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Realistisches Ressourcen-Management: Wie viel Belastung ist genug für Sie?

Realistisches Ressourcen-Management: Wie viel Belastung ist genug für Sie? Attila Albert

In bestimmten Phasen des Berufslebens ist es normal, überfordert zu sein. Als Dauerzustand aber schadet das Ihrer Gesundheit und Lebensqualität. Karrierecoach Attila Albert rät Medienprofis deshalb, ihre Belastbarkeit realistisch einzuschätzen und einen dazu passenden Karriereweg zu wählen.

Berlin – Wie kommt es, dass sich so viele Medienprofis heute am Rande eines Burnouts bewegen, obwohl sie kaum Überstunden machen – vielfach noch nicht einmal Kinder haben, die sie nach Feierabend versorgen müssten? Bestimmte Faktoren werden oft diskutiert: Die hohe Verdichtung des Arbeitstages, kleinere Teams mit mehr Aufgaben, ständige Erreichbarkeit, digitale Reizüberflutung. Weniger häufig wird darüber gesprochen, dass sich manche selbst zu viel zumuten: Aufgaben und Positionen annehmen, die sie auf Dauer überlasten.

 

In bestimmten Phasen ist es normal, überfordert zu sein: Zu Beginn des Berufslebens, in einer neuen Position. Auch im Alltagsgeschäft gibt es Belastungsspitzen, wenn ein wichtiges Projekt abgeschlossen werden muss, mehrere Kollegen krank oder in den Ferien sind. Als Dauerzustand aber schadet Überlastung der körperlichen und geistigen Gesundheit sowie der Lebensqualität. Daher empfiehlt es sich langfristig, die eigene Belastbarkeit realistisch einzuschätzen – und einen dazu passenden Karriereweg zu wählen.

 

Typische Anzeichen für Überlastung
Wenn sich Überlastung bei jedem auch anders zeigt, gibt es doch typische Hinweise darauf, dass Sie sich mehr zumuten, als Sie langfristig leisten können:

1. Es gelingt Ihnen regelmäßig nicht, Ihre Aufgaben innerhalb der vereinbarten Arbeitszeit (z. B. 38 Stunden pro Woche) zu erledigen. Daher arbeiten Sie nach Feierabend und am Wochenende weiter – ohne zeitlichen Ausgleich.
2. Sie sind ständig erschöpft und fühlen sich auch nach einem freien Wochenende nicht wirklich erholt. Manchmal retten Sie sich geradezu in den nächsten Urlaub. Aber der Erholungseffekt ist wenige Tage danach schon wieder verschwunden.
3. Körperlich fühlen Sie sich nicht gut, weil Ihnen Zeit und Kraft für ausreichende Erholung, gesunde Ernährung und Sport fehlen. Sie haben beispielsweise wiederkehrende Infekte, nehmen stark zu oder ab, schlafen schlecht.
4. Ihre Stimmung schwankt stark. Manchmal begeistert Sie der Job noch immer, weil Sie die Kollegen und Themen mögen. Dann wiederum sind Sie wegen der hohen Belastung aggressiv, traurig oder verzweifelt („Ich könnte nur noch weinen”).
5. Sie bemerken, dass Sie Fehler machen, die Ihnen früher nicht passiert wären (z. B. falscher Empfänger in E-Mails, Dienstreise in die falsche Richtung gebucht, viele Rechen- oder Tippfehler). Weist man Sie darauf hin, reagieren Sie mit Abwehr.
6. Gelegentlich sind Sie so in Gedanken versunken, dass alltägliche Erledigungen durcheinander gehen. Beispielsweise verpassen Sie auf dem Heimweg Ihre Haltestelle und versuchen, mit dem Firmenausweis die Wohnungstür zu öffnen.
7. Insgesamt sind Sie überzeugt, dass Sie die derzeitige Belastung nicht länger als noch einige Monate aufrecht erhalten können. Blicken Sie zurück, müssen Sie sich aber eingestehen, dass Sie sich das schon seit langem sagen.

Die Bedürfnisse anderer kommen immer zuerst
Immer ist es bei Überlastung sinnvoll, zuerst die eigene Arbeitslast und -organisation zu überprüfen. Protokollieren Sie eine Woche – besser: einen Monat – Ihre Arbeitstage. Das zeigt Ihnen, ob Sie zu viele Überstunden, zu viele interne Auftraggeber oder Aufgaben haben. Vermeintliche Gefälligkeiten unter Kollegen („Kannst du das schnell mal erledigen?‟) gehören auf den Prüfstand: Haben Sie dafür überhaupt Zeit und Kraft? Unzählige Meetings, E-Mails oder Telefonate zeigen Ihnen, dass Sie ein Projektmanagement-Tool bräuchten.

 

Engagierte, empathische Führungskräfte stellen beim genaueren Nachdenken oft fest, dass sie hauptsächlich an die Bedürfnisse anderer denken. Fürsorglich allen anderen gegenüber, hart zu sich selbst. Keiner in ihrem Team soll Überstunden machen, und wer sich nicht gut fühlt, darf daheim bleiben. Es soll aber auch kein Auftrag abgelehnt werden und kein Projekt wegen Ressourcenmangel scheitern, um die Chefs nicht zu enttäuschen. Solche Führungskräfte fühlen sich für alles verantwortlich und vergessen sich dabei selbst.

 

Hier sollten Sie für sich hinterfragen, ob Sie all die empfundene Verantwortung tatsächlich haben – und auch die notwendigen Ressourcen und das entsprechende Gehalt. Eventuell fällt vieles gar nicht in Ihre Zuständigkeit, Sie ziehen es zu sich. Beispiel: Das Team ist zu gering besetzt für die anfallenden Aufgaben, was dem Management seit langem bekannt ist. Sie füllen die Lücke aus eigenem Antrieb, anstatt gewisse Aufgaben oder Projekte nicht mehr anzunehmen, so lange es nicht die Stellen oder das Budget dafür gibt.

 

Realistisches Selbstbild öffnet neue Wege
Anfangs ist das Eingeständnis ernüchternd, sich überschätzt zu haben. Nicht so viel leisten zu können, wie Sie es sich vorgestellt und von sich erwartet hatten. Bald aber befreit Sie ein realistisches Selbstbild. Sie jagen nicht mehr überhöhten Ansprüchen nach, sondern machen Ihren Frieden mit sich. Das erlaubt, sich ohne Reue für einen Weg zu entscheiden, der wirklich zu Ihnen passt. Beispiel: Sie wollten einmal Chefredakteur werden, merken nun aber, dass Sie dessen Aufgaben und Verantwortung eigentlich gar nicht wollten.

 

Möglicherweise passt der klassische Aufstieg nicht zu Ihnen (z. B. vom Redakteur zum Ressortleiter). Es gibt viele andere Karrierewege, die Ihnen mehr entsprechen und Sie glücklicher machen könnten. Dazu gehören der interne Seitenwechsel auf gleicher Ebene (z. B. von der Redaktion ins Produktmanagement), zu einem anderen Arbeitgeber, in eine andere Branche, in die Selbstständigkeit oder sogar ins Ausland. Mehr zu den jeweiligen Vor- und Nachteilen finden Sie im Kress-Pro-Dossier „Viel erreicht, wie weiter?‟

 

„Selbstbestimmte Arbeiten” zu Ihren Lasten
„Das sagt sich alles leicht”, ist hier ein berechtigter Einwand. Es ist natürlich nicht leicht, Vorgesetzten zu widersprechen, Erwartungen zu enttäuschen, Chancen nicht zu nutzen, weil Ihnen der Preis zu hoch wird. Nicht selten decken Sie dabei – unbeabsichtigt – Lebenslügen im Unternehmen auf. Dass etwa das angeblich „selbstbestimmte Arbeiten”, das vermeintliche „Empowerment” (Ermächtigung) weitgehend darauf hinausläuft, dass das Unternehmen zu Ihren Lasten an den Lohnkosten spart und schaut, wie lange das gutgeht.

 

Phasen der langen Überlastung erzwingen es oft auch, den bisherigen Lebensweg einmal ganz grundsätzlich zu hinterfragen. Mancher stellt dabei fest, dass er sich eigentlich verausgabt, um empfundene Defizite und biographische Verletzungen zu bewältigen. Beispiel: Ein Elternteil hat Sie immer so hingestellt, als ob Sie nicht besonders viel taugen und sich Liebe und Beachtung erst verdienen müssten. Nun tun Sie das selbst als Erwachsener noch – durch berufliches Engagement, das über Ihre Kräfte hinausgeht.

 

Der nächste Urlaub oder eine Krankmeldung verschaffen kurzzeitig Erleichterung, lösen aber nicht das Grundproblem. Ist Ihr Job zu anstrengend oder entspricht Ihnen gar nicht, sollten Sie eine Veränderung angehen. Das heißt nicht, dass Sie an der bisherigen Stelle gescheitert sind oder sich geirrt haben. Sondern Sie verstehen sich jetzt besser: Sie wissen heute, was gut für Sie ist und was nicht, wohin Sie passen würden und was eher nichts für Sie ist. Kurz: Sie sind ehrlich zu sich selbst – und dann zu den anderen.

 

Zur vergangenen Job-Kolumne: Von der Fach- zur Führungskraft

 

Zum Autor: Karriere-Coach Attila Albert (geb. 1972) begleitet Medienprofis bei beruflichen Veränderungen. Er hat mehr als 25 Jahre journalistisch gearbeitet, u.a. bei der „Freien Presse“, bei Axel Springer und Ringier. Begleitend studierte er BWL, Webentwicklung und absolvierte eine Coaching-Ausbildung in den USA. www.media-dynamics.org.

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