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„Vorbildhafte innere Umkehr“: Theo Sommer verteidigt Henri Nannen

„Vorbildhafte innere Umkehr“: Theo Sommer verteidigt Henri Nannen Theo Sommer

Der ehemalige Herausgeber der „Zeit“ hat sich in die Debatte um die NS-Vergangenheit von „Stern“-Gründer Henri Nannen eingeschaltet.

Berlin – „Recherchen über Henri Nannens Rolle im Nationalsozialismus beschädigen seinen Nimbus. Doch was der ,Stern‘-Gründer für die Demokratie getan hat, war nachhaltiger als alles, was er sich vorwerfen lassen muss“, lautet die Kernaussage von Theo Sommer in seinem Beitrag in der „Zeit“.

 

Der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der Wochenzeitung schreibt zunächst über den Begriff von der „Gnade der späten Geburt“, den Ex-Bundeskanzler Helmut Kohl in Umlauf gebracht hatte:

„Helmut Kohl war zehn Wochen älter als ich, und auch ich habe von der Gnade der späten Geburt profitiert. Aber ich bin mir nicht sicher, dass ich sie wirklich verdiene. Wäre ich drei oder fünf Jahre früher geboren worden, wäre sie mir versagt geblieben. Dann hätte ich mich – das war tatsächlich mein Vorsatz als 14-jähriger Schüler an der Adolf-Hitler-Schule in Sonthofen – freiwillig zur Division Großdeutschland gemeldet. Was ich in dieser Einheit gemacht hätte, hätte machen müssen, wage ich nicht, mir vorzustellen. Dann hätte es mir leicht ergehen können wie Henri Nannen, dessen Vergangenheit in der Vorstellung der Hundertfünfzigprozentigen alles zunichtemacht, was er als Chef des ,Stern‘ getan hat, um der Demokratie in Deutschland auf die Beine zu helfen, dem Staat den Respekt vor der Meinungsfreiheit abzutrotzen und der altfränkischen westdeutschen Gesellschaft liberales Denken aufzupfropfen.“

 

Für Theo Sommer war es das Wichtigste, „dass die Deutschen, als sie das Braunhemd ausgezogen hatten, zu Demokraten wurden“. Ohne große Schuldeingeständnisse, aber auch ohne Verstocktheit hätten sie die neue Ordnung akzeptiert, ja: sie seien zu ihren Verfechtern geworden. Ihre innere Umkehr sei echt gewesen. „Henri Nannen war nicht der Einzige, der sie vollzog, aber er vollzog seine Abkehr von dem verbrecherischen braunen Aberwitz in Worten wie in Taten. Dabei verschwieg er seine eigene Rolle nicht. Früh gestand er, er habe gewusst, dass in Nazi-Deutschland wehrlose Menschen vernichtet wurden“, unterstreicht Sommer in seinem Beitrag in der „Zeit“.

 

Der ehemalige „Zeit“-Lenker hält Henri Nannens innere Umkehr für vorbildhaft, seine offenherzige Bußfertigkeit, seinen Einsatz für Rechtsstaatlichkeit, innere Liberalität und Humanitas. Sommer schließt mit den Worten: „Ihm die Vorbildhaftigkeit abzusprechen ignoriert die Tatsache, dass er einer von jenen war, welche die zweite deutsche Republik zum freiheitlichsten und lebenswertesten Staat gemacht haben, den unsere Geschichte je hervorgebracht hat. Und sie schlägt die Erkenntnis in den Wind, dass Menschen hinzulernen können. Das sollten auch jene einsehen, die sich in der Gnade der späten Geburt schuldfrei wissen. Das Bleigewicht der Geschichte werden auch sie nicht los.“

 

Zur Person: Theo Sommer war von 1973 bis 1993 Chefredakteur der „Zeit“, anschließend bis 2000 zusammen mit Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt Herausgeber der Zeitung.