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Gegen den Roboter-Albtraum: So bringt KI-Chef Zach Seward die „New York Times“ voran

Gegen den Roboter-Albtraum: So bringt KI-Chef Zach Seward die „New York Times“ voran Zach Seward (Foto: YoniLevy, TalsStudio)

Zach Seward, KI-Chef der „New York Times“, setzt nicht nur auf Technik, sondern vor allem auf Gespräche. Mit über 1.000 Kolleginnen und Kollegen diskutiert er Chancen, Grenzen und Ängste rund um KI im Journalismus – und zeigt, wie die Weltmarke ihre Recherche-Power erweitert.

New York – Zach Seward gilt als einer der wichtigsten Vordenker für KI im Journalismus. Statt Codes und Modelle stehen bei ihm Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Mittelpunkt.
Er hat über 1.000 Kolleginnen und Kollegen zu Chancen, Ängsten und Grenzen von KI befragt. Im „kress pro“-Titelinterview berichtet er, was er dabei erfahren und gelernt hat.


Die KI-Strategie der „New York Times“ hat drei Säulen: investigative Recherchen und Berichte, interne Workflows und User Experience. Welche Säule bietet die beste Rendite?
Zach Seward: Im Moment ist es die erste Säule. Das mag spezifisch für uns sein, aber wir sind gesegnet mit großartigen investigativen Reportern und Menschen, die uns über unsere Hotline interessante Hinweise geben und Dokumente zuspielen. Ich sehe KI als Chance, diesen riesigen Vorteil noch weiter zu vergrößern. KI-Tools hat jeder, das ist an sich kein Wettbewerbsvorteil. Es geht vielmehr darum, mit Hilfe von KI mehr Potenzial für vertiefte Recherchen aus großen Datensätzen herauszuholen. Wir haben bereits mehrere Dutzend investigative Berichte veröffentlicht, die auf der Analyse von Large Language Models in Kombination mit menschlicher Expertise beruhen, und wir überlegen, welche weiteren investigativen Storys damit möglich sind.


Sie haben mittlerweile mit fast der Hälfte aller 2.000 Journalisten der „New York Times“ über KI gesprochen. Warum verbringen Sie so viel Zeit mit Mitarbeiter-Gesprächen?
Bei der Einführung jeder neuen Technologie sind persönliche Gespräche und Live-Trainings sehr effektiv. Aber bei KI trifft das besonders zu, weil das vorhandene Wissen und Interesse und die Vorbehalte, die jeder zu diesem Thema mitbringt, völlig unterschiedlich sind. Manche sind super begeistert und bereit, sofort loszulegen. Andere haben genau die gegenteilige Haltung. Sie sind verständlicherweise entsetzt darüber, was andere Verlage mit KI machen, oder besorgt über die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt oder ethische Fragen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir persönlich da sind. Rubina (Anm.: Sewards Stellvertreterin Rubina Fillion), unsere Teammitglieder und ich sind keine KI. Das schafft Vertrauen beim Schwarzenegger-artigen Roboter-Albtraum, den manche mit KI assoziieren.


Welches Feedback ist typisch?
Zach Seward: Nach unseren Sessions hören wir häufig: „Ich war ziemlich skeptisch gegenüber KI und bin es immer noch, aber ihr habt mir ein oder zwei Wege gezeigt, wie KI für mich wirklich nützlich sein kann.“ Das mag wie eine niedrige Messlatte klingen, wirkt aber oft Wunder. Plötzlich ist KI nicht mehr ein großes monolithisches Thema, sondern betrifft spezifische Anwendungsfälle im Rahmen unserer Richtlinien. Das entschärft viele der potenziellen Spannungen und Ängste rund um das Thema.


Wir sind jetzt tief im dritten Jahr des Einsatzes generativer KI. Welche Gegenargumente hören Sie noch?
Zach Seward: Sehr wenige. Die meisten unserer Mitarbeiter bringen eine differenzierte Sicht auf KI mit. Die Bedenken, die ich am häufigsten höre, sind, dass LLMs Urheberrechte missachten und plagiieren und dass Grenzen zwischen redaktionellen und von KI erstellten Inhalten verschwimmen. Dazu kommt neuerdings auch ein Gefühl, dass die Nutzung von KI kritische Denkfähigkeiten behindern könnte, wenn wir den Modellen zu sehr vertrauen. Aber nochmals, um das klarzustellen: Meistens höre ich Begeisterung, einige sind nur nicht ganz so begeistert wie ich. Ich bin noch keinen Totalverweigerern begegnet. Die kritischen Fragen, die gestellt werden, sind genau die richtigen und ich bin froh darüber. Wir haben in der Social-Media-Ära gesehen, wozu eine unkritische Haltung führt.

 

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  • Young Leaders 2025: 25 außergewöhnliche Führungskräfte bis 35 Jahre.
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