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Ethisch fragwürdig: Wie das Gewerkschaftsorgan "Journalist" Leser und Gesprächspartner hinters Licht führt

In Ziffer 4 des Pressekodex benennt der Presserat deutlich, dass "unwahre Angaben des recherchierenden Journalisten grundsätzlich mit dem Ansehen und der Funktion der Presse nicht vereinbar" sind.

Berlin - Ausgerechnet der "Journalist", Verbandsorgan des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), hält sich nicht an die Vorgaben der freiwilligen Selbstkontrolle der Presse. Dabei gehört der DJV sogar zu einem von vier Trägern des Presserates.

Das Blatt beschäftigt sich in seiner aktuellen Ausgabe mit dem größten Verkauf von Zeitschriften und Zeitungen der Nachkriegsgeschichte. "Planet Springer" heißt der Beitrag im Innenteil, auf sechs Seiten schreibt Max Rethow über den Verkauf des Springer-Inventars an die Essener Funke-Mediengruppe, über die Sorgen, über die Veränderungen bei Springer.

In dem Stück fallen Sätze wie "Zudem wird Springer nicht ernsthaft an der Vitalität seiner verkauften Zeitungen und Zeitschriften zweifeln, wenn man dem Käufer zugesteht, einen nicht geringen Teil des Kaufpreises erst später zu bezahlen." Und in der Einordnung heißt es: "Soll, könnte, dürfte: Harte Fakten sind derzeit kaum zu bekommen, auch für die Betroffenen nicht."

Es ist daher mehr eine Zusammenfassung als dass unbedingt neue Aspekte aufgeführt werden, denn wenn selbst die beiden Unternehmen noch nicht so recht wissen, wie sie den Deal über die Bühne und die Erlaubnis des Kartellamtes bekommen, ist eine finale, reale Einschätzung kaum möglich.

Am Ende des Aufsatzes, in dem kein Gedankengang behandelt wird, der nicht schon zuvor in dieser oder jener Form an anderer Stelle publiziert worden wäre, steht im "Journalist" die Kurzbeschreibung des Autoren, hier heißt es dann auch: "Max Rethow ist freier Journalist. Er lebt in Köln und Berlin und schreibt vor allem über Medienthemen."

Nur, einen Autoren mit dem Namen Max Rethow gibt es überhaupt nicht, wie Recherchen von Newsroom.de ergeben haben. Das Gewerkschaftsorgan "Journalist" lügt seine Leser an.

Denn an keiner Stelle wird im "Journalist" darauf hingewiesen, dass es sich bei "Max Rethow" um ein Pseudonym handelt, die Leser werden in die Irre geführt und von Anfang bis Ende in dem Glauben gelassen, dass "Max Rethow" der Verfasser sei.

Auf Newsroom.de-Anfrage hat die "Journalist"-Chefredaktion bestätigt, dass der Name "Max Rethow" ein Tarnname ist. Dahinter verberge sich ein langjähriger Autor des "Journalist", der sich in Sachen Springer/Funke "hervorragend" auskenne: "Normalerweise schreibt der Autor unter seinem Klarnamen für den Journalist. In diesem Fall haben wir ein Pseudonym verwendet - um Autor und Informanten zu schützen."

Was der "Journalist" verschweigt - natürlich hat sich aber ein "Max Rethow" bei Gesprächspartnern gemeldet, er hat recherchiert, er hat von einer GMX-Emailadresse geschrieben und von einer mobilen Vodafone-Nummer angerufen, sogar eine eigene Signatur ziert seine elektronische Post.

Newsroom.de hat versucht, den Autoren telefonisch zu erreichen; der Bitte um einen Rückruf ist er nicht nachgekommen.

Das seltsame Gebaren des Verbandsblattes, dass, auch wenn es die "Journalist"-Chefredaktion so sieht, bei einem Thema wie diesem mitnichten ein "übliches und anerkanntes Vorgehen in der Branche" ist, sorgt auf der anderen Seite, bei den Gesprächspartnern bei Springer und Funke, für große Verwirrung. Sie fühlen sich hintergangen, fordern, dass die Identität des Autoren offengelegt wird.

Gunther Fessen ist Unternehmenssprecher der Funke Mediengruppe, er hat mit "Max Rethow" gesprochen, es sei ein "sehr angenehmes Gespräch" gewesen, sagt er zu Newsroom.de.

Fessen ist erstaunt über das Ergebnis der Newsroom.de-Recherchen.

Der Funke-Sprecher sagt: "Ich fühle mich im Nachhinein hintergangen. So etwas ist mir bislang noch nicht passiert." Fessen, vom Hause aus selbst gelernter Journalist und erfahrener Blattmacher, fühlt sich hinters "Licht geführt": "Eine vertrauensvolle Atmosphäre schafft das nicht. Ich hätte nicht gedacht, dass der „Journalist“, der ansonsten für die „reine Lehre des Journalismus“ steht, solche Methoden nutzt und nötig hat!"

Auch Tobias Fröhlich, Leiter der Externen Kommunikation bei Axel Springer, sprach mit "Max Rethow", sagt, dass das Gespräch "professionell" verlaufen sei: "Der Kollege hat sich per Mail und Telefon als Max Rethow vorgestellt. Dass dies nicht der Wahrheit entsprechen soll, überrascht mich."

Für Springer-Mann Fröhlich ist solch eine Arbeitsweise "befremdlich und nicht nachvollziehbar". Im Gespräch mit Newsroom.de fordert Fröhlich: "Der DJV  - der sich selbst gerne als Wächter über medienethische Standards sieht - sollte dieses nicht nachvollziehbare Vorgehen dringend erklären. Und wir erwarten dann natürlich auch, dass die wahre Identität des Autoren offengelegt wird."

Funke-Sprecher Fessen will vom DJV ebenfalls eine Erklärung, sagt deutlich: "Das Vertrauensverhältnis ist durch diese Aktion nachhaltig gestört worden!"

"Feiges Verstecken"

"Die Verwendung von Pseudonymen durch Journalisten ist eine weltweit gängige Praxis, die durch unterschiedlichste, oft auch im Zusammenhang mit der Sicherheit der jeweiligen Person ernst zu nehmende, Hintergründe motiviert ist. Dies kann für Pressesprecher durchaus akzeptabel sein", sagt Jörg Schillinger zu Newsroom.de. Er ist der Präsidiumssprecher des Bundesverbands deutscher Pressesprecher (BdP).

Schillinger betont jedoch deutlich: "Anders verhält es sich, wenn eine derartige Gefährdung nicht besteht, sondern sich ein Autor höchste feige hinter einem Pseudonym versteckt, um für seine Beiträge nicht im publizistischen Sinne zur Rechenschaft gezogen oder angegriffen zu werden. In Kulturen, die die Meinungsfreiheit als Grundrecht erachten und streitbare Debatten als förderlich für die gesellschaftliche Entwicklung bejahen, sollte es selbstverständlich sein, offen und ohne Pseudonym zu publizieren - egal ob Journalist oder Pressesprecher!"

Muss "Max Rethow" wegen des Springer-Funke-Beitrages wirklich Angst um Leib und Seele haben, wie es Kollegen ergeht, die beispielsweise in der Nazi-Szene recherchieren? Wäre es nicht besser gewesen, er hätte unter seinem eigenen Namen publiziert?

Oder noch einfacher: Hätte der "Journalist" nicht einen Autoren verpflichten können, der keine Angst vor Repressalien haben muss, der nicht so eng mit diesem Thema verbunden ist, dass seine direkten Informanten auffliegen, wenn er seine Identität verrät?

Und wenn er persönlich von dem Verkauf betroffen ist, hätte er dann nicht auf das Schreiben des Beitrages von sich aus verzichten müssen?

Der Deutsche Journalisten-Verband sieht keinen Grund, das Gespräch mit der Redaktion seines Organs zu suchen, von einer Erklärung ganz zu schweigen.

DJV-Sprecher Hendrik Zörner erklärt gegenüber Newsroom.de lediglich, dass nur die Redaktion wissen müsse, um wen es sich bei dem Autoren des Springer-/Funke-Stückes handele.

Hendrik Zörner: "Es ist nicht unüblich, dass Journalisten unter Pseudonym recherchieren und schreiben. In vielen Dingen gibt es gute Gründe dafür, dass Journalisten je nach Thema persönliche Repressalien befürchten." Schließlich, so Zörner, könne man ein Pseudonym durchaus auch als Namen im Personalausweis eintragen lassen.

Dass Leser aber auch wissen möchten, wer einen Beitrag verfasst hat, und nicht sogar mit einer aufgesetzten Vita angelogen werden wollen, erwähnen weder DJV noch "Journalist" mit einer Silbe. Der Deutsche Journalisten-Verband tut gut daran, diesen Fall so schnell wie möglich aufzuklären.

Bülend Ürük