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„Berichten über das, was ist“ − Journalist Stefan Aust wird 70

Er gilt als einer der wichtigsten Journalisten in Deutschland: Stefan Aust hat das öffentliche Gespräch der Republik geprägt. Jetzt wird der Medienmann 70.

Berlin (dpa) − Durch die meterhohen Glasfenster seines Berliner Büros blickt Stefan Aust auf den Schauplatz früherer Kämpfe. Zusammen mit Ulrike Meinhof habe er dort unten an der Anti-Springer-Demo am 11. April 1968 teilgenommen. Kurz davor sei sein Freund Rudi Dutschke bei einem Anschlag schwer verletzt worden. Fast ein halbes Jahrhundert später steht Aust bei Springer unter Vertrag. Nein, das sei keine Rache der Geschichte, nur eine Verkettung von Zufällen, sagt der einstige Volontär der linken Zeitschrift „konkret“ und langjährige „Spiegel“-Chefredakteur. 

 

Aust, der an diesem Freitag (1. Juli) 70 Jahre alt wird, sagt, er habe immer nur interessanten Journalismus machen wollen. Und das versuche er eben jetzt bei der Zeitung „Die Welt“ und dem Nachrichtensender N24.

„Die Alphajournalisten“ (2007) nennt sich ein Buch über die „Wortführer“ der Berliner Republik. „Aust ist ein Schatzgräber mit historischem Bewusstsein“, schreibt dort der Medienredakteur der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, Michael Hanfeld. Tatsächlich hat Aust, der in Stade bei Hamburg geboren wurde und zunächst Verlagskaufmann werden wollte, mit Reportagen, Filmen und Büchern wichtige Stichworte zur öffentlichen Debatte in Deutschland geliefert.

Er deckte als Reporter beim NDR-Politikmagazin „Panorama“ den Fall des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger (CDU) auf, der als Marinerichter kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges fahnenflüchtige Soldaten zum Tode verurteilt hatte. Filbinger musste nach den Enthüllungen zurücktreten.

Mit dem „Baader Meinhof Komplex“ blickte Aust in die Abgründe der „Roten Armee Fraktion“ und den Kampf gegen den Terrorismus in den „bleiernen“ siebziger Jahren. Zuletzt ging er der rechten Terrorzelle NSU auf die Spur, ein Kapitel, das für ihn nicht abgeschlossen ist. Von Print zum Fernsehen und wieder zurück: Nach seiner Zeit bei den Öffentlich-Rechtlichen leistete Aust bei „Spiegel TV“ mit dem ersten Politikmagazin der Privatsender Pionierarbeit. Dann wechselte er Ende 1994 zum Nachrichtenmagazin. Nach einer Führungskrise übernahm er auf Wunsch von „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein den Posten des Chefredakteurs.

Schnell erkannte Aust die Herausforderungen des stürmischen Medienwandels. Der klassische Nachrichtenjournalismus werde immer stärker bedrängt. Wenn es neue Transportmöglichkeiten für Inhalte gebe, müsse man mitmachen, am besten ganz vorn, sagt er heute. „Sonst verschwinden wir vom Markt.»

Tatsächlich behauptete sich der „Spiegel“ unter Aust als Leitmedium. Mit den Titelgeschichten regte das Magazin Diskussionen an. Die Redaktion reagierte so auch auf die Konkurrenz, die dem „Spiegel“ durch das Münchner Magazin „Focus“ entstanden war. Der Journalist und Filmemacher Stephan Lamby kennt Aust aus der Nähe. Für seinen Film „Der Chef“ über seine Zeit beim „Spiegel“ beobachtete er ihn bei der Arbeit. „Mich beeindruckte, wie schnell er Entscheidungen fällte − und dabei meistens richtig lag“, sagt Lamby. „Er hat halt gute journalistische Instinkte.»

Allerdings erntete Aust mit seinem Führungsstil auch Unmut bei der „Spiegel“-Belegschaft. So entschieden die Gesellschafter, seinen Vertrag Ende 2008 auslaufen zu lassen. Aust blieb Journalist, schrieb Konzepte für Publikationen, produzierte TV-Dokumentationen und veröffentlichte Bücher.

Nach Erfahrungen aus seinen Aktivitäten als Produzent stieg er 2010 beim Nachrichtensender N24 ein. Drei Jahre später wurde der Sender von Springer übernommen, Aust wurde zunächst Herausgeber der „Welt“-Gruppe. N24 sollte nun auch Bewegtbilder für die Online-Angebote liefern. Seit Januar 2016 ist Aust zusätzlich kommissarisch Chefredakteur von „WeltN24“. Er forciert nun die Zusammenarbeit von Print, Online und TV.

Auch hier hält er an seinem journalistischen Credo fest. „Berichten über das, was ist“, zitiert Aust dabei Rudolf Augstein. „Es geht darum, Hintergrundgeschichten gut aufzuschreiben, Zusammenhänge herzustellen.“ Und auch bei der „Welt“ legt er sich mit den Regierenden an − auch wenn sich deren politische Farbe geändert hat. „Früher hieß es bei Kritik immer: „Dann geh doch nach drüben − in die DDR»“. Heute sei die herrschende Meinung eher links-grün. „Da heißt es dann gern: „Du bist ja konservativ“- oder Schlimmeres“, sagt Aust. „Ich nehme mir das Vorrecht, Sachen so zu beurteilen, wie ich sie sehe. Im Übrigen auch nicht viel anders als früher.»