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Journalismus: Qualität oder Quantität - müssen wir uns entscheiden?

Diese Frage stellt sich Johannes Beermann, Chef der Sächsischen Staatskanzlei sowie Staatsminister, in einem Gastbeitrag für die Nachrichtenagentur dapd.

Berlin - "Mit Qualität hat man immer Erfolg; leider funktioniert es manchmal auch ohne Qualität." Hanns Joachim Friedrichs, der ehemalige "Mr. Tagesthemen", bemerkte dies bereits während seines journalistischen Berufslebens. Die Debatte um Qualität und Standards im Journalismus begleitet Journalisten, Medienkonsumenten und Verlage schon seit geraumer Zeit. Neu ist jedoch, dass diese Debatte im Zeitalter des Web 2.0 und der sozialen Netzwerke auf vielen Kanälen und von einem sehr viel breiteren Kreis geführt wird.

Seit über einem Jahrzehnt befindet sich die Medienwelt auch wegen des Aufkommens neuer und rasanter Online-Kommunikationsformen in einem Veränderungsprozess. Noch nie zuvor war die Informationsflut so überwältigend und zugleich unüberschaubar. Noch nie zuvor konnten wir zwischen so vielen "News"-Anbietern auswählen, hinter denen nicht zwingend eine Redaktion steht. Noch nie zuvor war aber auch die Verantwortung jedes einzelnen Medienkonsumenten so groß, sich nicht von dieser Flut ertränken zu lassen, sondern vielmehr aktiv und ausgewogen unter den vielen Angeboten auszuwählen.

Waren die Verbreitungskanäle in der Vor-Internet-Ära noch ein knappes Gut und sicherten somit professionellen Journalisten fast automatisch die Aufmerksamkeit des Publikums, hat sich das heute umgekehrt. Die Aufmerksamkeit des Publikums ist angesichts vielerlei Kommunikationsmöglichkeiten zum knappen Gut geworden, um das sich die Journalisten bemühen müssen.

Aber reicht diese Erkenntnis aus, um Blogs, Facebook, Twitter & Co. als Bedrohung des Qualitätsjournalismus darzustellen? Hier fällt auf, dass die über diese Kanäle verbreiteten Inhalte meist Themen und Nachrichten weitervermitteln, die von den "klassischen Medien" recherchiert und aufbereitet wurden. Das "Netz-Gezwitschere" beruht also oft - abgesehen von der Darstellung des privaten Lebens der User - auf einer fundierten Berichterstattung zum Beispiel in Presse, Hörfunk, Fernsehen sowie den redaktionellen Online-Angeboten. Auf diesem Weg erreicht eine Nachricht oft mehr Menschen, als es früher der Fall gewesen ist.

Darin liegt auch die Chance dieser "schönen neuen Medienwelt". Sie unterstützt den Journalismus dabei, seiner originären Aufgabe nachzukommen: zu informieren, zu erklären, auch komplexe Sachverhalte verständlich einzuordnen. Das war, ist und bleibt unser Qualitätsanspruch an den Journalismus. Kein Medienkonsument will ernsthaft darauf verzichten.

Dabei muss sich jeder Einzelne auch die Frage stellen: Was bin ich bereit, für einen guten Artikel in einer Zeitung oder eine gute Fernsehreportage zu zahlen? Oder möchte ich darauf verzichten, weil ich mir alle relevanten Informationen auch kostenlos aus dem Internet ziehen kann? Auf Dauer wird also die "Kostenlos-Mentalität" den Erfolg journalistischer Arbeit untergraben. Das ist die Gefahr. Denn wer liefert die News in der gewünschten Qualität für Blog, Twitter & Co., wenn eine der Nachricht zugrunde liegende Recherche nicht mehr finanzierbar ist?

Was sind uns vielfältige, glaubhafte, seriöse und unabhängige Informationen wert? Das ist die Frage, die wir uns stellen müssen. Und wenn wir bereit sind, für Qualität auch etwas zu bezahlen, wird sich diese ganz nebenbei auch erhalten und durchsetzen. Am Angebot in unserem unendlich großen "Supermarkt der Kommunikationsmöglichkeiten" können wir nichts ändern. Aber Produkte von schlechter Qualität, die uns nicht schmecken, können wir ignorieren. So machen wir es im "richtigen" Supermarkt doch auch, oder?

Johannes Beermann