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KNA

„Frankfurter Rundschau“: 80 Jahre Gegen den Strich – und manchmal aus dem Briefkasten gestohlen

Die FR stand in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrfach vor dem Aus. Umso selbstbewusster feiert das Blatt am Wochenende seinen 80. Geburtstag – mit einem Fest für die Demokratie.

Frankfurt (KNA) – Der frühere Statthalter der taz in Frankfurt, Klaus-Peter Klingelschmitt, hatte schon vor rund 20 Jahren ein ganz einfaches Beispiel, um das Dilemma – und ein bisschen auch den Niedergang – der „Frankfurter Rundschau“ (FR) zu erklären: Früher sei stets die „FR“ aus dem Briefkasten seines Büros in der Finanzmetropole geklaut worden, während die konservative Konkurrenz stecken blieb. „Später“, seufzte der 2011 verstorbene Hessen-Korrespondent der taz, „war immer die Frankfurter Allgemeine weg, und die FR blieb drin.“


Als die „Frankfurter Rundschau“ 1945 unter amerikanischer Lizenz gegründet wurde, sah das noch anders aus. Am 1. August 1945 von der amerikanischen Militärregierung lizenziert, war die „FR“ nach den Aachener Nachrichten und der Berliner Zeitung die dritte Neugründung nach dem Ende der Nazi-Diktatur. Die Blattlinie war schon damals dezidiert links – schließlich gehörte mit Emil Carlebach ein Kommunist und Widerstandskämpfer zu den ersten Lizenzträgern. Carlebach wurde allerdings 1947 von den Amerikanern wieder aus dem Herausgebergremium abberufen. Doch da war schon der SPD-Mann Karl Gerold zum Blatt gestoßen, der den Krieg im Exil in der Schweiz überlebt hatte, 1946 in die „FR“-Redaktion wechselte – und blieb.


Unter ihm, der 1952 zur Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit der SPD den Rücken kehrte, stieg die Zeitung rasch zur Pflichtlektüre der jungen Bundesrepublik auf. Bis in die 1970er-Jahre führte Karl Gerold die Redaktion – und lebt bis heute in der nach ihm benannten Stiftung weiter. Als 1962 noch der gerade mit seiner Partei über Kreuz liegende FDP-Politiker Karl-Hermann Flach die Leitung des Innenpolitik-Ressorts übernahm, wurde die „FR“ endgültig die sozialliberale Stimme in der deutschen Presselandschaft.


Hochzeit in den 1970ern
Die 1970er- und 1980er-Jahre waren die Hochzeiten der „FR“. Gern als „Lehrerzeitung“ und „Gewerkschaftsblatt“ verspottet, begannen aber schon lange vor den Herausforderungen der Digitalisierung die Schwierigkeiten. Ab den 1990er-Jahren begann die „FR“ zusehends zu schwächeln. Unter Roderich Reifenrath, der seit 1986 in der Redaktionsleitung saß und ab 1992 als Chefredakteur übernahm, kam die Auflage immer mehr ins Rutschen – auch, weil sich das Blatt streng an die Diktion ihres Chefs hielt: Man „verändert eine Zeitung nicht bei Gefahr ihres Todes“ – und lehnte jede Modernisierung ab.


Die Auflagenzahlen wurden künstlich durch immer mehr Bordexemplare in Flugzeugen und verbilligte, sogenannte Sonderverkäufe aufgehübscht. Während um das Jahr 2000 wegen des ersten Dotcom-Booms fast alle Zeitungen im Geld schwammen, begann beim Druck- und Verlagshaus Frankfurt (DUV) – so der offizielle Name des Unternehmens hinter der „FR“, das damals noch komplett der Karl-Gerold-Stiftung gehörte – der Abstieg.
Viele Retter, viele Konzepte
Schon 2003 stand die „FR“ zum ersten Mal vor dem Aus – zu hoher Personalstand, auch in der zum Verlag gehörenden Druckerei, die schon damals vor allem von Fremdaufträgen abhängig war. Zu denen gehörten auch die des so gar nicht zur politischen Linie der „FR“ passenden Axel-Springer-Verlags. Doch die Druckaufträge für Welt und Bild machten zwischenzeitlich die Hälfte des Umsatzes aus – und das DUV erpressbar. Der Stellenmarkt und die Kleinanzeigen waren wie bei so ziemlich allen anderen Zeitungen ins Internet abgewandert, fällige Investitionen in Druckerei, Vertrieb und Verlag blieben aus. „Die FR lebte nun von der Hand in den Mund“, schreibt das Blatt selbst in einem Rückblick zum 80. Geburtstag.


Retter wurden verzweifelt gesucht, gewerkschaftsnahe Stiftungen winkten dankend ab – bis sich die SPD Anfang 2004 erbarmte: Die parteieigene Presseholding DDVG übernahm mit 90 % den Löwenanteil am DUV; der Rest lag und liegt bis heute bei der Karl-Gerold-Stiftung. Personal wurde abgebaut, das alte Stammhaus in der Frankfurter Innenstadt verkauft. Die „FR“ versuchte unter ihrem Chefredakteur Wolfgang Storz mit einem Schwerpunktkonzept zu punkten. Über dessen Erfolg sind damals Beteiligte bis heute höchst unterschiedlicher Meinung.


Verbund Frankfurt–Berlin
2006 stieg dann der nächste Retter ein: Verlegerpatriarch Alfred Neven DuMont (Kölner Stadt-Anzeiger) hatte in der Hauptstadt um die Berliner Zeitung mitgeboten, war aber zunächst nicht zum Zuge gekommen. Weil er aber endlich auf der überregionalen Bühne mitspielen wollte, übernahm DuMont die Hälfte der „FR“-Anteile – und wurde als „letzter echter Verleger“ gefeiert, dem es nicht nur auf den schnöden Gewinn ankam.


Aus Berlin kam auch Uwe Vorkötter als neuer Chefredakteur von eben jener Berliner Zeitung. Unter der neuen Führung zog die „FR“ in ein ehemaliges Straßenbahndepot in Sachsenhausen und wurde mutig und bunt. Vom großen Blatt schrumpfte man aufs handliche Tabloid-Format – und bot längst wieder mehr als Lesestoff fürs Klischee-Klientel im Cordanzug. Doch die „FR“ zehrte noch immer zu stark vom alten Ruf, statt mit neuen Erfolgen zu glänzen. Jeder Tag, an dem die gedruckte „FR“ damals erschien, soll zu einem Verlust in fünfstelliger Höhe geführt haben.


Als 2009 DuMont dann auch noch die ebenfalls nicht auf Rosen gebettete Berliner Zeitung übernahm, begann ein spannendes Experiment: eine Berlin-Frankfurter-Kölner-Verbundredaktion unter Vorkötters Führung. Doch die angestrebte wirtschaftliche Konsolidierung blieb aus. Und weil nun die überregionalen Seiten der „FR“ aus Berlin kamen, schwächelten auch das überregionale Renommee und das Selbstvertrauen in Frankfurt.


Zeitungsmonopol in Frankfurt
Die Krise spitzte sich weiter zu: 2012 stellte das Druck- und Verlagshaus Frankfurt einen Insolvenzantrag, nachdem Springer parallel die lukrativen Druckaufträge kündigte. Am Ende übernahmen 2013 die FAZ und die mit ihr verbundene Frankfurter Societät die Anteile – und es entstand ein Zeitungsmonopol in Frankfurt, denn auch die Frankfurter Neue Presse gehörte längst zur Societät. Die Redaktion der „FR“ schrumpfte auf 80 von einst 200 Mitarbeitenden. Das linksliberale Profil blieb jedoch erhalten.


Zur Untermauerung der redaktionellen Eigenständigkeit wurde 2014 die frühere taz-Chefredakteurin Bascha Mika in die Leitung geholt. Sie führte die Redaktion bis 2019 gemeinsam mit Arnd Festerling. 2013 schrieb die „FR“ erstmals seit Jahren wieder schwarze Zahlen.


Ippen-Zeit: Kooperation und Konflikte
Seit dem 1. April 2018 gehört die „FR“ zur Zeitungsgruppe Ippen – gemeinsam mit der Karl-Gerold-Stiftung. Die letzten Jahre standen stark im Zeichen von Kooperationen und Synergien mit anderen Ippen-Blättern, auch wenn diese oft politisch ganz anders ausgerichtet sind. Die Redaktion betont selbstbewusst ihre Eigenständigkeit: „Wir sind eine eigenständige Redaktion mit einem eigenständigen Desk, mit einer eigenständigen Führung, mit eigenständigen Entscheidungen.“


Doch auch die Auseinandersetzungen mit dem Verlag werden nicht verschwiegen: Der Warnstreik Ende 2023 kostete erneut einen Chefredakteur. Der Verlag reagierte mit Stellenstreichungen und Ressortauflösungen. Besonders aufsehenerregend war der Fall 2021, als Verleger Dirk Ippen persönlich die Veröffentlichung einer Recherche über Bild-Chef Julian Reichelt untersagte – woraufhin die „FR“ auf ihrer Titelseite protestierte.