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dpa - Anna Ringle

„Spiegel“-Spitze wird ausgetauscht: Steffen Klusmann geht, Dirk Kurbjuweit kommt

„Spiegel“-Spitze wird ausgetauscht: Steffen Klusmann geht, Dirk Kurbjuweit kommt Dirk Kurbjuweit

Warum die Wahl auf Kurbjuweit fiel und wie Klusmann seinen Abgang begründet.

Hamburg (dpa) − An der Spitze des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ gibt es einen Wechsel: Steffen Klusmann (57) gibt den Posten des Chefredakteurs ab. Der langjährige „Spiegel“-Autor Dirk Kurbjuweit (60) übernimmt ab sofort. Das teilte das Medienhaus am Donnerstag in Hamburg mit.

 

In der Vergangenheit hatte es immer wieder Gerüchte um Machtkämpfe an der Spitze beim „Spiegel“ gegeben. Seit Mittwoch drang immer mehr nach außen, der Druck wurde immer höher. Das Medienhaus äußerte sich zunächst nicht zu „Gerüchten“. Am Donnerstagabend hieß es dann: Klusmann verlasse die Chefredaktion nach der Umsetzung weitreichender Reformen in den vergangenen Jahren „im gegenseitigen Einvernehmen“. Der 57-Jährige war seit Anfang 2019 Chefredakteur.

 

Klusmann wurde in der Mitteilung unter anderem mit den Worten zitiert: „Wir haben eine ganze Menge gemeinsam erreicht. Zuletzt haben Geschäftsführung und ich in entscheidenden strategischen Fragen allerdings allzu oft keine Einigkeit erzielt − was nun mein Ausscheiden zur Folge hat.“

 

„Spiegel“-Geschäftsführer Thomas Hass sagte: „Wir sind Steffen Klusmann zu großem Dank verpflichtet für seine wegweisende Arbeit in den vergangenen fast fünf Jahren, allem voran für die Zusammenführung der Print- und Online-Redaktion und die Erfolge in unserer digitalen Abo-Strategie.“ Man hätte sich in den vergangenen Jahren keinen Besseren vorstellen können. Man bedauere, „dass es am Ende nicht gelungen ist, unsere immer sehr gute Zusammenarbeit für die Zukunft fortzusetzen.“

 

Für die Nachfolge sei Gesellschaftern und Geschäftsführung wichtig gewesen, laufende Reformprojekte mit verlässlicher Stabilität voranzutreiben und die Priorisierung des Digitalangebots zu intensivieren.

 

Co-Geschäftsführer Stefan Ottlitz sagte über den neuen Chefredakteur Kurbjuweit, dieser habe „ein klares Bild davon, wie unser Journalismus im Digitalen wie in Print weiterzuentwickeln ist zwischen Tempo und Tiefe, und er hat sowohl als Autor als auch in Leitungsfunktionen vorgemacht, wie man das Profil des „Spiegel“ schärft. Auf eine weitere Markenprofilierung kommt es gerade in unserer Pay-Strategie an, und deren Erfolg ist für unsere journalistische wie wirtschaftliche Unabhängigkeit essenziell.“

 

Kurbjuweit ist schon lange für das Magazin tätig. In 24 Jahren war er etwa von Februar 2015 bis Dezember 2018 bereits stellvertretender Chefredakteur, seither ist er Autor im Hauptstadtbüro. Der preisgekrönte 60-Jährige hat zudem mehr als zehn Bücher verfasst.

 

Zur Chefredaktion des seit Jahrzehnten zu den großen überregionalen Medien Deutschlands zählenden Nachrichtenmagazins gehören laut Medienhaus Clemens Höges (62), Melanie Amann (45) und Thorsten Dörting (48). Sie waren auch schon vorher − also mit Klusmann − in der Chefredaktion.

 

Der „Spiegel“, den Rudolf Augstein 1947 gründete, hat eine verkaufte Auflage von gut 700 000 Exemplaren. Die Spiegel-Gruppe erzielte 2022 einen Umsatz von 267 Millionen Euro, das ist ein leicht rückläufiges Ergebnis. Der für Medienhäuser so wichtige Werbemarkt schwächelt schon länger und dämpfte auch die Zahlen bei der Spiegel-Gruppe. Beim Vertrieb der journalistischen Angebote gab es ein Plus.

 

Das Hamburger Medienhaus baut schon länger seine Digitalstrategie aus und bündelte das Bezahlangebot unter der Marke „Spiegel+“ mit inzwischen mehr als 300 000 Abonnentinnen und Abonnenten. Strategischer Kopf dahinter ist Geschäftsführer Ottlitz, der vor Jahren von der „Süddeutschen Zeitung“ zum „Spiegel“ wechselte und im Hamburger Verlagshaus immer mehr an Einfluss gewann.

 

Klusmanns Start als Chefredakteur 2019 war holprig, denn er fiel in die Zeit der Aufarbeitung des wohl größten Skandals des Magazins um gefälschte Texte des bis dahin gefeierten „Spiegel“-Autors Claas Relotius. Die Leitung der Redaktion in dieser schwierigen Zeit brachte Klusmann Respekt ein. Dauerthema war zudem die Zusammenlegung der redaktionellen Bereiche Online und Print, was auch mit Gehaltsstrukturfragen zusammenhängt.

 

Beim „Spiegel“ ist die Mitarbeiter-Kommanditgesellschaft (KG) ein mächtiger Player mit Einfluss im Haus. Sie hält die Hälfte der Anteile am Verlag und kann bei Topjobs mitbestimmen. Nicht alle Mitarbeiter sind Teil der Beteiligungsgesellschaft, was auch zu Unmut führt, weil sich eben nicht alle per se von ihr vertreten fühlen. Ein Schreiben aus den Reihen der Redaktion am Mittwoch mit Kritik an der KG-Führung und Spiegel-Geschäftsleitung, das als Zeichen des Rückhalts für Klusmann zu deuten ist, legte diesen Konflikt erneut offen.

 

Immer wieder hatte es in der Vergangenheit Wechsel an der „Spiegel“-Spitze gegeben. Zuletzt hatte im April 2021 nach internen Reibereien Barbara Hans, die federführend für das digitale Angebot zuständig war, die Chefredaktion unter dem Vorsitz von Klusmann verlassen.

 

Klusmann selbst folgte 2019 auf Klaus Brinkbäumer, der inzwischen Programmdirektor beim öffentlich-rechtlichen Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) ist. Klusmann wechselte damals auf den Topjob innerhalb der Spiegel-Verlagsgruppe vom „Manager Magazin“, das er seit November 2013 als Chefredakteur geleitet hatte. Davor war der gebürtige Karlsruher einige Monate stellvertretender Chefredakteur des „Stern“ beim Konkurrenten Gruner + Jahr gewesen.

 

Zu seinen früheren beruflichen Stationen zählte mit Unterbrechung seit 1999 seine Tätigkeit bei der „Financial Times Deutschland“. 2004 wurde er dort Chefredakteur. 2012 wurde die Zeitung (Gruner + Jahr) eingestellt.

 

In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur Ende 2021 zu 75 Jahre „Spiegel“-Bestehen hatte Klusmann gesagt: „Dass es einen an der Spitze des „Spiegel“ schnell verreißen kann, sollte man einpreisen, wenn man den Job annimmt. Sonst macht man vor lauter Angst entweder gar nix oder alles falsch.“

 

Klusmann trat anders als mancher Vorgänger auf, die stärker als markante Figuren in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurden. Im dpa-Interview sagte er dazu: „Die Rolle des Chefredakteurs kann man sehr unterschiedlich interpretieren. Es gibt Chefredakteure, die sind die Chef-Kommentatoren ihres Mediums. Dann gibt es die, die sich eher als Repräsentanten sehen, die viel draußen unterwegs sind, auf Podien und in Talkshows sitzen. Und dann gibt es die Blattmacher, die den Laden steuern, Themen mitsetzen, redigieren, Titel machen. Ich verstand mich immer vorrangig als Blattmacher.“ Wohin es Klusmann künftig ziehen könnte, ist noch nicht bekannt.