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Volker Lilienthal: „,Bild‘ hat ein übersteigertes Selbstbewusstsein“

Volker Lilienthal: „,Bild‘ hat ein übersteigertes Selbstbewusstsein“ Volker Lilienthal (Foto: YouTube)

Der Journalismusforscher erhielt intensiven Zugang zur Redaktion. Im „medium magazin“-Interview spricht er über die Scham mancher „Bild“-Mitarbeitender.

Berlin – Der Journalismusforscher Volker Lilienthal erhielt erstmals intensiven Zugang zur Redaktion. Im „medium magazin“-Interview spricht er mit Chefredakteur Alexander Graf über Medienethik im Boulevard und die Scham mancher „Bild“-Mitarbeitender.

 

… Wie offen stand Ihnen die Redaktion?

Volker Lilienthal: Ich konnte im Jahr 2020 mit 43 Mitarbeitenden sprechen, die ich aus allen Hierarchieebenen ausgewählt habe. Zudem war ich an neun Beobachtungstagen vor Ort in der Redaktion – die Coronapandemie brachte dabei leider Einschränkungen mit sich. Dennoch: Bisher gab es in der Forschung eigentlich nur Inhaltsanalysen aus sicherer Entfernung, „Bild“-Mitarbeitende wurden in der Kommunikationswissenschaft so gut wie nie befragt.

 

 

Welche Erkenntnis hat Sie überrascht?

Überrascht hat mich, dass die Redaktionskultur bei „Bild“ wirklich sehr verschiedenartig ist. Da gibt es einerseits diesen scharfen Ton, den man schon aus der Amazon-Doku kannte. Dazu das starke Chefredakteursprinzip, das viele Vorurteile bestätigt. Aber andererseits gibt es sehr zugängliche, nachdenkliche, kluge Kolleginnen und Kollegen, die manchmal mit dem hadern, was sie so hervorbringen – oder was die jeweilige Chefredaktion ihnen hervorzubringen vorgibt. Die fremdeln durchaus, verspüren eine innere Distanz zu „Bild“. Ich habe mehrfach gehört: Ich nehme „Bild“ schon lange nicht mehr zur Hand. Und: Ich fühle mich bei tagesschau.de besser informiert als auf bild.de.

 

Es gibt ja dieses Max-Goldt-Zitat, in dem es sinngemäß heißt, „Bild“-Mitarbeitende seien schlechte Menschen und gesellschaftlich inakzeptabel. Dem würden Sie also nicht zustimmen?

Richtig. Dieses übliche „Bild“-Bashing möchte ich mir nicht zu eigen machen. Tatsächlich habe ich mich als Forscher dazu ermahnt, mich von kursierenden Vorurteilen freizumachen. Sonst findet man nichts Neues heraus.

 

Sie haben auch zum „Arbeitsplatz Bild“ gefragt. Es gab den Fall Reichelt, aktuell den Fall Döpfner. Ist es belastend, für „Bild“ zu arbeiten?

„Bild“ ist ein Arbeitsplatz mit sehr hohem Tempo und sehr hoher Belastung. Gleichzeitig ist die Arbeitsplatzzufriedenheit bei den Befragten sehr hoch. Denn man wird für die Belastung auch immer wieder entschädigt – solange man sich mit dem grundsätzlichen Kurs identifizieren kann. Da ist zum einen die sehr gute Bezahlung, zum anderen der wahrgenommene Impact der eigenen Arbeit, etwa wenn durch die Berichterstattung eine Politikerkarriere beendet wird. Ein wenig differenzierter wird das mit Blick auf die Phase ab Anfang 2020, als Reichelt von jetzt auf gleich Bild Live aufbauen wollte. Da hat er von seinen Mitarbeitenden eine extrem steile Lernkurve verlangt. Altgediente Printredakteure mussten plötzlich vor die Kamera. Es wurde mehrfach berichtet, dass Leute nachts aus dem Bett geklingelt wurden, weil Reichelt meinte, dass man jetzt sofort on air gehen müsse. Anhand meiner Befragungen lässt sich sagen, dass das Scheitern von Bild Live eigentlich unvermeidbar war. Es fehlte an allem: entsprechenden Fortbildungen, Organisation, Kompetenz, inhaltliche Qualität. Reichelt hat das alles aus dem Bauch heraus aufgezogen und viele Leute in der Redaktion nicht mitgenommen.

 

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