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Ein nicht alltägliches Frühstück - Brüderle trifft Himmelreich

Rainer Brüderle lädt zum Frühstück, auch "Stern"-Reporterin Himmelreich ist da. Der Medienandrang ist gewaltig, es wird live getickert und getwittert. Brüderle hält sich bedeckt.

 

 

Berlin (dpa) - Ein paar Fernsehleute sind zu schnell. "Frau Himmelreich, Frau Himmelreich", rufen sie einer blonden Frau zu, die dem Eingang des großen FDP-Sitzungssaals im Jakob-Kaiser-Haus in Berlin-Mitte zustrebt. "Ich bin nicht Frau Himmelreich", sagt die Journalistin verärgert. Ein paar Minuten später, um 10.35 Uhr, ist es aber soweit. Laura Himmelreich vom "Stern" kommt den langen, holzgetäfelten Gang herunter.

Begleitet wird sie vom Berliner Büroleiter des Magazins. Die 29-jährige Reporterin, die mit ihrem umstrittenen Porträt über Rainer Brüderle die Sexismus-Debatte in Deutschland mit ausgelöst hat, duckt sich ein wenig vor den Kameras und geht wortlos in den Saal.

Dort schauen sie über 80 Kollegen und Kolleginnen an, verfolgen jede Bewegung der Reporterin, die einen dunkelblauen Mantel, einen grauen Rock und rote Wildlederstiefel trägt. Die "Bild"-Zeitung startet einen Liveticker, Journalisten twittern. Himmelreich setzt sich auf einen Stuhl in der Ecke an der Wand und wartet. Sie wird keine Frage stellen, sondern nur Notizen machen. Eine Viertelstunde später, um 10.51 Uhr, betritt Brüderle sein Refugium.

Der Sitzungssaal der FDP-Fraktion ist einer der schönsten in Berlin. Man schaut durch riesige Glasscheiben auf die Spree und den Reichstag. Hier ist Brüderle in seinem Element, schäkert beim Pressefrühstück mit den Korrespondenten, nimmt kein Blatt vor den Mund. Heute ist es anders. Der 67-Jährige schüttelt nicht wie sonst jedem Gast die Hand, sondern eilt zu seinem Platz an der Stirnseite des großen, ovalen Tisches. Himmelreich würdigt er keines Blickes.

Lange hat Brüderle mit sich gerungen, ob er den Termin nicht ganz absagt. Erst am Morgen um 7.22 Uhr geht die Einladung an die Redaktionen raus. Denn er will sich nicht wegducken. Nach der Begrüßung spricht er gleich an, was alle interessiert. "Ich habe mich bisher nicht zu dem Thema geäußert und werde es auch heute nicht tun. Ich bitte dafür um Verständnis", sagt Brüderle.

Dann referiert der Fraktionschef über den Koalitionsausschuss am Donnerstag, Ökostromförderung, Renten, Haushalt, Mali und den laufenden Staatsbesuch des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi. Brüderle spricht lange, er will wohl Zeit schinden, weil er die Mechanismen kennt.

Von den Nachfragen zum Sexismus-Thema lässt er sich aber nicht aus der Ruhe bringen. "Kein Kommentar." Überraschend schiebt er dann doch ein paar Sätze nach. Die Debatte habe gesellschaftliche Relevanz. "Dass Debatten geführt werden, ist in einer Demokratie ein objektives, legitimes Phänomen." Kein Wort aber zum Abend des 5. Januar 2012, als er am Rande des traditionellen Dreikönigsballs der Liberalen an einer Bar in einem Stuttgarter Hotel auf Himmelreich traf. Dort sollen die anzüglichen Bemerkungen gefallen sein, die sie ein Jahr später öffentlich machte.

Die Affäre aussitzen, das will die SPD Brüderle nicht durchgehen lassen. Bisher sind die Sozialdemokraten recht pfleglich mit dem FDP-Mann umgegangen. Nun verlangt Generalsekretärin Andrea Nahles eine öffentliche Klarstellung und schimpft, dass die FDP ein Frauenproblem habe, sich in einer Wagenburg verschanze und den Eindruck erwecke, Brüderle sei das Opfer.

Die Liberalen leiden tatsächlich mit ihrem Spitzenkandidaten und sind empört über den "Stern". Parteichef Philipp Rösler versucht, die laufende Sexismus-Debatte in eine Kampagne gegen die FDP umzudeuten. Das solidarisiert und mobilisiert die Anhängerschaft.

Der "Stern" selbst wehrt sich gegen den Vorwurf, man wolle gezielt den liberalen "Hoffnungsträger" Brüderle niedermachen. Es sei gedanklich arm, wie FDP-Spitzenpolitiker nun "beleidigt-bockig" reagierten. "Liebe Herren, es geht um nichts weiter als um Respekt", schreibt Chefredakteur Andreas Petzold im Vorwort des neuen Heftes mit dem Titel "Der tägliche Sexismus" und verteidigt Himmelreichs Story.

Mit der letzten zugelassenen Frage versucht ein Journalist noch einmal, den Pfälzer aus der Reserve zu locken. Er werde ja seit einer Woche sehr persönlich mit Sexismus-Schlagzeilen überzogen. Ob er jetzt nicht endlich die Chance nutzen wolle, etwas öffentlich klarzustellen oder sich persönlich bei der "Stern"-Kollegin zu entschuldigen? Brüderle bleibt bei seiner Linie. "Ich werde weiter keinen Kommentar dazu abgeben." Um 11.37 Uhr ist die Presserunde zu Ende. Brüderle bleibt auf seinem schwarzen Ledersessel sitzen, bis Himmelreich gegangen ist.