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NEWSROOM EXKLUSIV: WAZ-Mediengruppe überrascht mit schnellem Umbau in der Führungsriege

Stühlerücken in der WAZ-Mediengruppe. Ulrich Hölscher, langjähriger Weggefährte von Günther Grotkamp, hat das Unternehmen bereits mit unbekanntem Ziel verlassen. Frank Fligge gibt seinen Posten als stellvertretender Chefredakteur der "Westfälischen Rundschau" auf. Nachfolger wird Lars Reckermann, bislang Redaktionsleiter der WR Unna.

 

Essen - Der Regen im Ruhrgebiet bietet im Moment nur zwei Optionen. Die erste, gemütliche Möglichkeit besagt, die Decke über den Kopf zu ziehen und den Tag genüsslich im Bett zu verschlafen. Die anstrengendere und aktivere Alternative verführt zum Arbeiten. Wie bei der WAZ Mediengruppe, die im Moment viele Management-Entscheidungen der vergangenen Jahre über Bord wirft und versucht, das Schiff auf Kurs zu bringen. Die Geschäftsführer Christian Nienhaus (52) und Manfred Braun (59) müssen viele Entscheidungen treffen, die Zeit drängt.

Ein Bootsmann, der seit fast 30 Jahren mit Günther Grotkamp (85) an einem Strang gezogen hat, ist Ulrich Hölscher. Nie hat sich Zahlenmensch Hölscher, inzwischen 56 Jahre alt, in den Vordergrund gespielt.

Mit gerade einmal 28 Jahren kam Ulrich Hölscher 1984 als stellvertretender Leiter der Steuerabteilung zur WAZ. Später lenkte er die Abteilung, in den 90er Jahren waren es dann Führungsaufgaben in den unterschiedlichsten Tochtergesellschaften des Hauses; Hölscher war der hauseigene "Feuerwehrmann" - immer bereit, auch in Krisenmomenten einen kühlen Kopf zu wahren und Verantwortung zu tragen.

So kam er unter anderem zum Zeitungsverlag Iserlohn ("Iserlohner Kreisanzeiger und Zeitung", "IKZ-Online.de"), dort neben dem legendären Verleger Klaus-Harald Wichelhoven, oder zur Zeitungsgruppe Thüringen ("Thüringer Allgemeine", "Allgemeiner Anzeiger"), dort neben Martin Jaschke und Klaus Schrotthofer, dem ehemaligen Sprecher von Bundespräsident Johannes Rau.

Hölscher, der die WAZ zum Beispiel auch beim Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) vertrat, begeisterte im Konzern, weil er seine Aufgaben stets elegant erfüllte, das Wohl der Mitarbeiter und der Eigentümer im Blick hatte, wissen Weggefährten.

Schon 1998, noch für Erich Schumann und Günther Grotkamp, lenkte Hölscher in Essen die Konzernsteuerung. Und als Bodo Hombach fast zehn Jahre später die Geschäftsleiterebene, die zweite Führungsebene im Konzern, vorstellte, war es wieder Ulrich Hölscher, der die Gesamtkoordination der Führungsebene übernahm, zusätzlich zu seinen Aufgaben in den Bereichen Steuern, Revision und Recht.

Umso überraschender kommt sein Abgang, den das Unternehmen gestern Abend auf NEWSROOM-Anfrage offiziell bestätigte. Hölscher, so heißt es in Essen, habe "das Haus in beiderseitigem Einvernehmen" verlassen, und zwar zum 31. Mai 2012.

Günther Grotkamp, dessen Ehefrau Petra gut 66,6 Prozent des Konzerns gehören, hat es zugelassen, dass ein erfahrener Mitarbeiter dem Haus den Rücken kehrt. Der alte Kapitän wird es verschmerzen, für ihn war der Konzern schon immer wichtiger als einzelne Personen.

Neun Männer hatte Bodo Hombach Ende 2007 benannt, die in die Geschäftsleiterebene einzogen. Nur noch drei sind an Bord - der heutige Co-Chef Manfred Braun, Joachim Kopatzki, verantwortlich für den Bereich Personal und Dienstleistung und Stephan Künzer, verantwortlich für den Bereich Finanzen, der von Vodafone kam.

Wechsel in der WR-Chefredaktion: Reckermann für Fligge

Welch wichtige Rolle das Lokale für Manfred Braun spielt, beweist eine weitere delikate Personalie, die die Redaktion direkt betrifft. Braun, eigentlich ein Zeitschriftenmann durch und durch, hat das Brot-und-Butter-Geschäft des Konzerns in Rekordzeit verinnerlicht.

Nur wenn die Zeitung den Lesern im Lokalen eine Heimat bietet, halten sie ihr die Treue. Und nur wenn die Zeitung Geld verdient, kann der Verlag in neue Produkte investieren.

Weil Braun klug ist, holt er sich einen ausgewiesenen, preisgekrönten Fachmann aus den eigenen Reihen direkt in sein persönliches Umfeld, um sich von ihm beraten zu lassen, aber auch um einen kompetenten Ansprechpartner für alle Journalisten im Haus zu haben, von denen einige lieber an Angela Merkels Tafelrunde dinieren als in Essen-Werden dem neuen Schützenkönig des "BSV Gut Ziel" zu gratulieren.

Frank Fligge, Jahrgang 1969, verlässt dafür seinen Posten als stellvertretender Chefredakteur der "Westfälischen Rundschau", den er seit Dezember 2009 innehat. Sein Nachfolger bei der WR wird Lars Reckermann, bislang Redaktionsleiter der WR in Unna, ebenfalls ein Journalist mit vielen kreativen Ideen und großem Interesse an der Weiterentwicklung der lokalen Redaktionen, der Herzkammer der Regionalzeitung.

Fligge hat an der WAZ-Kaderschmiede, der Journalistenschule Ruhr, volontiert. Er kennt den Konzern und er kennt auch seine Chefredakteurskollegen und ihre Eigenarten.

Spannend bleibt die Frage, wer am Ende auf wen welche Weisungsbefugnis hat, um tatsächlich eine erfolgreiche Regionalzeitung zu gestalten.

Bei der WR konnte Fligge mit Chefredakteur Malte Hinz Hand in Hand arbeiten; die WR gilt im Lokalen als eines der innovativeren WAZ-Blätter, erst kürzlich hat eine Jury die Zeitung mit dem KAS-Lokaljournalistenpreis ausgezeichnet. Einzig - die WR verdient kein Geld, schreibt rote Zahlen.

Viel hängt vom mächtigen WAZ-Chefredakteur Ulrich Reitz ab, um den es in den vergangenen Wochen verdächtig still geworden ist. Sein großer Traum, mit einer stattlich bestückten Mantelredaktion aus der WAZ eine Süddeutsche aus dem Westen zu machen, scheint mit der Rolle rückwärts ins Lokale jedoch endgültig ausgeträumt zu sein.

Bislang wird Reitz ein ausgesprochen herzliches Verhältnis zum sympathischen Fligge nachgesagt. Ob der Düsseldorfer dem Iserlohner aber auch beim Weg zurück ins Lokale folgen wird?

Fligge, bemerkt ein Vertrauter, könne gut zuhören, messerscharf kombinieren, Menschen für sich gewinnen. Er muss die Redakteure im Haus überzeugen, dass eine regionale Tageszeitung Zukunft hat. Holt er sie auf seine Seite, kann auch das Konzept, das in der Schublade liegt, getrost hervorgeholt und der Essener Verlag mit seinen rund 15.000 Mitarbeitern in eine börsenfähige Kommanditgesellschaft auf Aktien umgebaut werden.

Mit dem neuen Plan für die WAZ-Zeitungen ("Westdeutsche Allgemeine Zeitung", "Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung", "Westfalenpost") wird es fast so sein, als ob es die vergangenen vier Jahre im Unternehmen nicht gegeben hätte. Alles auf Anfang.

Bülend Ürük

Bei der WAZ Mediengruppe passiert unheimlich viel. Sie haben Informationen, Tipps, Themen? Ihre Einschätzungen - natürlich auch vertraulich - bitte per Mail direkt an chefredaktion@newsroom.de.