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Mai Thi Nguyen Kim: Man muss sich vorwärtsirren

Mai Thi Nguyen Kim: Man muss sich vorwärtsirren Mai Thi Nguyen Kim

Was verändert die Welt nun mehr: Corona oder der Quantencomputer? – Fünf Fragen an die „Journalistin des Jahres“.

Frankfurt – Das „medium magazin“ hat Mai Thi Nguyen Kim als „Journalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Im Interview mit Chefredakteurin Annette Milz erklärt sie, wie sie zum Youtube-Star wurde, wie sie mit Beleidigungen umgeht und wie Wissenschaft grundsätzlich funktioniert.


Was verändert die Welt nun mehr: Corona oder der Quantencomputer?

Mai Thi Nguyen Kim: (lacht) … mmh. Langfristig der Quantencomputer. Obwohl, man möchte ja fast hoffen, dass Corona die Welt auch nachhaltig verändert.

 

Warum?

Abgesehen von den negativen Folgen gibt es ja auch positive Effekte: Allein schon die breite Anerkennung von Homeoffice-Arbeit. Oder von „systemrelevanten Berufen“ und dass deren Wertschätzung nicht mit Applaus Genüge getan ist.

 

2020 hat sich auch Ihre eigene Welt drastisch verändert: Sie sind im Januar Mutter geworden, Ihr erstes MaiLab-Video im April wurde der meistgeklickte Youtube-Clip des Jahres und Sie zum vielgefragten Star im Wissenschaftsjournalismus. Selbst die Bundeskanzlerin zitierte Sie namentlich im Bundestag. Wie erklären Sie sich selbst Ihren enormen Erfolg in diesem Jahr?

Ganz ehrlich, ich habe das alles bis jetzt noch gar nicht wirklich realisieren können. Das begann ja mit der riesigen Resonanz auf das Video „Corona geht gerade erst los“, mit der wir wirklich nicht gerechnet hatten. Man hört ja immer wieder von Schwierigkeiten für Youtuber, wieder sichtbar zu werden, wenn man mal länger pausiert hat. Also wollte ich, nachdem wir am 2. April das Video hochgeladen hatten, erst mal in Ruhe meine E-Mails aus fünf Elternzeit-Monaten beantworten, doch daraus wurde nichts. Jetzt ist es ein interner Running Gag, dass ich immer noch nicht zu meinen E-Mails gekommen bin. Aber davon mal abgesehen: 2020 war ja grundsätzlich ein gutes Jahr für Wissenschaftsjournalismus. Vielleicht hatte ich den Vorteil, dass Youtube schon seit Langem meine Hauptplattform ist, über die ich viele Menschen erreichen kann, die nicht mehr linear fernsehen. Viele Wissenschaftsjournalisten sind aber noch vor allem in klassischen Medien aktiv. Ich glaube allerdings auch, es hat sich 2020 gelegentlich gerächt, dass Wissenschaftsjournalismus bisher eher ein Nischendasein in den Medien geführt hat. Eine Folge davon war, dass viele Leute nicht wissen, wie Wissenschaft wirklich funktioniert. Das hatte zum Teil fatale Auswirkungen.

 

„Wir Journalisten müssen besser darin werden, vernünftigen Stimmen mehr Aufmerksamkeit zu geben“, haben Sie mal gesagt. Wie sollte das aussehen?

Gerade bei wissenschaftlichen Themen wird immer wieder der Fehler einer sogenannten False Balance, also falschen Balance, gemacht: Im traditionellen Journalismus stellt man für gewöhnlich Meinungen gegenüber, um verschiedene Standpunkte abzubilden. Das ist in der Wissenschaft nicht immer sinnvoll, wenn eine Person einen mehrheitlichen Konsens vertritt gegen jemanden, der ziemlich allein dasteht, und dieser Unterschied nicht erklärt wird. Bei einem Laien kommt dann aber nur an: Der eine sagt so, der andere sagt so. Das hat Auswirkungen bis in die Politik, wenn es dann heißt: Die Wissenschaft ist sich uneinig, also muss ich nicht darauf hören. Wir Journalisten sind alle aufgefordert, das Standing eines Protagonisten zu recherchieren, bevor man ihn zitiert oder interviewt. Mich stört massiv, wenn schlichtweg falsche Aussagen als Meinungsäußerungen einfach stehen gelassen werden. Das kann echt fatal sein, denn so geraten Wissenschaftler ins Rampenlicht, denen Fakten und Sachlichkeit – um es vorsichtig auszudrücken – vielleicht nicht das Allerwichtigste sind. 

In einem Ihrer Videos sagen Sie: „Kritik ist wichtig. Persönliche Beleidigungen stören mich nicht, weil ich finde, dass die eher negativ auf die Kommentierenden zurückfallen als auf mich.“ Wie aber gehen Sie mit Social-Media-Kommentaren um wie solchen zu Ihrem Gespräch mit dem Bundespräsidenten im Oktober:„Ist diese Frau nicht mit einem Pharmatypen liiert? Welche wundersame Fügung …!“?

Ich bin ja eine selbstbewusste Frau. Kommentare wie „unqualifiziert“ stören mich nicht weiter. Und wenn ich Schmähkommentare lese, ist mein Hauptgefühl wirklich Fremdscham, dass sich jemand nicht entblödet, so was zu schreiben. Außerdem bin ich ja nun schon eine Weile bei Youtube aktiv und die Art des Feedbacks dort gewohnt. Es ist generell nicht sehr gesund, sich das alles anzusehen, selbst die positiven Kommentare. Ich nutze deshalb Social Media nur sehr eingeschränkt. Aber es war schon seltsam, dass in Verschwörerkanälen die These promotet wurde, mein Mann sei ein hohes Tier in der Pharmaforschung und wir wollten gemeinsam nur Geld für Impfstoff einsacken. Das ist umso absurder, als die Firma meines Mannes nicht mal an einem Impfstoff arbeitet. Aber immerhin: Als ich noch keine so große Reichweite hatte, hieß es über mich: „Diese Youtuberin hat ja keine Ahnung.“ Inzwischen bin ich zur Strippenzieherin avanciert, quasi aufgestiegen in der Verschwörer-Hierarchie. Also nehme ich so was einfach als Kompliment (lacht).

 

Das vollständige Interview lesen Sie hier.