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Was für ein Nachruf auf Franz Josef Wagner!

Was für ein Nachruf auf Franz Josef Wagner! Carsten Otte (Foto: SWR)

Zum Tod von Franz Josef Wagner erinnert sich SWR-Kultur-Literaturkritiker Carsten Otte im Stil von „Post von Wagner“ an einen exzentrischen Boulevardjournalisten – herrlich verrückt, oft genial, manchmal irre.

Stuttgart – „Eine Nachricht wie aus einer anderen journalistischen Epoche. Franz Josef Wagner ist im Alter von 82 Jahren gestorben“, schreibt SWR Kultur Literaturkritiker Carsten Otte als Introtext auf Facebook für seinen Nachruf auf swr.de. Und weiter: „Als ich Wagner Mitte der Neunziger kennenlernte, schrieb ich unter anderem für taz, Konkret und die Zeit. Das hat ihn nicht gehindert, mir kuriose Aufträge zu geben. Heute wäre das vermutlich kaum mehr denkbar. Bald erscheint die letzte werktägliche Printausgabe der taz, und der Tod dieses unfassbar anstrengenden, maßlosen, aber eben auch selbstironischen und auf wilde Art liebevollen Typen ist ein weiteres Symbol für den Strukturwandel einer Branche. - Zum Abschied ein persönlicher Nachruf im Stile … na, was denn sonst … seiner Kolumne“: 


Lieber Franz Josef,
wenn im Sommer 1996 bei mir das Telefon um drei Uhr nachts klingelte, wusste ich genau: Das konnte nur der Wagner sein. So war es dann auch. Wieder eine Idee. Für Korsika, ein Illustriertenprojekt aus dem Hause Burda. Die wildesten Geschichten aus Berlin sollten darin gedruckt werden.
Ich schlich für Korsika durch russische Puffs am Stuttgarter Platz. Absturz und Glamour. Solche Geschichten waren in den Neunzigern noch gefragt.

 

Absturz und Glamour – das konnte keiner wie Franz Josef Wagner
Im Grunde hättest du alle Texte, die du in Auftrag gegeben hast, selbst schreiben sollen. Absturz und Glamour, das konnte keiner wie du. Korsika wurde nach einer ziemlich merkwürdigen Nullnummer eingestellt. Aber das war egal.


Dein ganzes Leben ging so. Du hast noch nicht einmal deine Abiturprüfung bestanden. Stattdessen hast du dich mit Andreas Baader angefreundet, bist lange Jahre als Kriegsberichterstatter unterwegs gewesen; Jom-Kippur-Krieg, Vietnamkrieg.

 

Spezialbegabung: das Erfinden wahnwitziger Überschriften
Wenn die Welt schon in Flammen stand, sollte das auch in den Reportagen spürbar werden. Deine Spezialbegabung war das Erfinden wahnwitziger Überschriften. 1991 warst du Chefredakteur der ostdeutschen Boulevardzeitung Super!. Deine Schlagzeile „Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen“ sorgte dann auch in anderen Medien für Meldungen.


Du wurdest „Gossen-Goethe“ genannt. Und diesen Titel hast du mit Würde getragen. FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher nannte dich einen „Volksschriftsteller“. Als du im Jahr 2000 Chefredakteur des Berliner Revolverblattes B.Z. wurdest, hast du erst mal eine Reihe Schriftsteller engagiert, darunter auch Christian Kracht.

 

Ein Vertrag wäre zu spießig gewesen
Damals schrieb ich für die taz, was dir völlig schnuppe war. Ich kann mich noch an deine Worte erinnern: „Junge, du musst jetzt mal Geld verdienen, zur taz kannst du wieder als Rentner gehen.“
Du hast mich ins Springer-Hochhaus eingeladen und mir von einem Tag auf den anderen ein Büro gegeben, ohne Vertrag, das wäre zu spießig gewesen. Ein Gespräch übers Honorar habe ich mit dir nie geführt. Wurde ein Text gedruckt, hast du einfach mal 10.000 Mark anweisen lassen.

 

Mal wieder die Regeln umdefiniert
Einmal erzählte ich dir von meinen Erlebnissen im Ost-Berliner Bezirk Schöneweide kurz nach der Wende. Du hast nur gerufen: „Schreib das auf!“ Am Ende lagen in der Redaktion 30.000 Zeichen. Völlig ungeeignet für ein Boulevardblatt. Aber du hast die Regeln wieder mal umdefiniert und drei ganze Seiten für die Sonntagsausgabe freigeräumt.


Aus diesem Text ist dann mein Debütroman Schweineöde entstanden. Dir war das Buch zu lang, vor allem: „zu literarisch“.

 

„Bild“-Kolumne „Post von Wagner“: mal sentimental, mal völlig irre
Nicht selten hast du Leute, die du gut kanntest, öffentlich beleidigt. Im Jahr 2000 warst du als Chefredakteur für die B.Z. für eine Titelstory verantwortlich, die mit den unfassbaren Worten „Franzi van Speck – als Molch holt man kein Gold“ überschrieben war. Daraufhin hast du deinen Posten sofort räumen müssen. Wieder egal.


Du hast schon bald eine neue Chance, nämlich eine Kolumne bei Bild bekommen, die perfekt passte: Post von Wagner. Mal sentimental, mal völlig irre. Mal lustig, mal liebevoll.

 

Der Boulevard der alten Bundesrepublik ist gestorben
Viele Kollegen haben dich belächelt, aber gelesen haben sie dich alle. Irgendwann warst du eine Art Denk- und Mahnmal deiner Zunft, der es immer schlechter ging. Aber es war beruhigend zu wissen, dass du weitergeschrieben hast.


Solange es die Post von Wagner gab, dachte ich, wird es auch den Printjournalismus geben. Jetzt der Schock. Die Nachricht deines Todes ist so unwirklich wie die meisten Artikel, die du geschrieben hast. Es geht eine Ära zu Ende. Der Boulevard der alten Bundesrepublik ist gestorben.

 

„Es war herrlich verrückt mit dir“
Welche Geschichten du wohl den Engeln erzählst? Wirst du dich beschweren, dass es im Paradies keinen passenden Rotwein gibt? Und keine gedruckte Zeitung mit Kolumnen, die dann selbst die Toten zum Leben erwecken?


Ruhe in Frieden – diese Formel ist für dich völlig ungeeignet.
Es war herrlich verrückt mit dir. Danke.

 

Herzlichst,
Dein Carsten

 

 

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