Journalistenpreise
KNA

Beim „Stern“-Preis dreht sich die Branche – verdient – um sich selbst

Der „Stern“-Preis 2025 würdigt erneut herausragenden Journalismus – von lokaler Aufklärung bis zu globaler Dokumentation. In Hamburg wurde gefeiert, aber auch deutlich: Unabhängiger Journalismus ist wichtiger denn je.

Hamburg (KNA) – Der „Stern“-Preis ist eine gewichtige Auszeichnung im deutschen Journalismus. Das zeigt sich schon darin, dass auch die zugehörige Trophäe – ein ausgespartes „Stern“-Logo in weißem Rahmen – ziemlich schwer ist, was bei der Preisverleihung am Mittwoch in Hamburg auch mit schönster Regelmäßigkeit angemerkt wurde.

 

Die Branche hat sich wieder auf Kampnagel getroffen, dem aus einer Industriebrache auferstandenen Kulturzentrum, und ein kleiner Hauch von White House Correspondents’ Dinner liegt über den rustikal eingedeckten Tischen. Nur dass die Situation in Deutschland im Vergleich zu den USA in Sachen Angriffen auf den unabhängigen Journalismus noch verhältnismäßig kommod ist, natürlich kein Präsident durch Abwesenheit glänzt und es beim „Stern“-Preis auch keinen Comedy-Act gibt, der gestrichen werden könnte.

 

Dafür ist Hamburgs Kultur- und Mediensenator Carsten Brosda (SPD) in Person da, bleibt den ganzen Abend und macht in seiner Begrüßung aber noch einmal klar, was auch in Deutschland auf dem Spiel steht: die demokratische Meinungsbildung einer Gesellschaft durch unabhängigen, engagierten Journalismus.

 

Ein Hauch heile Welt

Diesen unabhängigen, engagierten Journalismus zu „feiern“ haben auch Moderatorin Pinar Atalay, die mit „Stern“-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz durch den Abend führt, als Motto ausgegeben. Was die versammelte Branche dann natürlich ausgiebig tut – auch wenn Brosdas Mahnungen im Verlauf des Abends dann seltsamerweise kaum noch eine Rolle spielten. So legt sich einerseits ein Hauch heile Welt über die Versammlung, doch die ausgezeichneten Beiträge machten dann schon unverrückbar klar, in welchen Zeiten wir leben. Und wie ungemein wichtig unabhängiger, engagierter Journalismus gerade jetzt ist.

 

Dass sich der Preis immerhin seit 2019 nicht nur der redaktionellen Großbetriebe in Köln, Hamburg, Berlin, München oder den öffentlich-rechtlichen Anstalten annimmt, sondern auch eine Kategorie „Lokales“ hat, unterstreicht diese Rolle auch unterhalb des Hauptstadtredaktions-Levels. Die Gewinner in diesem Jahr kommen von der Augsburger Allgemeinen, die mit ihrer Berichterstattung über die Justizvollzugsanstalt Gablingen gravierende Missstände enthüllt „und beispielhaft gezeigt hat, was lokaler Journalismus leisten kann“, wie es in der Jurybegründung heißt. In Gablingen wurden Gefangene in sogenannten besonders gesicherten Hafträumen schikaniert und ihrer Rechte beraubt. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft.

 

Auch dass die in den vergangenen Jahren pausierte Kategorie „Dokumentation“ wieder dabei ist, macht mehr als Sinn. Denn gerade hier kann und muss der Journalismus jenseits tagesaktueller Hektik seine Stärken ausspielen und den Dingen auf den Grund gehen. David Körzdörfer und Düzen Tekkal gewannen in der zurückgekehrten Kategorie mit Bêmal – Heimatlos. 10 Jahre Völkermord an den Jesiden, einer Produktion von Radio Bremen, SWR und German Dream Productions für die ARD-Mediathek. Der Film verfolgt die Schicksale von vier Geschwisterpaaren, die dem Genozid an der religiösen Minderheit im Nordirak nach großen Verlusten und grauenhaftem Leid entfliehen konnten, und dokumentiert ihr neues Leben in Deutschland.

 

Gänsehaut-Momente

Dass sich Tekkal dabei nicht neutral auf ihre Rolle als Berichterstatterin beschränkt, sondern zur Menschenrechtsaktivistin wird, schmälert „nach Überzeugung der Jury den journalistischen Wert des Films“ in keiner Weise. Und gerade dass einige der Protagonistinnen im Saal anwesend sind und beim Dank zur Preisübergabe selbst berichten – auch über immer noch im Nordirak festgehaltene oder verschleppte Verwandte –, sorgt auch bei abgebrühten Politjournalismus-Profis für Gänsehaut.

Als „Fotogeschichte des Jahres“ wurde Dominic Nahr von der Neuen Zürcher Zeitung für seine Reportage Sie machen das Land kaputt über den Krieg im Jemen ausgezeichnet. Nahrs Arbeit stehe „ganz im Dienst der Sache: Zeuge sein, wo sonst niemand hinkommt. Zeigen, was ist“, so die Jury.

 

In der Königsdisziplin „Investigation“ gewann die bereits mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Recherche Das Vergewaltiger-Netzwerk auf Telegram von Isabell Beer und Isabel Ströh für das öffentlich-rechtliche Funk-Format STRG_F. In akribischer Arbeit decken die beiden Reporterinnen ein Vergewaltiger-Netzwerk auf der Messenger-Plattform auf, bei dem sich über 70.000 User darüber austauschen, wie sie Frauen betäuben und ihnen sexualisierte Gewalt antun können. „Diese investigative Leistung überzeugte die Jury ebenso wie die Relevanz der Enthüllung und die Hartnäckigkeit der Autorinnen bei der Überwindung von Widerständen“, heißt es zur Begründung – und Beer und Ströh berichten von ihrer Frustration, dass trotz ihrer Hinweise an die Strafverfolgungsbehörden die Reaktionen zunächst verhalten ausfielen.

 

Egon-Erwin-Kisch-Preis

Und natürlich gab es auch 2025 einen „Egon-Erwin-Kisch-Preis“ für die beste geschriebene Reportage. In dieser Kategorie wechseln sich erfahrungsgemäß seit Jahren – von wenigen Ausnahmen abgesehen – Stern, Spiegel und Zeit miteinander ab. 2025 kommt der Kisch-Preisträger mal wieder von der Zeit: Malte Henks Reportage Wie weit weg ist Buchenwald?, die „die unsägliche Geschichte des Konzentrationslagers mitten hinein in unsere aufgewühlten Zeiten holt“, wie die Jury schreibt, begleitet eine zehnte Klasse auf ihrem Besuch am Ort des Massenmordes und beschreibt neben der alltäglichen Normalität des Gedenkens das Auseinanderdriften unserer Gesellschaft.

 

Hier hätte sich angeboten, einmal darüber nachzudenken, welche Rolle die Medien mit ihrem Hang zu Dramatisierung und Zuspitzung sowie ihrer Nonchalance, über viele Alltagsbefindlichkeiten der Menschen hinwegzuhudeln, dabei spielen. Doch vielleicht ist dazu eine abendliche Preisverleihung in Feierlaune auch nicht ganz der Platz. Und so dreht sich die nicht eben uneitle Branche wie immer – und nicht ganz unverdient – um sich selbst; immerhin der am vergangenen Freitag verstorbenen Margot Friedländer wird mit einer Schweigeminute gedacht.

 

In seinem vierten Durchgang als „Stern“-Preis gelingt dem Moderatorenpaar Atalay und Schmitz sogar das bei Medienpreisverleihungen extrem seltene Kunststück, nicht zu überziehen. Und das, obwohl natürlich auch diese Veranstaltung mit der branchenüblichen Verspätung begonnen hatte. Und nicht nur das Gewicht der „Stern“-gelabelten Trophäe macht eines klar: Der Nannen-Preis – benannt nach dem Stern-Herausgeber Henri Nannen, wegen dessen Rolle im PR-System des Nationalsozialismus aber 2021 umbenannt – ist Geschichte.

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