es, niemand hatte ein Konzept geschweige eine Lösung.

Zeitungen und Blogs müssen sich ergänzen

Zeitungen also die Medien von gestern, das Netz, die Blogs als die neuen Medien? Es ist falsch, Zeitungen und Blogs als Konkurrenten anzusehen. Sie müssen sich ergänzen. Blogs können Zeitungen nicht ersetzen, sie können ihnen zusetzen,  dort, wo die Redaktionen versagen, wo sie zu gefällig sind der Obrigkeit gegenüber, wie das in den Jahren der Rüttgers-Regierung war, wo sie nicht mehr die Kontrolle der Politik ausübten, sie kritisierten, wo es nötig und geboten war, sondern ihnen den Hof machten. Dadurch haben sie an Glaubwürdigkeit verloren und Jürgen Rüttgers auch nicht das Amt sichern können. Ähnliches spielte sich ein paar Monate später ab, als Karl-Theodor von und zu Guttenberg wegen seiner so genannten Doktorarbeit ins Gerede kam. Selbst die massive Unterstützung durch die mächtige Bildzeitung konnte dem Verteidigungsminister und CSU-Politiker nicht vor seinem Sturz bewahren, weil die Internet-Gemeinde ihm nachwies, dass er wesentliche Teile der Doktorarbeit irgendwo abgeschrieben hatte. Wegen dieser Plagiate musste er gehen, es half auch nicht, dass der Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo beschwichtigend meinte, Minister könne er bleiben. Der Jura-Professor, der seine Dissertation im nach hinein noch einmal auf ihre Qualität bewerten musste, stellte fest: „Wir sind einem Betrüger aufgesessen.“

Zeitungen haben Deutungshoheit verloren

Diese Fälle zeigen, dass die Zeitungen die Deutungshoheit verloren haben. Sie sollten auch nicht zu häufig von Qualitätsjournalismus reden, sondern zunächst ihre Hausaufgaben machen. Dazu zählt, dass der Journalist aufschreibt, was ist, und nicht, was er gerne hätte, die abgeklärte Berichterstattung, die Nachricht ist der Kern und nicht die Inszenierung. Der Medien-Experte der Friedrich-Ebert-Stiftung, Norbert  Bicher, selbst langjähriger Reporter und Parlaments-Korrespondent, später Pressechef zunächst von SPD-Fraktionschef und danach von Verteidigungsminister Peter Struck, erinnert an den legendären Egon Erwin Kisch und zitiert einen kurzen Satz, der alles sagt: „Schreib das auf Kisch“.

Das Internet ist da und wird nicht mehr verschwinden. Damit müssen die Verlage, die Redaktionen umzugehen lernen. Ob es ein erfolgreiches Mittel ist, wie Springer das jetzt plant, die Inhalte der Blätter im Netz nur noch gegen einen Kostenbeitrag der Nutzer abzugeben, wird sich zeigen. Die Sorge schwingt mit, dass Nutzer, also Leser abspringen. Und was machen sie dann?

 

Unser Gastautor Alfons Pieper, früherer stellvertretender Chefredakteur der WAZ, ist auch Herausgeber vom Buch "Wir-In-NRW - Der Blog: Von Maulkörben und Maulwürfen".

 

Wer erklärt den Menschen die Politik?

Was macht eigentlich die Politik ohne die Printmedien? Wer stellt die Verbindung zu den Bürgerinnen und Bürgern, also den Wählerinnen und Wählern her, wer erklärt den Deutschen künftig die Politik von CDU, SPD, den Grünen, der FDP, den Linken, den Piraten? Als ich vor Tagen einen Medien-Politiker der SPD danach fragte, winkte er ängstlich ab und bat, diese Sache nicht noch heraufzubeschwören.

Aber da muss man nichts heraufbeschwören, die Sache ist da. So warnte der Herausgeber der FAZ, Werner D´ Inka kürzlich in einem Kommentar zum Ende der Frankfurter Rundschau, „wenn die letzte anständige Zeitung verschwunden ist, bleibt nur noch das Geschwätz.“  Aber Herr D´ Inka, mit dieser Beschwörungsformel lösen sie auch nichts! Sie müssen sich schon mal die Mühe geben - und das müssen alle Verlage in Deutschland -, sich neue Geschäftsmodelle zu überlegen und Geld in die Hand nehmen und ins Netz investieren. Mit Stellenabbau, dem Einstellen des Berliner Büros  und Klagen und Beschwörungen ist es nicht getan.

Verlage haben gesellschaftliche Verantwortung

Mit Zeitungen ließ sich früher viel Geld verdienen, Milliarden wurden erlöst, aber Vorsicht:  Verlage sind nicht mit der Automobilindustrie zu vergleichen und können auch nicht so geführt werden wie ein Konzern, der Seife verkauft. Verlage haben auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Viel Zeit zum Gegensteuern haben sie nicht, sonst werden sie eines Tages verschwinden wie die Kutschen, die heute nur noch Touristen in Wien und Salzburg dienlich sind oder beim Schützenfest in Iserlohn bejubelt werden. 

Eine Umfrage der Deutschen Post besagt, dass die überwiegende Mehrheit der Verlags-Manager selber, die für die Stellenkürzungen in den Redaktionen verantwortlich sind,  nicht an ein Überleben der Zeitungen glaubt. Immerhin 88 Prozent  von ihnen sehen das Ende von Abo-Zeitungen und Zeitschriften voraus. Die Leser scheinen mehr Hoffnungen zu haben. Nur jeder vierte von ihnen befürchtet, in zehn Jahren auf seine Abo-Zeitung verzichten zu müssen.

Alfons Pieper

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