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DDP

Bundestag besitzt größte Karikaturensammlung Europas

Kohl provoziert die meisten Lacher.

Berlin (ddp). Helmut Kohl füllt die dicksten Aktenordner. Zwischen den mausgrauen Pappdeckeln verbergen sich insgesamt 30 000 Karikaturen, die den «Kanzler der Einheit» auf die Schippe nehmen. «Der Bundeskanzler provoziert immer die meisten Satire-Zeichnungen», erklärt Gerhard Deter. Der Historiker ist der Leiter der Pressedokumentation des Bundestages in Berlin und damit Herr über die größte Karikaturensammlung Europas.

«Wer karikiert wird, hat's geschafft», sagt Deter trocken. In dem fußballfeldgroßen Raum, der mit konstant 18 Grad Celsius und 40 Prozent Luftfeuchtigkeit temperiert ist, sind hunderte Metallregale aneinandergereiht. Zehn Regale beherbergen den Karikaturen-Schatz: gut 500 Aktenordner mit 400 000 Zeichnungen von Politikern.

Die Kohl-Ordner nehmen mehr als ein halbes Regal ein. «16 Jahre Amtszeit hinterlassen auch hier deutliche Spuren», sagt Deter schmunzelnd. Kein Politiker wurde so oft überzeichnet dargestellt wie Kohl. Die Bilderanekdoten über Alt-Kanzler Helmut Schmidt und Außenminister Hans Dietrich Genscher füllen jeweils 13 Ordner, Michail Gorbatschow sind zehn Exemplare gewidmet, Erich Honecker vier. Der letzte DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz und der ehemalige Republikanerführer Franz Schönhuber teilen sich den letzten Platz mit je einem Ordner.

50 Jahre lang wurden die Pointen fein säuberlich aus den Zeitungen geschnitten, auf A4-Blätter geklebt und abgeheftet. Von 1949 bis 1999 entstand die Sammlung durch reine Handarbeit. Seit acht Jahren werden die Satirestücke nur noch elektronisch als PDF-Dateien archiviert und können lediglich ausgedruckt werden.

Täglich werten die 30 Mitarbeiter des Archivs gut 60 regionale und überregionale Blätter aus. Auch Magazine und Wochenzeitungen werden durchstöbert. Das Spektrum reicht vom »Bayernkurier« über «Spiegel», «Frankfurter Allgemeine» und «Neues Deutschland». Sieben Lektoren wählen pro Woche rund 100 Zeichnungen aus und speichern diese ab. »Das Auswahlkriterium ist immer die Bedeutung für die Abgeordneten«, erklärt Deter.

Doch der gebürtige Westfale kann sich an bessere Zeiten erinnern. Denn von dem Angebot wird weniger Gebrauch gemacht als früher. Seit der Digitalisierung der Karikaturen dürfen nur noch die 613 Parlamentarier und rund 4500 Mitarbeiter das Archiv im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus direkt neben dem Reichstag nutzen. »Vor 1999 waren am Tag bis zu 80 Leute bei uns, Journalisten, Wissenschaftler und manchmal auch Schüler«, sagt Deter. Dann schiebt er nach: »Heute können sie sich nicht mehr damit beschäftigen".

Grund für die Zwangsabstinenz sind schärfere Regeln. »Das Urheberrecht erlaubt uns nicht, die Sammlung zu veröffentlichen und beispielsweise Ausstellungen zu organisieren«, sagt Deter. »Obwohl der Steuerzahler viel Geld für uns ausgibt.« Das Budget für den Ankauf der Rechte von den Verlagen sei ausgeschöpft. Als weitere Folge wurde Ende 2006 einige internationalen Zeitungen aus Kostengründen abbestellt.

An der Auflösung des Archivs führt langfristig ohnehin kein Weg vorbei. Die Papierkarikaturen sollen allmählich digitalisiert oder analog auf Mikrofilm gebannt werden. Das bewahrt die Anekdoten über Kohl und Co. vor dem allmählichen Zerfall. Der CDU-Politiker hat dann sein eigenes elektronisches Regal, das er nicht länger mit Egon Krenz und Linke-Chef Oskar Lafontaine teilen muss.