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Fernsehtipp: "Ein deutscher Boxer" - Die Geschichte des Charly Graf

Aus der Haft heraus startete er sein Comeback als Boxer: Charly Graf aus Mannheim. Seinen letzten Titelkampf verlor er - zu Unrecht, hieß es schon damals. 26 Jahre später erhielt er in Hamburg anlässlich eines TV-Dokumentarfilms doch noch seine Plakette.

Hamburg - In der "Grünen Minna" vom Gefängnis zum Boxring: Aus der Haft heraus startete Charly Graf Mitte der 80er Jahre sein Comeback als Boxer. "So etwas gab's noch nie. Und ich glaube auch nicht, dass es so etwas noch mal geben wird", sagt Ex-Box-Promoter Ebby Thust in einem Dokumentarfilm, den das "Erste" am Dienstagabend (23.45 Uhr) zeigt. Der Profiboxer Graf saß jahrelang hinter Gittern und durfte als erster Häftling in Deutschland zu einem Boxkampf antreten. 1985 wurde er deutscher Meister im Schwergewicht, verlor dann seinen Titel - obwohl viele Zuschauer ihn als Sieger sahen.

Erst 26 Jahre später erhält der heute 60-Jährige, der sich nach jener Niederlage zurückzog und in eine tiefe Depression fiel, doch noch die Plakette: Dokumentarfilmer Eric Friedler ("Das Schweigen der Quandts", "Aghet", "Der Sturz") hatte auch den damals zum Sieger erklärten Thomas Classen interviewt. "Jetzt habe ich mir den Kampf noch mal angeguckt und muss sagen: Charly Graf, du bist deutscher Meister", erklärt dieser. Als der Norddeutsche Rundfunk (NDR) seine Produktion nun in Hamburg vorstellte, trafen beide wie schon im Film noch einmal aufeinander: Classen überreichte Graf die Plakette, die für den Mannheimer damals weit mehr bedeutete als ein Titel.

"Mein Name ist Charles Graf, ich bin geboren am 16.11.1951 in Mannheim. Die meisten sehen mich als Boxer mit einem beschränkten Horizont. Und für mich sind die Siege, wenn ich sie in ihrer Haltung zerstöre." Ganz ruhig sitzt Graf im Film vor Friedlers Kamera und erzählt von seinem Leben.

Graf wächst in den 50er Jahren allein bei der Mutter, einer ungelernten Arbeiterin, im sozialen Brennpunkt Mannheim-Waldhof auf. Der Vater - ein US-Soldat - hatte Deutschland längst verlassen. Seine dunkle Hautfarbe macht Charly zum Außenseiter. "Neger, Neger! Ich musste immer kämpfen", sagt er. "Bei mir war es ein Kampf, einfach um klar zu machen, dass ich ein Mensch bin." Der Schwarze, der geistig beschränkt ist - auf solche Vorurteile sei er immer wieder gestoßen.

Trotz früher Box-Erfolge landet Graf, der seine Anerkennung im Mannheimer Rotlichtmilieu sucht und findet, regelmäßig im Gefängnis. "Ich hatte keinerlei Schuldgefühle", sagt er, der später zum Sozialarbeiter wird, rückblickend. "Es gibt ja diesen Spruch resozialisieren. Das "Re" ist falsch: Man kann niemanden resozialisieren, der in der Vergangenheit nicht sozialisiert war." Graf: "Das war ich bis dato noch nie. Ich war ein hochgradiger egoistischer, asozialer Mensch, was mir aber gar nicht bewusst war."

In der Justizvollzugsanstalt Stammheim trifft er in den 80er Jahren schließlich den Ex-RAF-Terroristen Peter-Jürgen Boock. Dieser erinnert sich im Film an das Kennenlernen in der Haft: "Wenn mir mal jemand zehn Jahre vorher gesagt hätte: Du wirst mal im siebten Stock in Stammheim mit einem Menschen aus dem Mannheimer Milieu, der da als Zuhälter und Geldeintreiber tätig war, ins Gespräch kommen und deine Runden laufen, hätte ich gesagt: Und sonst noch was? Es war schon eine sehr auseinanderklaffende Biografie, die da jeder mitbrachte."

Diese Begegnung beschreibe eine entscheidende Phase in Grafs Leben, erklärte Friedler in einem NDR-Interview. "Nämlich den Moment, an dem er sich entscheiden muss, ob er als Krimineller oder Sportler weiterleben will." Mit Boocks Unterstützung gelingt ihm ein Comeback. Graf ist entschlossen, wieder in den Ring zu steigen und trainiert eisern hinter Gittern. Er holt sich den Titel - und schon wenige Monate später verliert er ihn erneut. Grimme-Preisträger Friedler: "Am Ende unseres Films wird auf gewisse Weise dieser Teil der Boxgeschichte neu geschrieben".

Dorit Koch