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dpa

Ein Mord verändert Malta

Sie polarisierte zu Lebzeiten. Das hat sich auch nach dem Tod von Daphne Caruana Galizia nicht geändert. Ein halbes Jahr nach dem Mord an der Journalistin sucht die Urlaubsinsel weiter nach Antworten. Doch das gilt längst nicht für alle.

Valletta (dpa) − Auf dem Fleck Erde, auf dem das Auto ausbrannte, wachsen weder Blumen noch Gras. Über den Spitzen der Weizenähren auf dem frühlingshaften Acker prangt „Justice“ auf einem Banner. Gerechtigkeit für Daphne Caruana Galizia, die maltesische Investigativjournalistin, die am 16. Oktober 2017 mit einer Bombe unter ihrem Autositz getötet wurde. Der Mord ist nach sechs Monaten nicht aufgeklärt. Und viele bezweifeln, dass je ans Licht kommt, wer die Bloggerin zum Schweigen bringen wollte. 

 

Für Corinne Vella, die Schwester der ermordeten Journalistin, ist das Attentat noch immer nicht real. In der Lobby eines Hotels mahnt sie, leise zu sprechen. Auf der Insel mit rund 450 000 Einwohnern ist es mit der Anonymität so eine Sache. Die Familie ist vorsichtig mit Äußerungen, doch ihre Kritik an den maltesischen Behörden und der Regierung ist längst bekannt.

Die 52-Jährige sagt, es könne nicht getan sein mit einer möglichen Verurteilung der drei mutmaßlichen Bombenleger, die vor Gericht stehen. „Gerechtigkeit für Daphne bedeutet, ihre Mörder und diejenigen, die sie beauftragt haben, zu verurteilen. Es bedeutet aber auch, diejenigen vor Gericht zu bringen, die an den Verbrechen beteiligt sind, die sie aufgedeckt hat.“ Caruana Galizia berichtete unter anderem über Korruption und Geldwäsche. International erregte sie Aufsehen mit den Vorwürfen, dass die Frau von Regierungschef Joseph Muscat eine in den „Panama Papers“ erwähnte Firma besessen und eine Million Euro Schwarzgeld aus Aserbaidschan erhalten haben soll.

„She was silenced because she mattered“, „Sie wurde zum Schweigen gebracht, weil sie wichtig war“. Immer wieder fällt dieser Satz in Verbindung mit Caruana Galizia. Er steht auch an einem improvisierten Mahnmal mitten in Valletta gegenüber vom Justizpalast. Acht Mal wurden Caruana Galizias Foto und die Blumen schon entfernt.

Nicht nur das macht Pia Zammit und Clemence Dujardin sauer. „Es geht nicht darum, ob du Daphne geliebt oder gehasst hast. Mord ist Mord“, sagt Zammit. Mit der Bewegung „Occupy Justice“ wollen die beiden Frauen die Behörden unter Druck setzen und die Menschen daran erinnern, was geschehen ist. „Es gibt Menschen, die so sauer sind wie wir. Die aber zu ängstlich sind, dem Ärger Ausdruck zu verleihen“, sagt Dujardin.

Der anfänglich große Protest gegen Korruption und eine Unterwanderung des politischen Systems durch Kriminelle ist mittlerweile abgeebbt. Solange der eigene Geldbeutel nicht berührt werde, halte man still, meint Dujardin. Und Malta boomt. Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, Touristenrekorde werden verzeichnet. Doch zuletzt meldeten auch EU-Parlamentarier Zweifel an der Einhaltung europäischer Grundwerte an. Die Rechtsstaatlichkeit sei in dem kleinsten EU-Land in Gefahr.

„Wo du auch hinschaust, überall sind Gauner. Die Lage ist hoffnungslos“, war die letzte Überschrift, die Caruana Galizia schrieb. Wenige Minuten später war sie tot. Die Explosion der Autobome war so gewaltig, dass Sohn Matthew sie zu Hause hörte.

„Es gibt viele Menschen auf Malta, die finden, dass Daphne noch schlimmeres verdient hätte. Und sie sagen es ohne Zurückhaltung“, sagt Manuel Delia. Der 41-jährige Blogger nennt Caruana Galizia seine Mentorin. „Von ihr habe ich gelernt, was „just do it“ bedeutet.“ Mach es einfach, fürchte dich nicht. Caruana Galizias Recherchen zu den „Panama Papers“, zur Pilatus Bank, zu illegalen Öl-Geschäften, zum umstrittenen Handel mit Pässen seien wie die Finger eines Handschuhs. „Und wir müssen herausfinden, wer die Hand ist, die ihn trägt.»

Manchen sind Delia oder auch Zammit zu fundamentalistisch. Sie schätzen das Engagement der Menschen, fürchten aber, dass sie sich in Gefahr bringen. Der Mord an dem slowakischen Investigativjournalisten Jan Kuciak im Februar hat gezeigt, dass das Attentat auf Malta kein Einzelfall in der EU war.

In Caruana Galizias Heimat können viele eine Geschichte zu der Reporterin erzählen. Neben tiefgreifenden Analysen befeuerte sie auch den Gossip auf der Insel − jeder musste damit rechnen, Teil eines Artikels zu werden. Ein früherer Bekannter, der sich nicht zu erkennen geben möchte, erzählt, wie sie in aller Öffentlichkeit über ihn herzog.

Caruana Galizia habe nie ihren Sinn für Empörung über Ungerechtigkeit verloren, sagt ihre Schwester Corinne Vella. Die Söhne Matthew, Andrew und Paul haben Malta mittlerweile den Rücken gekehrt − der Familie zufolge aus Sicherheitsgründen. „Unser Elternhaus, in das unsere Mutter so viel Energie und Liebe gesteckt hat, ist für uns zu einem Ort des Traumas geworden“, schreibt Andrew per Mail. „Und unser Land ist zu einem Himmel der Straflosigkeit für die Menschen geworden, die sich zusammengetan haben, um sie zu töten.»