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Nachrichtenmüdigkeit: Warum Journalisten den Bühnenauftritt suchen

Nachrichtenmüdigkeit: Warum Journalisten den Bühnenauftritt suchen Cornelius Pollmer: Ich bin der Elefant. Die Nachrichten sind das Licht. Foto: Garbe

Bühnenprogramme haben Konjunktur. Was bringt es Journalistinnen und Journalisten, ihre Recherchen so zu präsentieren? Und was müssen sie tun, damit Auftritte perfekt werden?

Berlin-Neukölln - Ein kleiner Elefant versteckt sich im gleißenden Scheinwerferlicht hinter einem Laternenpfahl. Wegen seiner Körperfülle gelingt das aber nur halb. Cornelius Pollmer projiziert das Bild auf eine große Leinwand. „Der Elefant, das bin ich. Das Licht sind die Nachrichten“, erklärt Pollmer und fügt, halb im Ernst, hinzu: „Ich bin da aber nicht der Einzige. Noch nie haben so viele Leute ‚I’m tired‘ gegoogelt.“

 

Pollmer steht dabei selbst im Scheinwerferlicht – auf der Bühne des Heimathafens in Berlin-Neukölln. Hier fand im Januar das Finale des „Reporter Slams“ statt.

 

Journalistinnen und Journalisten verschiedener regionaler, nationaler und internationaler Medien treten dort vor einem Saalpublikum gegeneinander an und haben dann jeweils zehn Minuten Zeit, um eine Recherche zu präsentieren. Anders als bei Poetry-Slams oder Science-­Slams sind dabei alle denkbaren Hilfsmittel erlaubt. Die meisten Teilnehmer vertrauen aber vor allem auf Slides und ihre Stimme.

 

So auch Kathleen Kröger von der „Thüringer Allgemeinen“. Sie ist eine der sechs Reporterinnen und Reporter, die es in das Jahresfinale geschafft haben. Bei ihren Recherchetouren durch Erfurt hatte die Lokalreporterin Kröger an den Fassaden alter DDR-Schulgebäude eine merkwürdige Betonfigur in Form eines Fisches entdeckt. Ihre Suche nach der Geschichte hinter dem architektonischen Mysterium ging auf X viral.

 

So fand Kröger unverhofft den Urheber des Ornaments. Von ihm erfuhr sie, dass hier nicht subversiv ein Christensymbol verbreitet worden war, sondern ein Hobby-Designer lediglich einige vorgegebene DDR-Stilelemente neu zusammengepuzzelt hatte. Dem Publikum gefiel der trocken-humorige Vortrag Krögers so gut, dass es die Erfurterin in der Saalabstimmung zum „Slampion 2023“ wählte. Den Preis bekam sie vom Vorjahressieger überreicht, SZ-Feuilletonist Pollmer, der mit dem Elefanten.


Darum suchen Journalistinnen und Journalisten den Bühnenauftritt


Zum einen ist da eben der Elefant: die Nachrichtenmüdigkeit. Mit der haben bekanntlich viele Menschen zu kämpfen. Pollmer tut das auf der Bühne, meistens in Dresden, seiner Heimatstadt, in der er lange Zeit politischer Korrespondent seiner Zeitung war. Dort präsentiert er zweimal im Jahr seine Liveshow „Die Nachrichten“, lädt zu dem medienkritischen Programm bekannte Gäste wie den Journalisten Paul Ronzheimer, den Regierungssprecher Steffen Hebestreit oder den Podcaster und Moderator Micky Beisenherz ein.

 

Pollmer glaubt, dass er so Bewusstsein schaffen kann für seine Profession – zunächst für die ganz banale Tatsache, dass Journalisten vor allem Menschen sind. „Dabei denke ich an die zahlreichen Berichte über Aggressionen gegen und Übergriffe auf Kolleg:innen. Auf dem Hintergrund macht es natürlich einen Unterschied, ob man die Menschen nur vom Lesen kennt oder sie persönlich auf einer Bühne erlebt hat“, sagt er.

 

Auch Medienkompetenz will er mit seinen Auftritten vermitteln: „Ich bin ja oft betriebsblind und denke, dass alle wissen, wie wir arbeiten. Das ist aber Quatsch.“ Live-Auftritte könnten eine ähnliche Wirkung haben „wie diese Zusatzmaterialien auf DVDs, wie die Interviews mit den Machern, die man früher immer zum Film dazubekommen hat, also quasi als ein Behind-the-Scenes“, sagt Pollmer. Zudem fasziniere ihn die Freiheit des Live-­Auftritts. Auf der Bühne könne er, anders als beim Schreiben, quasi „alles machen“. „Ich bringe Fotos und Filme mit, denke mir eine Bewegungschoreografie aus oder eine spezielle Sprechweise. Diese Freiheit fasziniert mich“, sagt er. Aber auch die Freude daran, öffentlich gefeiert zu werden, motiviert ihn zum Gang ins Rampenlicht. Beobachtet man Pollmer bei seinem Auftritt, spürt man seine Erfahrung. Sein Timing ist gut, die Pointen sitzen, Sprechweise, Mimik und Gestik wirken locker. Er beherrscht die Bühne und fühlt sich vor den 500 Besuchern offensichtlich wohl. Wie aber geht es Kollegen, für die der Schritt ins Rampenlicht eher eine Grenzsituation ist, die aber trotzdem ihre Storys vor ein Livepublikum bringen möchten?

Wie geht man mit der ungewohnten Rolle um?

Zwei Journalisten, denen solch ein Auftritt vor großem Publikum eher fremd war, sind der Berner Sven Niederhäuser von der Correctiv-Plattform „Crowd­newsroom“ und Samuel Hufschmid vom Basler Onlineportal „Bajour“.

 

Ihre Feuertaufe auf der Bühne absolvierten die beiden bei der Premiere des Live-Journalismus-Formats „Jive Klima“ im November 2023 in Berlin. Gemeinsam präsentierten sie dort ihre Crowd- und Datenrecherche zu ungenutzten Pkw-Stellplätzen in Basel („Ist hier noch frei?“).

 

Dabei standen sie zunächst einmal unter Druck: „Ich bin ja gerade Journalist geworden, weil ich nicht sehr gerne im Scheinwerferlicht stehe“, sagt Niederhäuser. „Letztlich fand ich es dann aber extrem schön, dass wir unsere ­Geschichte vor solch einem großen Publikum präsentieren durften.“

Nur, wie wird man die Nervosität los? „Ich habe das für mich so gelöst, dass ich mir gesagt habe: Die Leute sind nicht nur wegen dir da, sondern wegen uns beiden, der Geschichte, der ganzen Show und all den Journalist:innen“, sagt Hufschmid. „Genau wie man ein Magazin ja auch nicht nur wegen einer Geschichte kauft, sondern auch wegen all der anderen Storys im Heft. So habe ich das für mich verarbeitet.“

 

Dabei geholfen, sich in der ungewohnten Situation im Scheinwerferlicht zurechtzufinden, hat auch ein zweitägiges Coaching. Die Schauspielerin Isabelle Feldwisch arbeitete mit den „Jive Klima“-Teilnehmern an deren persönlichem Auftritt.
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Dieser Text ist im „medium magazin“ erschienen. Sie können ihn vollständig in der Ausgabe 01/24 lesen.