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Was ist so schlecht daran, sich von Social Media unterhalten zu lassen, Ines Imdahl?

Was ist so schlecht daran, sich von Social Media unterhalten zu lassen, Ines Imdahl? Ines Imdahl (Foto: Roland Breitschuh)

Ines Imdahl, Diplom-Psychologin und Chefin der Markt­forschungs-Agentur Rheingold Salon, verrät im Interview zur Themenwoche Social Media, welche harten Social-Media-Regeln sie ihren Kindern auferlegt hat – und wo die Chance für klassische Medien liegt, wieder an Relevanz zu gewinnen, Terrain zurückzuerobern.

Köln – Ines Imdahl wirkt als Gründerin und Geschäftsführerin der Rheingold Salon GmbH, einer Marktforschungsagentur, die tiefenpsychologisch arbeitet, auch zum Thema Social Media. Imdahl ist Jahrgang 1967 und hat vier Kinder. Sie studierte bis 1992 Psychologie in Köln, führte von 2000 bis 2011 den Markt- und Medien-forscher Rheingold Institut, bevor sie zusammen mit Jens Lönneker den Rheingold Salon gründete. Imdahl ist auch als Autorin und Speakerin gefragt. Heike Turi hat Imdahl für die Themenwoche Social Media interviewt. Hier ein Auszug aus dem Gespräch:

 

Was macht Social Media für viele so attraktiv – gerade auch im Vergleich zu den klassischen Medien?

Ines Imdahl: Die Aufbereitung von Informationen in visuell oder sprachlich leichter Verdaulichkeit. Anders formuliert: In nur einem Satz, in einem 15 bis 30 Sekunden kurzen Video, in attraktiver Gestaltung, mit starkem Hook am Anfang liefert Social Media sehr gut zugänglich Informationen, die man sich sonst mühselig zusammensuchen müsste. Viele davon bleiben hängen, weil sie überraschen oder weil sie sinnvoll bei unseren Themen anknüpfen. Das schafft das Gefühl, gut informiert, am Puls der Zeit zu sein. Plus die Möglichkeit, schnell in einer breiteren Öffentlichkeit für ein Thema Aufmerksamkeit zu schaffen, für etwas eintreten zu können, etwas zu bewegen – auch als ganz normaler Mensch, statt auf Medien zu warten zu müssen, die einem diese Öffentlichkeit anbieten – das kann ich aus Erfahrung bestätigen, es gilt mindestens für mein Herzensthema Gendergleichwertigkeit.

 

Du bist Wissenschaftlerin. Du weißt, dass nicht alles Gold ist, was glänzt.

Klar, die Vorteile stellen gleichzeitig die psychologischen Herausforderungen dar: Die Option des Kontaktens und Netzwerkens macht Follower-Anzahl zu einer neuen Währung, das Gefühl der Relevanz relativiert sich, man – vor allem junge Menschen, aber zunehmend auch ältere – fühlen sich gar weniger bedeutend, wenn sie nur wenige Kontakte haben. Jugendliche nehmen die Anzahl ihrer Likes auf einen Post oder einem Reel gar als Maßstab dafür, ob ihr eigenes Erleben gut genug war oder gar ihr Leben etwas wert ist.

 

Wie belastbar ist der Aspekt des Aufgehoben-Seins und des Gehört-Werdens?

Natürlich sieht das Leben vieler Menschen auf Instagram oder TikTok einfach zu gut aus. Statt sich selbst aufgewertet zu fühlen, fühlen sich viele schlechter – auch in Abhängigkeit der Dauer der Nutzung. Gerade junge Mädchen trifft das sehr, sie sind überproportional unglücklich und unzufrieden – darüber hinaus werden sie auffällig oft wieder in alte Rollenbilder gedrängt. Eine große Gefahr besteht auch in dem Glauben junger Menschen, schnell und ohne Aufwand berühmt werden zu können. Über 30 Prozent wollen heute berühmt werden um des Berühmt-Seins willen. Das waren vor 15 Jahren in dieser Zielgruppe weniger als 13 Prozent. Das führt dazu, dass viele Menschen, viel zu viel auch allzu persönliche Dinge und nackte Haut von sich Preis geben.

 

Da müssen bei Dir als Mutter einer Tochter im Teenager-Alter doch die Alarmglocken klingeln. Wie behalten Du und Dein Mann bei vier Kindern die Kontrolle über Social Media?

Als Eltern versuchen wir, mit unseren Kindern zusammen Regeln zu entwickeln, die dazu führen, dass die Vor- die Nachteile in weiten Teilen überwiegen. Dazu gehört, abends das Handy an die gemeinsame Ladestation in der Küche zu stecken, nachts wie beim Essen keine Medien. Auch die Schulzeit – also der konkrete Vormittag in der Schule – ist bei uns bis zum 14. Lebensjahr komplett handyfrei gewesen. Womit wir die einzigen waren, laut unserer Kinder. Außerdem versuchen wir uns mit den Kindern gemeinsam Inhalte anzuschauen, die sie begeistern und darüber zu reden.

 

Warum handhaben das nicht alle Eltern so?

Es ist vielleicht das Schwerste, sich einzugestehen, dass wir den Umgang mit Social Media niemals vollständig kontrollieren können und gleichzeitig gerade beim Umgang mit Social Media nicht zu sagen: Da kann man ohnehin nichts machen. In unseren Studien fällt auf, dass Eltern bei Social Media eher dazu neigen, sehr oder zu viel freie Hand zu lassen. Wir haben gemessen, dass in der Gen Z Kinder bis zu acht Stunden am Tag auf Instagram sind, einen Großteil davon während der Unterrichtszeit. Eine Limitation hatten die Kinder von den Eltern dabei nicht – und es fand trotz Handyverbots in den Schulen statt. Während wir es also mit einer Elterngeneration zu tun haben, die einerseits oft mit dem Begriff Helikopter-Eltern zusammengebracht wird, scheint sie im Umgang mit Social Media eher hilflos. Das liegt aus meiner Sicht vor allem daran, dass Eltern hier völlig auf sich gestellt sind und aktuell nach Bauchgefühl entscheiden müssen, wie sie mit der Situation umgehen möchten – mangels wirklich guter Studienlage, was und wieviel noch okay ist und was zu viel.

 

Mir persönlich macht die Informationsflut und die unerschöpfliche Vielfalt zu schaffen. Aber das mag auch an meinem Alter liegen.

Du bist nicht allein. Eine gewisse „Social Media Fatigue“ greift um sich. Es wird immer schwerer zu sortieren, was wichtig ist, was wir aufnehmen wollen, was richtig oder falsch ist. Wir sind mit der Dauerbefeuerung von Informationen unter permanentem Stress, dem wir uns kaum entziehen können. Zeitweilig löschen meine Kinder umgekehrt immer mal wieder TikTok. Eines hatte sich schon als Erwachsener zwei Jahre komplett vom Smartphone verabschiedet – ausgerechnet unser Informatik-Student.

 

Was ist so schlecht daran, sich von Social Media unterhalten zu lassen?

Menschen wollen unterhalten werden. Immer schon. Wir können nicht ohne Geschichten sein, sie sind im wahrsten Sinne des Wortes Unter-Halt für die Seele. Erst mal ist also Unterhaltung nicht negativ. Kritischer ist das Wie der Unterhaltung. Besteht sie nur und ausschließlich aus kurzen Belohnungs-Impulsen, dann führt das für unseren Seelenhaushalt nicht zwingend zu positiven Entwicklungen, sondern zu verstärkter Depressions-Neigung, zur niedriger Frustrationsgrenze und zu Lernschwierigkeiten oder gar Abhängigkeiten.

 

Liegt hier die Chance für klassische Medien, wieder an Relevanz zu gewinnen, Terrain zurück zu erobern?

Wir können auch seelischen Unterhalt kreieren, der das Seelische stärkt, uns motiviert und unsere Demokratie ebenso. Und da kommen meiner Meinung nach die klassischen Medien mit ins Spiel: Zum einen ist das Thema Unterhaltung etwas, in dem sich gerade TV seit Jahren gut auskennt – und sie können Social Media in großem Stil mitgestalten, statt es wie zu Beginn als Konkurrenz zu sehen. Gerade bei Content gibt es ja für die klassischen Medien einen riesigen Hebel, den sie nutzen können, um so klassisch und social ideal zu verbinden.

 

Im kompletten Interview sagt Ines Imdahl, welche Bedeutung virtuellen Influencern zukommt und warum echte Menschen dennoch „als Influencer relevant bleiben”. Außerdem erklärt sie, welche “drei goldenen Regeln” Marken und CEOs beherzigen sollten. Mehr Interviews finden Sie in der Themenwoche Social Media auf turi2.