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Weil Bürgerreporter immer besser werden: CNN entlässt Mitarbeiter - deutscher Sender will Beispiel folgen

Zeitenwende bei der Mutter aller Nachrichtensender. Weil die Qualität der Bürgerreporter immer besser wird, baut CNN in den USA Personal ab und entlässt bis zum Jahresende 64 Mitarbeiter. Auch in Deutschland überlegt ein Fernsehsender konkret, mehr Bilder von Bürgerreportern einzusetzen.

Atlanta - Es ist gerade einmal fünf Jahre her, als CNN seine Zuschauer zum Mitmachen, zum Einsenden von Videomaterial aufgerufen hat. Die iReporter sind heute aus dem Programm nicht wegzudenken, ihre Videos werden in die Beiträge der Redaktionen direkt eingebaut und verwendet.

Weil sich die Zuschauer angeblich an die Youtube-Optik der unperfekten Bilder gewöhnt haben und weil die Qualität der privaten Kameras immer besser wird, setzt CNN jetzt vor allem Videojournalisten, Fotografen und Reporter vor die Tür. Für den Sender ist es zu verlockend, auf die kostenfreien Aufnahmen der Bürgerjournalisten zu setzen und ihre Informationen in Twitter und anderen sozialen Netzwerken anzuzapfen.

 

CNN-Logo

 

"Wir haben die vergangenen drei Jahre unser Programm genau analysiert. Die Zeiten haben sich geändert, die Qualität, die Bürgerjournalisten, die unsere iReporter liefern und hochladen, ist enorm gestiegen", sagt CNN-Vize-Präsident Jack Womack zu newsroom.de.

Auf nach Atlanta

Wer CNN verstehen will, muss zu seinem Gründungsort, muss nach Atlanta, Georgia fliegen und sich im Herzstück des Nachrichtensenders umschauen. Im CNN Center laufen alle Nachrichten zusammen, hier wird entschieden, was gezeigt wird, hier werden die Themen des Tages gesetzt.

Der Blick aus der CNN-eigenen Nobelherberge Omni Hotel ist phänomenal, in dem Koloss aus Stein, Marmor und Glas befinden sich die Philips Arena, in dem das NBA-Team Atlanta Hawks spielt, und das Kongresszentrum, das Stadtzentrum von Atlanta ist in wenigen Minuten fußläufig erreichbar, das American-Football-Stadion Georgia Dome, das über 71.000 Besucher fasst, die Coca-Cola-Welt und das Aquarium befinden sich um die Ecke.

Im deutschsprachigen Raum gibt es kein Medienhaus, das annähernd diese Dichte von Unterhaltung, Nachrichten, Kommunikation und Multi-Media bietet wie das CNN-Center. Selbst das Axel-Springer-Hochhaus in Berlin, inzwischen nicht nur das Zuhause von Bild, sondern auch von dpa und TV Berlin, wirkt winzig im Vergleich zum Stammsitz von Cable News Network.

 

Jack Womack

 

"Wir lieben CNN", sagt ein leitender Redakteur der Tageszeitung "The Atlanta Journal-Constitution" zu newsroom.de. Die historische Underground Mall, das Einkaufszentrum unter der Innenstadt, in dem wir das Gespräch mit dem Redakteur führen, ist überfüllt, Touristen aus dem ganzen Land sind vor Ort, Mütter und Väter schleppen überdimensionierte Einkaufstüten zu ihren Wagen, es ist Vor-Vor-Weihnachtszeit. Wer wissen möchte, wie es Amerika geht, erfährt es in dieser Mall. 

"Der Sender", so der Kollege der bedeutendsten Tageszeitung der 400.000 Einwohner-Stadt, "prägt im Ausland das Bild der USA und das Auslandsbild in den USA. Er erreicht aber nicht mehr die normalen Amerikaner, die interessieren sich leider immer weniger für Nachrichten."

Sammelstelle für Weltnachrichten

Dabei funktioniert CNN weiterhin - über 30 Jahre nach dem Start - als die Sammelstelle für Weltnachrichten.

Gegründet von Fernsehvisionär Ted Turner, gehört es heute zum Nachrichten- und Entertainmentkonzern Time Warner, genauso wie der legendäre Pay-TV-Sender HBO oder das Nachrichtenmagazin Time. Zu CNN zählen neun Einzelsender wie CNN Türk (wird gemeinsam mit der türkischen Mediengruppe Doğan Holding betrieben) oder CNN International, zwei Radiostationen und ein Netzwerk reichweitenstarker Nachrichten-Websites in den USA.

Wer international informiert bleiben möchte, kommt an CNN nicht vorbei. Außer in den USA - dort ist die Konkurrenz seit Jahren so groß, dass die Quoten von CNN immer weiter sinken. Stärkster Konkurrent und aktuell Nummer 1 auf dem Fernsehnachrichtenmarkt ist Fox News aus dem Hause Murdoch, CNN liegt nur auf dem zweiten Platz.

In Deutschland, Österreich und der Schweiz hat der amerikanische Sender eine Reichweite von mehr als 38 Millionen Haushalten, für die TV-Quote ungezählt bleiben die Abrufe im Netz. Doch wer CNN daheim in Innsbruck, St. Gallen oder Bremen schaut und es mit dem Kanal in den USA vergleicht, stellt schnell fest, dass außer dem Namen und dem Logo so gut wie nichts identisch erscheint. CNN in den USA wirkt bunter, lauter und - trotz einiger Meinungssendungen - wesentlich boulevardlastiger; die gründliche Anaylse, der fein komponierte Hintergrundbeitrag hat da nur noch selten Platz, Auslandsstücke sind per se selten.

Keinen Plan für die Zukunft

 

Frederik Pleitgen

 

Wer mit CNN-Kollegen in den Staaten spricht, kommt schnell zu der Erkenntnis, dass diese erste Entlassungswelle, die CNN jetzt erfasst, nicht die letzte bleiben wird.

"Gerade unsere Scoops, unsere Exklusiv-Bilder aus dem Ausland haben sich in Luft aufgelöst. Jeder, der ein wenig Geld hat und eine Kamera in der Hand halten kann, dreht selbst und stellt seine Aufnahmen auf Youtube. Gegen die Masse von Menschen können wir mit unseren Korrespondenten nichts ausrichten. Wir wissen einfach nicht, was wir machen müssen, damit die Leute uns einschalten. Gute Arbeit leisten wir doch bereits", erklärt eine CNN-Redakteurin, die ungenannt bleiben möchte.

Ruhe kehrt nicht ein

Die Mehrzahl der Journalistinnen und Journalisten, die bis Jahresende in Atlanta, New York, Washington, Los Angeles und Miami die Redaktion verlassen müssen, haben ihre Entlassungspapiere bereits erhalten. Ihre Arbeit abseits von Terminjournalismus und Außendrehs sollen die verbliebenen Kollegen in den Redaktionen übernehmen. Doch Ruhe kehrt bei den weltweit 4.000 Mitarbeitern auch so kurz vor Weihnachten nicht ein.

Dafür war 2011 ein zu anspruchsvolles Nachrichtenjahr. Arabellion, Fukushima-GAU, Wahlen in Russland, Tod des nordkoreanischen Diktators Kim Jong Il - anstrengend bis zum Umfallen für die Teams des US-Kanals mit der internationalen Ausrichtung. Gerade die bekannten Gesichter des Senders, die ständig von Krisenherden und Großereignissen auch unter körperlichen Anstrengungen berichten, erlebten 2011 ein Jahr voller journalistischer Höhepunkte.

Frederik Pleitgen ist der wichtigste deutsche Journalist in den USA

Wie Frederik Pleitgen und die Oxford-Absolventin Diana Magnay, die von Berlin aus für CNN berichten. Fred Pleitgen, Sohn des ehemaligen WDR-Intendanten Fritz Pleitgen, ist das deutsche Gesicht, der deutsche Erklärer auf CNN und damit der wichtigste deutsche Journalist in den USA. Star-Moderator Wolf Blitzer zählt in dem Fall nicht, auch wenn er in Augsburg geboren wurde. Pleitgens Einschätzungen werden auch im Weißen Haus geschätzt, für seinen Sender hat der gebürtige Kölner bereits aus Pakistan, aus dem Irak sowie aus Ägypten und Libyen während der Arebellion berichtet.

Wenn es besonders spannend wind, fliegen aber auch andere CNN-Korrespondenten nach Deutschland und berichten ausführlich. Zum Beispiel der aufgedrehte Wirbelwind Richard Quest, ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte, dessen Sendung "Marketplace Europe" heute (22. Dezember) aus Frankfurt am Main ausgestrahlt wird.

 

Cornelia Haß

 

Während Reporter, die für das richtige Bild, das korrekte Archiv und für grundsolide journalistische Arbeiten stehen, entlassen werden, investiert der Sender an anderer Stelle in Image und Prominenz. In Südkorea hat CNN gerade mit dem Bildungskonzern YBM Education sein erstes CNN Café eröffnet. Zu Café au lait und Zitronenkuchen werden hier die neuesten Fernsehnachrichten aus aller Welt serviert. Erstmals hat der Sender zudem im brasilianischen São Paulo ein eigenes Korrespondentenbüro eröffnet, das die ehemalige Italien-Korrespondentin von Reuters, Shasta Darlington, leitet.

Und Champagner soll auf den Chefetagen im CNN-Center bei der Nachricht geflossen sein, dass Christiane Amanpour, die amerikanische Antonia Rados, zumindest teilweise zu CNN zurückkehrt.

Andre Zalbertus: "Bürgerreporter nur Ergänzung"

Von Atlanta direkt ins Herz des Ruhrgebiets, nach Bochum. Hier residiert der Fernsehsender center.tv Ruhr, der rund um die Uhr mit eigenen Sendungen die Bürger im Pott ansprechen möchte, Lokalfernsehen im besten Sinne. Dafür konnte Macher Andre Zalbertus profunde Kenner der Region gewinnen, seit Ende November moderiert sogar der langjährige WAZ-Essen-Lokalchef Wulf "Lupus" Mämpel eine eigene Talk-Sendung, der im Ruhrgebiet so jeden Gast vor die Kamera locken kann.

Den Entwicklungen in den USA mag Andre Zalbertus, Erfinder des Lokalfernsehens center.tv und der Mann, der Videojournalisten im deutschsprachigen Raum überhaupt erst etablierte, so recht nicht glauben: "Bürgerreporter sind eine gute Ergänzung, aber ich glaube nicht, dass sie professionelle Journalisten ersetzen können", sagt Zalbertus im newsroom.de-Gespräch.

 

Andre Zalbertus

 

Klar könne man die Bilder der Bürgerreporter verwenden, sie seien jedoch vor allem dann gefragt, wenn Journalisten die Orte nicht erreichen könnten: "In so einer arabischen Revolution nehme ich jedes Bild, denn jedes Smartphone kann inzwischen extrem gute Bilder machen, wenn ich ein paar Punkte beachte." Nur in solchen Situationen seien jedoch verwackelte Bilder akzeptabel, ansonsten würden die Zuschauer Wert auf Qualität setzen. 2012, so Zalbertus, würden Videos im Netz final ihren Durchbruch erleben. "Vor allem der Start der Huffington Post wird die anderen Medien in Deutschland antreiben."

Cornelia Haß: "Qualität leidet"

Ein Fernsehsender, der für kostenlose Inhalte von Bürgerreportern auf eigenes Personal verzichtet, es sogar entlässt? Stellen streicht, die so nie wiederkommen werden? Arbeit auf den verbliebenen Schultern verteilt?

Klare Worte findet Cornelia Haß in Berlin: "Egal, wie gut die Kolleginnen und Kollegen auch sein mögen: Eine Person kann nicht die Arbeit anderer in ihrer Disziplin gründlich ausgebildeter und erfahrener Fachleute zusätzlich zu den eigenen Aufgaben ersetzen. Auch die Fähigkeit, sich in der redaktionellen Arbeit auf unterschiedliche Komponenten wie Bild, Ton und Inhalt voll zu konzentrieren, dürfte bei niemandem so gut ausgeprägt sein, dass am Ende tatsächlich qualitativ vergleichbare Produkte stehen", befürchtet die Bundesgeschäftsführerin der dju in ver.di. Haß glaubt, dass die Qualität der Medien sinkt, wenn Personal entlassen und die Arbeit in einem kleineren Team aufgeteilt wird.

Auch in Deutschland gibt es mindestens bei einem nationalen Sender aus dem norddeutschen Raum Überlegungen, noch stärker auf Material von Bürgerreportern zu setzen und dafür auf eigene Redakteure zu verzichten. Die Entscheidung dazu soll nach newsroom.de-Informationen im Sommer 2012 fallen. Wir werden berichten.

Bülend Ürük