Vermischtes
Newsroom.de

Krieg der Gender-„Sterne“

Krieg der Gender-„Sterne“ Peter Linden (Foto: APA-Fotoservice/Schedl)

In der „Journalisten-Werkstatt: Sensible Sprache“ von Peter Linden greift er ein nach wie vor heißes Eisen an: es geht um das Gendern.

Im Dezember 2023 formulierte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder im Bayerischen Landtag: „Mit uns wird es kein verpflichtendes Gendern geben. Im Gegenteil: Wir in Bayern werden das Gendern in Schule und Verwaltung untersagen.“ Drei Monate später meldete sogar die „Neue Zürcher Zeitung“ genüsslich Vollzug: „Es ist das Aus für Sternchen, Unterstrich und Doppelpunkte. Wie angekündigt, haben Bayerns CSU-Ministerpräsident Markus Söder und die Minister seines Kabinetts das Gendern in Schulen, Hochschulen und Behörden verboten. Das ist am Dienstag beschlossen worden.“ Der Vorsitzende des Vereins Deutsche Sprache, der unter anderem jährlich einen zum Teil unfreiwillig komischen Anglizismen-Index veröffentlicht, lobte den Beschluss mit den Worten: „Sprache muss ideologiefrei und verständlich bleiben.“ Der Fokus auf das Geschlecht eines Menschen verhindere die Kommunikation und baue Barrieren auf. Ausgerechnet der Vorsitzende eines Vereins, der den Menschen vorschreiben möchte, Europäischer Sangeswettstreit und Brötchen mit Hackbrätling zu sagen (statt Song Contest und Hamburger), sorgt sich um Ideologiefreiheit und Verständlichkeit, sobald es darum geht, eine inklusivere Kommunikation anzustreben.

 

Es wäre tatsächlich wünschenswert, die Debatte weniger ideologisch, dafür sachlich und mit mehr Empathie zu führen. Zuweilen hilft der Blick auf andere Sprachen, wenn die eigene Probleme bereitet. So gibt es eine Menge Grammatiken, die gar keine Geschlechter kennen. Dazu gehören das Finnische, das Estnische und das Türkische. Die genannten Sprachen suggerieren grammatikalisch eine Gleichstellung – zu wahrer Gleichberechtigung hat dies ganz offensichtlich nicht in jedem Fall geführt. Sprache, das wurde an anderer Stelle schon gesagt, hat keine unmittelbare, normierende Auswirkung auf das Denken von Menschen, sie ist das Ergebnis langer Prozesse. Was nicht etwa Söders Verbot unterstützt, sondern eher dessen absurden Glauben sichtbar macht, er könne mit einem Erlass gesellschaftliche Fakten schaffen. „Es ist das Aus“, schrieb die NZZ, als könne die bayerische Staatskanzlei in Luft auflösen, was im deutschen Sprachraum Abertausenden Männern, Frauen und Menschen, die sich non-binär definieren, so ungeheuer wichtig ist: endlich sichtbar zu werden – in der Sprache und der Gesellschaft. Es gilt jedoch, sich darüber bewusst zu werden, dass sprachlicher Wandel auch hier nur langsam, evolutionär und wellenförmig stattfinden wird. Es gibt kein Beispiel in der Sprachgeschichte, das das Gegenteil nahelegt. Also heißt es Geduld üben gegenüber jenen, denen es nicht schnell genug gehen kann, und jenen, die sich (noch) verweigern.

 

Den Anfang könnten private Gesprächssituationen bilden: einem konkreten Gegenüber mitzuteilen, wenn dessen Sprache als unsensibel empfunden wird, oder, andersherum: wie sehr es anstrengt, geschlechtergerecht und sensibel zu formulieren. Was sich im persönlichen Raum bewährt, wird irgendwann unweigerlich in den öffentlichen Raum eindringen, ohne Zwang und gegen alle Verbote. Eine Sprache, die zeigt, dass manches anders und anders ganz einfach gehen kann, ist das Dänische. Dort gibt es den sogenannten stød, oder Knacklaut oder: Kehlkopfverschlusslaut. Das Wort Information wird in Dänemark informasjoon ausgesprochen, eine kleine Lücke mitten im Wort, mitten in einem Vokal, ganz regelmäßig und sehr häufig. Viele Rundfunksprecherinnen und TV-Moderator*innen haben sich angewöhnt, diesen Knacklaut auch im Deutschen überall dort zu verwenden, wo sie ein sogenanntes generisches Maskulinum auflösen, um Männer und Frauen gleichermaßen sichtbar zu machen. Ihr Vorteil: Man sieht das Sternchen nicht. Der Sprachfluss leidet nicht, zumindest nicht mehr als im dänischen Alltag.

 

In der schriftlichen Kommunikation entspricht das Sternchen freilich nicht den offiziellen Regeln der Rechtschreibung. Wie könnte es auch, da es ja gerade erst anfängt, sich zu verbreiten? Der Dativ hat auch Jahre gebraucht, um „dem Genitiv sein Tod“ zu werden. Ja, man darf inzwischen „wegen dem“ Sprachwandel sagen, selbst wenn das Sprachempfinden (auch des Autors dieser Werkstatt) dagegen revoltiert. Und so könnte kommen, was Söder, die NZZ und so viele andere nicht wahrhaben wollen. So ist es sogar in dieser Werkstatt gekommen: Auf den ersten Seiten hat der Autor dezent und „smart“ gegendert: Mal hat er Begriffe verwendet, die keinen Unterschied machen zwischen Männern und Frauen (Audienz, Publikum), mal hat er beide Geschlechter genannt, mal in Aufzählungen abwechselnd die männliche und die weibliche Form verwendet. In diesem letzten Kapitel aber haben sich die Gendersternchen vorübergehend breitgemacht. Übrigens haben Schreibende längst begonnen, sich auch mit den Wünschen anderer Gruppen zu befassen. Sollen Behinderte zu Behinderten werden, mit einer Binnen-Kapitale? Soll aus schwarzen Menschen „Schwarze Menschen“ werden – wiederum durch den Bruch der Regeln zur Groß- und Kleinschreibung? Probieren Sie es aus! Der Versuch mag schmerzen. Ihn zu unterlassen, schmerzt andere womöglich deutlich mehr.

 

 

Zur „Journalisten-Werkstatt: Sensible Sprache“