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Newsroom – Kösal Baltaci

Precht/Welzer: „In den Leitmedien hat man fast nur den einen Ton gehört“

Precht/Welzer: „In den Leitmedien hat man fast nur den einen Ton gehört“ Richard David Precht und Harald Welzer (r., Foto: Debora Mittelstaedt)

Das von den Medien veröffentlichte Meinungsbild stimme nicht mit jenem des Großteils der Bevölkerung überein, sagen Richard David Precht und Harald Welzer in ihrem neuen Buch „Die vierte Gewalt“. Vier Fragen dazu im Interview.

Berlin – Das von den Medien veröffentlichte Meinungsbild stimme häufig nicht mit jenem des Großteils der Bevölkerung überein, sagen Philosoph Richard David Precht und Sozialpsychologe Harald Welzer in ihrem neuen Buch „Die vierte Gewalt“. Ein Gespräch mit „medium magazin“-Autor Köksal Baltaci über den Hang zur Simplifizierung, Orientierung an Kollegen, Suche nach Schuldigen, Verlust von Vertrauen in die Massenmedien und den sogenannten Cursor-Journalismus.


Sie gehen mit der deutschen Medienlandschaft sehr hart ins Gericht. Gab es so etwas wie eine Initialzündung, dieses Buch zu schreiben?

Harald Welzer: Ich würde es nicht als Initialzündung beschreiben, sondern als eine wiederkehrende Beobachtung, die dann aber einen Auslöser bekommen hat mit der Berichterstattung über den Ukraine-Krieg und der Umgangsweise mit kritischen Stimmen bzw. auch mit der Absenz von kritischen Stimmen in der leitmedialen Berichterstattung und Kommentierung. Ich dachte dann: Nein, zur Demokratie gehört es essenziell dazu, dass Menschen versuchen zu überlegen: Mit welcher Situation hat man es zu tun? Was kann man erwägend kritisch dazu einbringen? Und was wird dem wiederum entgegengestellt? Der wohlmeinende Streit um richtige Perspektiven ist das Herz der Demokratie. Wenn wir in eine Situation laufen, in der man im Grunde genommen nur manichäisch sagt, „alles ist gut“ oder „alles ist böse“, dann ist die Demokratie nicht gefördert und nicht gesichert.

Richard David Precht: Ich habe dem nichts Wesentliches hinzuzufügen. Die Berichterstattung über den Ukraine-Krieg hat uns schon sehr stark verwundert – einfach deswegen, weil das in den Meinungsumfragen erhobene Bild der Bevölkerung ein sehr ausgeglichenes ist. Darin waren in etwa 45 Prozent für die Lieferung von schweren Waffen und 45 Prozent dagegen. In den Leitmedien hat man – mit wenigen Ausnahmen – fast nur den einen Ton gehört, nämlich dafür zu sein. Es gab also eine große Diskrepanz zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung. So etwas kann es einmal geben, darf es auch einmal geben, aber bei diesem Thema gibt es das sehr dauerhaft. Und zwar auf eine so imposante Art und Weise, dass man anfängt, sich verstärkt Gedanken darüber zu machen, wie es dazu gekommen ist.

 

Die Antwort darauf geben Sie sich ja selbst, und zwar mit dem Begriff Cursor-Journalismus, den Sie einführen. Damit meinen Sie, dass die meisten Journalisten je nach wehendem Zeitgeist einen ähnlichen Standpunkt vertreten, also eine  vergleichbare Positionierung haben, und zumeist auch die gleichen Themen behandeln. Der Cursor ist gewissermaßen das Licht, das die Motten anzieht. Habe ich das richtig verstanden?

Welzer: Hervorragend

Precht: Ganz genau.

 

Restlos einverstanden bin ich mit dieser Darstellung natürlich nicht, aber ganz von der Hand zu weisen ist sie auch nicht. Wie lautet Ihre Erklärung für dieses Phänomen?

Precht: Die Journalisten hatten ein Problem, das sie nicht selbst geschaffen haben – nämlich, dass man über neuartige Ereignisse wie die Pandemie ganz wenig wusste. Wie orientiert man sich in so einer Situation? Man orientiert sich in erster Linie an den Kollegen. Und so entstehen bestimmte Wellen. Was wir an den Wellen anprangern, ist zum Beispiel die Suche nach Schuldigen. Man war sehr froh, wenn diese Ventilfunktion da war. In der deutschen Diskussion waren das die Karnevalisten aus Heinsberg, die irgendwie das Coronavirus eingeschleppt haben, oder die Touristen aus Ischgl. Dann waren es die Jugendlichen mit ihren Corona-Partys und schließlich die, die sich nicht impfen ließen. Man hat also Feindbilder gesucht und es gab in ganz vielen Medien ein konzertantes Einschlagen auf diese Feindbilder. Abgesehen davon, dass es immer schwierig ist, wenn sich eine Gesellschaft Sündenböcke sucht, war es doch interessant zu sehen, wie die Medien nicht versucht haben, allzu differenziert zu zeichnen, sondern immer in diesen Wellen mitgemacht haben. Was ich zum Beispiel sehr frappierend fand: In Deutschland war immer die Rede davon, dass wir selbstverständlich keine allgemeine Impfpflicht einführen, dann gab es zwei, drei Monate, in denen das gekippt ist. Plötzlich waren fast alle Journalisten konzertant für eine Impfpflicht. Drei Monate später, als die Kurve wieder nach unten ging, waren sie wieder dagegen. Man kann natürlich seine Meinung ändern, das ist völlig in Ordnung. Aber nicht in Ordnung ist, dass man gegen andere Meinungen mit einer Heftigkeit angeschrieben und Personen stigmatisiert hat, wie das leider vorgekommen ist. Und das sind eben genau die Phänomene, die uns große Sorgen machen. 

 

Das ganze Interview finden Sie hier