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Horst Röper: "Zweispalter über Kaninchenzüchter lässt sich nicht mehr verkaufen"

Lokalredaktionen müssen Exklusivität besser vermarkten. Aber wie? Beim 23. Forum Lokaljournalismus 2015 der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb vom 27. bis 29. Mai 2015 in Köln wird Zeitungsforscher Horst Röper erklären, wie sich Lokalzeitungen fit für die Zukunft machen und wie wichtig die lokalen Massenmedien für die Demokratie sind.

Köln - Das Forum Lokaljournalismus, in Kooperation mit dem Kölner Stadt-Anzeiger – ist der größte Kongress für Chefredakteure und Leitenden Redakteure lokaler und regionaler Tageszeitungen in Deutschland. Horst Röper, Geschäftsführer des Medienforschungsinstituts Formatt in Dortmund, erklärt im Interview, was Zeitungen besser machen können.

Herr Röper, was sind im Jahr 2015 die größten Herausforderungen für die deutschen Lokalzeitungen?

Horst Röper: 
Die Leser bei der Stange halten und die Auflagenverluste begrenzen, besser noch beenden. Die Zeitungen müssen findiger werden und sich vor allem anders aufstellen. Viele Redaktionen sind immer noch zu zögerlich. Wir müssen uns endlich fit machen für eine Zukunft, in der digitale Medien eine immer größere Rolle spielen. Es geht nicht mehr darum, über welchen Kanal eine Zeitung ihre Leser erreicht. Es geht darum, sie überhaupt zu erreichen.

Und wie erreichen die Zeitungen heutzutage mehr Leser?

Horst Röper: 
Indem sie noch stärker auf das Lokale setzen. Überregionale Nachrichten sind natürlich für jede Tageszeitung ein wichtiger Bestandteil. Aber die originäre Leistung besteht ja in der lokalen Berichterstattung.

In einer Studie haben Sie kürzlich festgestellt, dass die Lokalzeitungen ihre Berichterstattung trotz der Krise ausgeweitet haben…


Horst Röper: Viele, aber längst nicht alle. Und tatsächlich entsteht für den Leser durch Kooperationen nicht zwingend mehr Vielfalt. Immer mehr Zeitungen übernehmen heute Texte aus Nachbarredaktionen. Dadurch ist der Lokalteil zwar nach wie vor umfangreich, aber der Blick wandert eben zunehmend auch in die Nachbarschaft. Das ist nicht das, was die Leser erwarten.

Also müssen sich die Redaktionen wieder verstärkt auf das unmittelbare Umfeld der Leser konzentrieren?


Horst Röper: Ja, genau dadurch punkten ja auch hyperlokale Angebote (etwa Stadtteilblogs, d. Red.). Aber letztlich ist das auch nur ein Aspekt. Mindestens genauso wichtig ist es, dass sich die Redaktionen nicht länger von den Terminkalendern der Oberbürgermeister oder Stadträte abhängig machen. Eigene Themen finden – darum muss es gehen.

Müssen die Innovationen immer aus der Redaktion kommen?


Horst Röper: Nicht unbedingt. Vieles macht auch die Technik möglich. Über soziale Netzwerke oder YouTube können Redaktionen wertvolle Hinweise sammeln. Aber diese Communities muss auch jemand im Auge behalten. Das ist sicherlich einfacher gesagt als getan. Zum einen besteht in vielen Redaktionen Weiterbildungsbedarf, die Innovationsschübe in der Technik spielen sich in sehr kurzen Zeiträumen ab. Dazu kommt, dass Lokalredaktionen personell oft unterbesetzt sind. Deswegen ist es zwingend notwendig, dass eine Neuorientierung in der Organisation journalistischer Arbeit stattfindet. Der Zweispalter über die Kaninchenzüchter lässt sich heute nicht mehr verkaufen. Da verschwenden die Redaktionen wertvolle Ressourcen.

Der Nordbayerische Kurier hat vor einiger Zeit die klassische Vereinsberichterstattung in eine externe Beilage ausgelagert. Ein riskanter Schritt?

Horst Röper: 
In gewisser Hinsicht. Leser sind in ihrem Leseverhalten oft sehr konservativ. Harte Umbrüche führen zu Irritationen. Aber man kann die Strukturen auch schleichend verändern.

Ist das denn notwendig?


Horst Röper: Die Lokalteile bestehen heute fast ausschließlich aus Meldungen und Berichten über gesetzte Termine oder Pressekonferenzen. Andere journalistische Darstellungsformen, etwa Interviews, Kommentare und Reportagen zu eigenen Themen, werden überhaupt nicht gepflegt. Damit vergeben die Redaktionen viele Chancen.

Was empfehlen Sie?


Horst Röper: Viel häufiger den Blick in andere Redaktionen wagen. Abkupfern ist durchaus etwas Zulässiges im Journalismus. Aber eben nicht nur bei der unmittelbaren Konkurrenz. Die beiden Wettbewerber vor Ort, wenn es sie überhaupt noch gibt, sind sich oft sehr ähnlich.

Wo finden Redaktionen dann Anreize?

Horst Röper: 
Die Drehscheibe der Bundeszentrale für politische Bildung zeigt seit Jahren, wie einzelne Lokalredaktionen Themen kreativ umsetzen. Auch im Ausland gibt es interessante Herangehensweisen: In Belgien arbeiten einige Lokalzeitungen Themen zum Beispiel als Schwerpunkte über längere Zeit auf. Und letztlich bieten auch Veranstaltungen wie das Forum Lokaljournalismus Plattformen, um verschiedene Praktiken zu diskutieren.

Die Lokalzeitung genießt gegenüber Anzeigenblättern und nicht-journalistischen Online-Portalen nach wie vor einen Vertrauensbonus. Warum wollen trotzdem immer weniger Menschen für lokale Inhalte zahlen?

Horst Röper: 
Das Problem ist die Gratis-Mentalität im Internet. Wir haben zu Beginn des Internetzeitalters den Fehler gemacht, sie wuchern zu lassen. Das wirkt bis heute nach. Nimmt man Print- und Onlineleser zusammen, haben die Zeitungen heute eine größere Reichweite als je zuvor. Aber warum sollten Leser für Nachrichten zahlen, die sie anderswo, sprich überall im Netz, umsonst bekommen? Lokalzeitungen haben den Vorteil, dass sie lokale Stoffe oft noch exklusiv haben – diese Exklusivität müssen sie besser vermarkten, vor allem mit Blick auf die Nutzer mobiler Angebote. Denn die sind erfahrungsgemäß am ehesten bereit, für Inhalte zu zahlen. Bei der Handynutzung gab es die Gratis-Mentalität nie. Das müssen sich die Verlage zunutze machen.

Was sollte die Politik zur Unterstützung der Tageszeitungsverlage tun?


Horst Röper: Aktuell tun sich die Länder schwer damit, die bestehenden Probleme anzugehen. Verfassungsrechtlich ist das auch ein schwieriges Thema, die Medien müssen unabhängig bleiben. Eine Lösung sind punktuelle Hilfestellungen durch Stiftungen, so wie in Nordrhein-Westfalen mittels der „Stiftung Vielfalt und Partizipation“. Wenn Unterstützung über die Landesmedienanstalten organisiert wird, besteht auch nicht die Gefahr der Abhängigkeit vom Staat. Solche Hilfestellungen für die Presse müssen dringend ausgeweitet werden.

Zumal Facebook mit den so genannten „Local Awareness Ads“ ja auch den Angriff auf die regionalen Verlage startet...


Horst Röper: Die Verlagsbranche muss immer mit neuen Wettbewerbern rechnen. Und die Medienpolitik hat in der Vergangenheit ja auch schon Schutzräume geschaffen. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk etwa darf keine lokalen Werbekunden akquirieren. Nun wird man sehen müssen, ob die bestehenden Schutzräume ausreichen oder ob es Schlupflöcher gibt, die sich neue Konkurrenten wie Facebook zunutze machen. In jedem Fall muss man die Effekte im Auge behalten.

Das Gespräch mit Horst Röper führte Christina Michaelis vom "Kölner Stadt-Anzeiger".