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Pauline Tillmann über Neugründungen im Lokaljournalismus: „Aktuell ist der Leidensdruck noch nicht groß genug“

Pauline Tillmann über Neugründungen im Lokaljournalismus: „Aktuell ist der Leidensdruck noch nicht groß genug“ Pauline Tillmann (Foto: Helen Hecker)

„karla“-Geschäfts­führerin Tillmann sagt, weshalb sich aus ihrer Sicht nur wenige Medien­schaffende selbst­ständig machen.

Bonn/Konstanz (KNA) – Als die „karla“-Redaktion Ende vergangenen Jahres bekannt gab, ihre Tätigkeiten einstellen zu müssen, weil sich keine Förderer gefunden hatten, reagierten viele bestürzt. Das Konstanzer Projekt wollte eine andere Art von Lokaljournalismus betreiben, nah bei den Menschen, gut recherchiert und am Gemeinwohl statt an Klickzahlen orientiert. Zum Ende hatten nach eigenen Angaben rund 900 Menschen das Angebot abonniert.

 

Doch das Finanzierungsmodell erwies sich als nicht tragfähig. Das Team hatte auf frisches Geld von Stiftungen gehofft, das nicht in ausreichendem Maße eintraf. Das Ergebnis: „karla“ stellte zum 31. Dezember den Betrieb ein.

 

Doch nun hat sich mit der Deutschen Postcode Lotterie, einer privaten Soziallotterie, ein neuer Förderer für 2024 gefunden. Mit neuem Geld kommen auch frische Gesichter: Pauline Tillmann soll dem Projekt als Geschäftsführerin wieder auf die Beine helfen. Im Interview mit dem KNA-Mediendienst berichtet sie über die Hindernisse, die vor ihr liegen, und die Vision für neuen Konstanzer Lokaljournalismus.

 

Viele in der Medienbranche verbinden Ihren Namen vor allem mit dem digitalen Magazin „Deine Korrespondentin“, das Auslandsberichterstattung über Frauen macht. Für die ARD haben Sie einige Jahre aus St. Petersburg berichtet. Wie kommen Sie jetzt in den Lokaljournalismus?

Pauline Tillmann: Ich komme aus dem Lokaljournalismus. Bei der „Schwäbischen Zeitung“ habe ich mir vor mehr als 20 Jahren die ersten Sporen verdient. Insofern kehre ich jetzt zu meinen Wurzeln zurück, auch wenn ich als Geschäftsführerin ja nicht schreibend tätig, sondern eher für die strategische Vision zuständig bin. Außerdem wohne ich seit neun Jahren in Konstanz und habe das Projekt „karla“ immer schon von der Seitenlinie beobachtet und begleitet. Als dann im Januar die Zusage für die Förderung der Deutschen Postcode Lotterie kam und eine Geschäftsführung gesucht wurde, habe ich meinen Hut in den Ring geworfen.

 

Sie sagen, dass Sie für die Vision zuständig sind. Was ist denn Ihre Vision für guten, zukunftsfähigen Lokaljournalismus?

Die Förderung bekommen wir zunächst für zwei Projekte: den Aufbau einer Bürger-Redaktion und die Weiterentwicklung von „werkzeugkasten.media“. Erstmal ist es meine Aufgabe, diese beiden Punkte zu erfüllen. In der Bürger-Redaktion sehen wir eine große Chance, verstärkt Menschen am Journalismus teilhaben zu lassen, damit sie ihre Perspektiven einbringen können und wir die Stadtgesellschaft noch besser abbilden. Ich beschäftige mich ja schon seit vielen Jahren mit Community-Journalismus, unter anderem bei „Deine Korrespondentin“. Außerdem habe ich 2022 das Buch „Lust auf Lokal - das Handbuch für Community-Journalismus für den Correctiv-Verlag geschrieben.

 

Können Sie das noch ein bisschen konkreter machen? Wie soll sich der neue „karla“-Journalismus von klassischem Lokalzeitungsjournalismus unterscheiden?

Der grundsätzliche Unterschied ist, dass wir Pop-up-Redaktionen in unterschiedlichen Quartieren in Konstanz planen. Darüber verfügen Mitbewerber wie der SWR und der Südkurier, nicht. Wir haben keine Chronistenpflicht, sondern picken uns Schwerpunktthemen heraus – in der Tradition von „karla“ – um in die Tiefe zu gehen. Wir erklären Hintergründe und zeigen Zusammenhänge auf. Einmal in der Woche bieten wir eine zweistündige, offene Sprechstunde in den Quartieren an, wo Leute einfach vorbeikommen können, und ihre Themen platzieren. Dinge, von denen sie sagen, da müsste doch mal drüber berichtet werden. Und dann können sie sogar selbst darüber berichten.

 

Wie das?

Wir nehmen sie an die Hand, wir vermitteln ihnen Medienkompetenz, beispielsweise in Form von Online-Tutorials von der Reporterfabrik. Damit ermächtigen wir sie, selbst journalistisch tätig zu sein. Da ist eine große Kraft für engagierten Journalismus, die sich auch andere Medien zunutze machen könnten, aber dafür müsste man das Grundkonzept der Redaktion überdenken. Wir waren ja ganz lange der Meinung, dass wir wissen, was die Leute beschäftigt, dass wir wissen, was wichtig ist. Ich glaube, man sollte sich von dieser Gatekeeper-Funktion immer mehr verabschieden und sich neuen Formen der Partizipation zuwenden.

 

Haben Sie Vorkehrungen getroffen, damit in den Bürger-Redaktionen nicht wieder dieselben Leute zu Wort kommen, die ohnehin schon immer die lauteste Stimme haben? Wenn ich an die Ungleichverteilung von Care-Arbeit denke, haben doch sicher eher Männer Zeit, sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich journalistisch zu betätigen.

Vielfalt im Journalismus und in den Medien ist ein Thema, was mich schon seit vielen Jahren umtreibt. In deutschen Medien wird viermal mehr über Männer berichtet als über Frauen. Diesen Missstand habe ich 2015 erkannt und „Deine Korrespondentin“ gegründet, um das zu ändern. Natürlich muss man beim Community-Journalismus aufpassen, dass nicht immer die Gleichen kommen, die besonders laut sind und sich Gehör verschaffen. Ich glaube, dadurch, dass wir vor Ort präsent sind und uns unterschiedliche Modelle überlegen, können wir viele Menschen abholen und für unser Projekt begeistern. Und natürlich wäre es sinnvoll, für Menschen, die wenig Zeit haben, auch über digitale Sprechstunden nachzudenken, damit sie trotzdem über Themen sprechen können, die ihnen am Herzen liegen. Wir stehen da jetzt noch ganz am Anfang, deshalb muss sich das alles in den nächsten Monaten erst einmal zurechtruckeln.

 

Wie sieht denn Ihr Team derzeit aus? Gab es da Kontinuität von der alten zum neuen „karla“?

Fast alle Gesellschafter:innen sind weiterhin an Bord, weil sie finden, dass wir mit „karla“ zur Medienvielfalt im Lokalen beitragen und die Demokratie stärken. Mit dem Budget, das wir bis Ende des Jahres zur Verfügung gestellt bekommen, können wir aber keine fünf Leute Vollzeit beschäftigen. Ich habe mich dafür ausgesprochen, dass alle freiberuflich tätig sind, weil ich damit sehr gute Erfahrungen gemacht habe. Der Grund: Wir sind dadurch flexibel und agil. Wir werden mit der Förderung drei Teilzeitstellen besetzen können: Ich als Geschäftsführerin und Projektleiterin des Werkzeugkastens, die Projektleiterin für die Bürger:innen-Redaktion und jemanden fürs Community-Management.

 

Als „karla“ Ende vergangenen Jahres das vorläufige Ende verkündet hat, war das für viele ein ziemlicher Schreck. Die aktuelle Förderung läuft auch nur bis Ende 2024. Inwiefern ist das Projekt jetzt finanziell resilienter als vorher?

Das ist natürlich ein Thema, was uns stark umtreibt. Bei meinem Dienstantritt im März war sofort klar, dass wir uns um die weitere Finanzierung kümmern müssen.

 

Wie könnte die Zukunft denn aussehen?

Es gab Gespräche mit unterschiedlichen Stiftungen, die man gegebenenfalls wieder aufnehmen kann. Nach wie vor steht die Idee im Raum, eine Mitgliedschaftskampagne zu starten, bei der man einige der früheren zahlungswilligen Abonnent:innen in Mitglieder umwandelt. Zum jetzigen Zeitpunkt kann ich aber noch nicht sagen, wie es nach 2024 konkret weitergehen wird.

 

Sie konnten bei „Deine Korrespondentin“ schon Gründungserfahrung sammeln, jetzt sind Sie bei „karla“ wieder bei einem relativ neuen, kleinen Projekt involviert. Wie müssten sich denn Ihrer Meinung nach die Rahmenbedingungen verändern, damit es mehr Gründungen im Journalismus gibt?

Ein zentraler Aspekt wäre die Rechtssicherheit für gemeinnützigen Journalismus. Alle Non-Profit-Medienunternehmen warten darauf, dass diese endlich kommt, nachdem die Bundesregierung sie im Koalitionsvertrag 2021 festgeschrieben hat.

 

Glauben Sie denn, dass man mit Projekten wie „karla“ das Sterben der Lokalzeitungen, das ja immer weiter um sich greift, und die verschlafene digitale Transformation im Lokaljournalismus auffangen kann?

Bei neuen Projekten hat man den Vorteil, dass man das Digitale nicht zusätzlich zur gedruckten Zeitung machen muss, sondern den Fokus speziell darauf legen kann. Viele Medienhäuser hängen immer noch an der Printzeitung. Das ist ja auch logisch, weil über die Anzeigenkunden ein Großteil der Einnahmen fließt. Aber das ist bekanntermaßen nicht die Zukunft. Ich glaube, einige Lokalzeitungen werden die nächsten zehn Jahre nicht überleben. Wir bei „karla“ können unsere Inhalte über die Webseite ausspielen, über Newsletter, den Podcast, Videoformate, Social-Media-Kanäle wie Instagram. Wir planen analoge Begegnungsformate, bei denen wir mit den Menschen direkt ins Gespräch kommen. Wir stimmen nicht in das Klagelied vieler etablierter Medien ein, sondern sehen extrem viele Chancen im Digitalen.

 

Wenn jetzt viele Lokalzeitungen den Bach runter gehen, gibt es ja eigentlich einen riesigen Bedarf an Neugründungen. Warum gibt es trotzdem so wenige Journalisten, die diesen Schritt wagen?

Ich wäre gerne davon überzeugt, dass wir vor einer Gründungswelle im Lokalen stehen, aber ich bin skeptisch, weil ich sehe, dass viele Menschen Angst vor dem Gründen haben. Eigentlich war es noch nie so einfach: Es gibt extrem gute Handreichungen, zum Beispiel bei neuemedien.org, es gibt eine Reihe von Inkubatoren wie das Journalismuslab NRW oder das Media Lab Bayern und es gibt schon zahlreiche Neugründungen, die man um Rat fragen kann. Ich ermuntere immer wieder Journalisten, diesen Weg auszuprobieren, wenn sie ein Herzensthema und von den bestehenden Strukturen die Nase voll haben. Tatsächlich machen es aber nur sehr wenige, weil es auch bei jungen Menschen einen großen Wunsch nach Stabilität und Sicherheit gibt – und das kann ein Medien-Startup natürlich nicht bieten. Man muss lernen, mit Unvorhersehbarkeiten umzugehen, auch mal was zu riskieren und sich unermüdlich abzustrampeln. Aber: Not macht erfinderisch, man geht neue, innovative Wege und kann viel dabei lernen. Spätestens wenn eine Lokalzeitung nach der anderen dicht macht, bin ich mir sicher, dass entlassene Journalist:innen nicht durchweg in die Öffentlichkeitsarbeit oder zu PR-Agenturen wechseln werden, sondern auch eigene Medienprojekte starten. Aktuell ist der Leidensdruck noch nicht groß genug, aber ich glaube, der wird in den nächsten Jahren wachsen, so wie – hoffentlich – der Mut zum Gründen.