Vermischtes
KNA – Esther Menhard

ZDF-Digitalchef Robert Amlung: „Wir bauen kein öffentlich-rechtliches Twitter“

Wenn das ZDF bislang mit seinem Publikum in Kontakt treten wollte, war man auf große Online-Plattformen angewiesen. Robert Amlung ist beim Mainzer Sender für ein Projekt verantwortlich, das daran etwas ändern soll.

Mainz (KNA) Über ZDF-Inhalte diskutieren und Fragen an die Redaktion stellen - das lief bisher vor allem über große Social-Media-Plattformen wie YouTube oder Instagram. Mit ZDFspaces hat die Rundfunkanstalt Anfang Juli den Testbetrieb für einen Kommentarbereich auf der eigenen Webseite gestartet.


Robert Amlung ist Beauftragter für digitale Strategien bei der Mainzer Anstalt, die dafür auch ein internationales Konsortium mit öffentlich-rechtlichen Sender aus Kanada, Belgien und der Schweiz gegründet hat. Im Interview mit dem KNA-Mediendienst erklärt er, wie Zuschauer Inhalte kommentieren können, warum man das Projekt um den politische Auftrag der Öffentlich-Rechtlichen drumherum bauen musste und warum sein Team keine neue Plattform, sondern ein Netzwerk schaffen will.

 

Zum Thema Frauenfußball und einigen ausgewählten Inhalten läuft zurzeit eine Beta-Version der neuen Kommentarfunktion auf der ZDF-Heute-Webseite. Wie sieht das aus und was können Nutzer dort machen?
Robert Amlung: Wenn Sie auf die Webseite zu ZDF heute gehen, finden Sie zum Thema Sport viele Artikel, in die bereits Module eingebunden sind. Das nennen wir „ZDFspaces“. Da sehen Sie unter dem ersten Beitragsbild einen grau unterlegten Kasten „Lasst uns reden!“ mit einer Frage aus der Redaktion an das Publikum, zum Beispiel: „Frauschaft statt Mannschaft - übertrieben oder höchste Zeit?“. Wenn Sie auf den „Mach mit!“-Button klicken, geht rechts davon ein Fenster auf, über das Sie einen Kommentar beitragen können. Der Kommentar bezieht sich nicht nur auf einen Artikel, sondern kann von mehreren Artikeln aus verlinkt sein, wo das Thema der Frage passt.

 

Inwiefern unterscheidet sich das von anderen Kommentarbereichen bei Medien?
ZDFspaces hat ein paar Funktionen, die über das einfache Kommentieren hinausgehen. Nutzer können beispielsweise wählen, aus welcher Perspektive sie zum Thema beitragen, etwa: „Sprachfuchs“, „Traditionsfan“, „Sprache-ist-mir-egal-Typ“. Das dient dazu, die Diskussion zu strukturieren. Nutzer können sich damit Beiträge aus einer Kategorie anzeigen lassen und sich einen Überblick über die Diskussion verschaffen. Auf die einzelnen Kommentare können sie nicht nur mit Daumen hoch und Daumen runter reagieren, sondern vier Kategorien nutzen: „fühl ich“, „hilfreich“, „umstritten“ oder „interessant“. Redaktionen können hier auch weitere Kategorien einbauen, wenn sie wollen. Daneben können Nutzer natürlich auch auf einzelne Kommentare antworten.

 

Wie stellen Sie bei diesen Beiträgen der Nutzer die „Netiquette“ sicher?
Die Beiträge werden von einer KI auf Tonalität überprüft. Wenn Nutzer anfangen zu brüllen und sich nicht anständig zu benehmen, gibt die KI automatisch die Rückmeldung, dass der Beitrag nicht den Community-Richtlinien entspricht. Nutzern wird angezeigt, gegen welche Regeln der Beitrag verstößt. Sie können entweder den Beitrag ändern oder im Zweifel an einen menschlichen Moderator weiterleiten. Die haben wir auch. Das letzte Wort hat immer der Mensch, aber die KI filtert vor.

 

Die Community-Guidelines sind auch verlinkt. Nutzer können sie nachlesen. Können sie auch nachvollziehen, wie die KI funktioniert, also wann sie anspringt und wie sie aussortiert?
Das können sie erstmal selbst testen, indem sie einen Beitrag verfassen. Dafür müssen sie sich anmelden, oben rechts. Die KI ist so eingestellt, dass sie aussortiert, wenn Leute nicht respektvoll miteinander umgehen. Ein Satz wie „Hier sollen alle sterben“ kommt dann einfach nicht durch. Dafür wurden die Community-Richtlinien in die KI gespeist, sie ist in der Lage, Nutzer-Beiträge damit abzugleichen.

 

Bei der KI handelt es sich also um ein Sprachmodell wie ChatGPT?
Wir nutzen eine KI von Google, die Perspective API.

 

Wer ist die Zielgruppe von ZDFspaces?
Um das herauszufinden, haben wir Medienforschung betrieben. Das Ergebnis war: Es gibt eine große Gruppe von Menschen, die eigentlich gerne im öffentlichen Diskurs mitmachen würden, aber hier große Plattformen meiden, weil sie einfach mit den lauten Trollen dort nicht zurechtkommen und sich da nicht äußern können. Diese Leute wollen wir ansprechen. Die Frage war dann: Wie muss man einen Public Space bauen, der für sie passt? Wir haben uns rund 100 Features überlegt und davon neun ausgesucht, die wir für den Anfang programmiert haben. Die anderen gut 90 Funktionen bauen wir jetzt nach und nach in die Produkte ein. Damit wollen wir eine lebendige Diskussion ermöglichen, die zivil und einverständlich abläuft.

 

Im Moment gibt die jeweilige Redaktion Fragen zur Diskussion vor. Gibt es auch die Idee, dass Nutzer Fragen an prominenter Stelle zur Diskussion stellen?
Das ist richtig. Nutzer können Fragen posten, aber Redakteure müssen sie aufnehmen und daraus ein Gespräch machen. Wir haben natürlich überlegt, ob wir Nutzern die Möglichkeit geben, dass sie selbst ein Gesprächsthema aufsetzen können. Dabei gibt es allerdings zwei Probleme. Das eine ist, dass wir dafür keine Beauftragung im Medienstaatsvertrag haben. Da steht drin, dass alles, was wir tun, redaktionell veranlasst sein muss. Deswegen müssen wir immer über die Redaktionen gehen. Das zweite Problem ist der zusätzliche Aufwand. Wenn man Nutzerinnen und Nutzern einfach eine freie Fläche für Diskussionen gibt, wären wir nach dem Digital Services Act der EU verantwortlich dafür, dass das alles halbwegs zivil abläuft. Wenn also Leute zu Straftaten aufrufen, müssten wir mit der Moderation schnell sein und die Beiträge löschen. Dafür dürften wir aber keine Rundfunkbeitragsgelder verwenden, weil es ja nicht im Staatsvertrag steht.

 

Gibt es Überlegungen, an der Beauftragung etwas zu ändern?
Das ist eine große politische Frage: Wie weit sollen wir bei der Interaktion mit Nutzern gehen? Diese Frage wird rege diskutiert, zum Beispiel gerade erst im Fernsehrat. Wir als ZDF können das nicht allein entscheiden. Seit April liegt ein Gutachten zum Digital Public Value des ZDF vor. Das hat der Verwaltungsrat des ZDF beauftragt. Darin beschreiben die zwei Gutachterinnen drei Entwicklungsschritte, mit denen Nutzer einen solchen Public Space wie ZDFspaces zu einer eigenständigen Plattform machen könnten. Auch Fragen zur Finanzierung und inwiefern der Staatsvertrag bezüglich der Beauftragung angepasst werden müsste, spricht das Gutachten an.

 

Was ist denn heute offiziell zulässig?
Mit dem neuen Staatsvertrag erhalten wir zumindest die explizite Beauftragung, dass wir in die Kommunikation mit den Nutzern gehen sollen. Damit haben wir für ZDFspaces eine saubere, rechtliche Grundlage. Alles, was darüber hinausgeht, müsste der Gesetzgeber wollen und beauftragen. Das diskutieren die Staatskanzleien. Am Ende ist es eine politische Entscheidung der Bundesländer. Wir sind hier davon abhängig, wie sich der Auftrag entwickelt und künftig für die digitale Welt ausgestaltet wird.

 

Im Moment ist ZDFspaces auf die ZDF-Webseite beschränkt. Gibt es Pläne, das Angebot in irgendeiner Form mit etablierten sozialen Netzwerken wie Mastodon oder BlueSky zu verknüpfen? Wollen Sie also andere Kommunikationsräume einbinden?
Das ist auf unserer Roadmap. Nächstes Jahr wollen wir die Verbindung zu unter anderem Mastodon aufbauen.

 

Haben Sie schon eine Idee, wie das optisch aussehen wird? Wird dann zum Beispiel bei der Frage irgendwo ein kleines Icon von Mastodon zu sehen sein oder gibt es dann die Möglichkeit zum Cross-Posting?
Das wissen wir noch nicht. Im Moment sind wir dazu in der Recherchephase. Wir wollen auf jeden Fall technische Verbindungen in die Mastodon-Welt, aber auch in die BlueSky-Welt schaffen. Da wir ein internationales Konsortium sind, müssen wir beides anbieten. Mastodon ist schon sehr deutsch, in anderen Ländern ist BlueSky deutlich bekannter und stärker genutzt. Viele Fragen sind noch offen: Wie wird die Nutzerführung sein? Wie regeln wir die Rechenverteilung? Wie verhindern wir Missbrauch? Gesetzt ist bislang nur, dass wir die Technik unterstützen werden.

 

Wer macht im internationalen Konsortium mit?
Gegründet haben das vor zweieinhalb Jahren die Rundfunkanstalten CBC Radio Kanada, das ZDF, RTBF in Belgien und die SRG in der Schweiz. Seit dem 1. April dieses Jahres haben sich die ARD und ABC Australien angeschlossen. Wir sind offen für alle aus dem öffentlich-rechtlichen Bereich und auf lange Sicht auch für die gesamte Medienwelt bis hin zu passenden Partnern in der Zivilgesellschaft.

 

Hasskommentare im Netz wie auf der Plattform X setzen Menschen psychisch unter Druck und verhindern häufig öffentlichen Diskurs. Das Problem gibt es schon lange. Was war für Sie der Auslöser für das Projekt ZDFspaces?
Der initiale Auslöser kam gar nicht aus Europa, sondern aus Amerika. Wir arbeiten mit der Non-Profit-Agentur New_ Public zusammen. Gegründet hat sie Eli Pariser, der 2011 in seinem Buch den Begriff „Filterbubble“ erfunden und geprägt hat. Sein Ziel ist es, Alternativen zu bauen und es besser zu machen als die großen Plattformen. In 2021 ging er auf die damalige Intendantin des kanadischen öffentlich-rechtlichen Rundfunks CBC Radio Kanada zu, Catherine Tait. Denn für seine Idee brauchte er Publikum. Die Kanadier hatten bereits ein großes Problembewusstsein, weil Facebook ihre Konten von einem auf den anderen Tag gesperrt hatte. Das kanadische Parlament stritt über ein Gesetz, das Meta bestimmte Pflichten auferlegen wollte. Die Kanadier haben früh gemerkt, wie stark die Abhängigkeit von Meta ist und welche Risiken sie eingehen, wenn sie nur auf die Drittplattformen der großen amerikanischen Firmen setzen.

 

Und wie landete die Sache beim ZDF in Mainz?
Tait war sofort für das Projekt und suchte nach Kooperationspartnern, um das zu stemmen. Sie wiederum ging auf den ZDF-Intendanten Norbert Himmler zu. So landete das Projekt bei mir, ich arbeite in der Intendanz und habe 2022 mit einem Kollegen aus Kanada das Projekt aufgesetzt sowie die Belgier und Schweizer integriert.

 

Wie sieht die Finanzierung des Projekts aus?
In Deutschland sind das Gelder von ARD und ZDF. Die Inkubator-Phase ist für vier Jahre ausgelegt, bis März 2027. Bis dahin steht die Finanzierung. Alle, die mitmachen, leisten zwei Beiträge: zum einen Geld, das zum größten Teil in die Arbeit von New_ Public fließt. Die Agentur betreibt unter anderem noch bis März den Inkubator. Zum anderen finanzieren wir eigene Manpower. Wir machen die Entwicklung dezentral. Manche Komponenten werden zum Beispiel bei uns in Mainz programmiert, andere in Kanada. Die ARD ist gerade dabei, das aufzusetzen. Das Ganze ist aufgebaut wie ein Open-Source-Projekt und dafür haben wir eigene Entwickler. Wenn das einer alleine finanzieren müsste, wäre es schwer zu stemmen. So geht es. Langfristig sollen die größeren Anstalten mehr bezahlen als die kleineren. Das ist so üblich.

 

Welchen Anreiz sehen Sie für Nutzer, auf ZDFspaces zu diskutieren, anstatt über verschiedene Fragen auf zum Beispiel Mastodon, BlueSky oder YouTube?
Mastodon und BlueSky sehen wir nicht als Konkurrenz, sondern als eine weitere Möglichkeit, Zugang zum Netzwerk zu bekommen. Der Netzwerkgedanke ist hier grundlegend. Wir bauen keine neue Plattform. Wir bauen auch kein öffentlich-rechtliches Twitter, auch wenn uns das manchmal nachgesagt wird. Das machen wir nicht. Sondern wir bauen eine Vernetzung von vielen Plattformen. Und Vernetzung heißt, ich kann über ganz viele Eintrittspunkte Zugang zu den Inhalten des Netzwerks erhalten. Wenn jemand direkt ZDFspaces nutzt, dann hat er ein paar Features, die das Diskutieren etwas bequemer machen, weil er schnell auf die Inhalte wie Videos, Audios und Diskussionsbeiträge zugreifen kann. Dass man zum Beispiel in einem Video an einer bestimmten Stelle abstimmen kann, wird über unser Tool auf der Webseite vermutlicher einfacher sein als vom Mastodon-Client aus.