Pressefreiheit
KNA – Markus Schönherr

Harte Zeit für Serbiens unabhängige Journalisten: „Wir werden dir jeden einzelnen Knochen brechen“

In Serbien wird der Spielraum für freie und kritische Berichterstattung immer enger. Verantwortlich dafür ist auch die Politik. Zuletzt gab es Todesdrohungen gegen Journalisten.

Bonn (KNA) – Als vor drei Jahrzehnten die Unabhängige Journalistenvereinigung Serbiens gegründet wurde, war man sich einig: Schlimmer als unter dem jugoslawischen Autokraten Slobodan Milosevic (1941-2006) könne die Situation für Journalisten nicht werden. „Doch dreißig Jahre später scheint es, als habe sich überhaupt nichts geändert“, analysierte kürzlich der südosteuropäische Fernsehsender „N1“. Anlass waren die Todesdrohungen gegen zwei Journalisten in der autonomen Provinz Wojwodina.

 

„Wir werden dir jeden einzelnen Knochen brechen.“ So lautete eine der schaurigen Botschaften, die Dinko Gruhonjic in den vergangenen Tagen auf Facebook entgegen starrten. Der Schreiber und Universitätsprofessor in Serbiens zweitgrößter Stadt Novi Sad steht im Visier von Nationalisten, nachdem ein, Berichten zufolge manipuliertes, Video von ihm aufgetaucht war. Darin soll zu sehen sein, wie er einen kroatischen Kriegsverbrecher preist - ein gefundenes Fressen für serbische Rechte, die sich als Opfer von kroatischem Nationalismus sehen.

 

Reaktion der Behörden bleibt aus

An der Uni, an der Gruhonjic doziert, wurde für seine Entlassung demonstriert. Auf die Fassade seines Hauses sprühten sie Todesdrohungen. Ein Teil der Hetzkampagne stammte von russlandnahen Vereinen; Serbien pflegt auch nach dem Angriff auf die Ukraine enge Beziehungen zu Moskau. „Was in solcherlei Situationen auffällt, ist das Ausbleiben einer Reaktion der Behörden“, klagt Veran Matic, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für die Sicherheit von Journalisten, einer Interessensgruppe aus Regierungs-, Justiz- und Medienvertretern. Das Schweigen der Behörden sende die klare Botschaft an Extremisten, dass „alles erlaubt“ sei. Gruhonjic selbst betonte zu Wochenbeginn: „Falls mir oder meiner Familie etwas zustoßen sollte, mache ich Aleksandar Vucic verantwortlich, denn er ist der Drahtzieher für das, was hier geschieht.“

 

Aleksandar Vucic prägt Serbiens Politik seit den Jugoslawienkriegen der 1990er: Unter Milosevic war er Propagandaminister, später Ministerpräsident und seit 2017 Staatspräsident. Seine Führung ist zunehmend autoritär - ein Trend, der auch an den Medien nicht vorbeiging. Im Wahlkampf vor den Parlaments- und Lokalwahlen im vergangenen Dezember bediente sich Vucic eines Arsenals an regierungstreuen Zeitungen und Fernsehsendern. Weder frei noch fair sei der Urnengang gewesen, urteilte das EU-Parlament Anfang Februar - unter anderem, da die Amtsinhaber staatliche Einrichtungen und Medien „konstant und systematisch missbraucht“ hätten. Generell sei die Medienfreiheit in Serbien in den Jahren seit Vucics Antritt „kontinuierlich ausgehöhlt“ worden. Journalisten seien „politischem Druck, Drohungen und sogar tätlichen Angriffen“ ausgesetzt, kritisierte das EU-Parlament.

 

Verteidigungsminister wettert gegen Journalistin

Auch Ana Lalic musste feststellen, dass sich serbischer Nationalismus schnell in ein Wespennest verwandeln kann, wenn man hineinsticht. Die Reporterin hatte sich einem Bürgerprotest angeschlossen und gegen den geplanten Bau einer serbisch-orthodoxen Kirche in Novi Sad geschrieben. Das Gotteshaus soll in einem beliebten Baderesort am Donau-Ufer entstehen. Bald hagelte es Drohungen und Hassbotschaften. „Sie behandelt unsere Kirchen und Tempel wie Tabakläden“, wetterte Serbiens Verteidigungsminister und mutmaßlich nächster Ministerpräsident Milos Vucevic. Für Lalic kommt die Kritik jedoch wenig überraschend. Ihr zufolge sei Religion ein Thema, auf das in Serbien „Rechte und Nationalisten genauso empfindlich reagieren wie die Regierungspartei“. Die serbisch-orthodoxe Kirche bildet die größte Glaubensgemeinschaft des Westbalkanstaats; ihr gehören 85 Prozent der Serben an. Auch sie pflegt enge Beziehungen zu ihrer orthodoxen Schwesterkirche in Russland.

 

Zu Wochenbeginn gab es Medienberichten zufolge zwei Festnahmen: Die Verfasser von Drohbriefen gegen Gruhonjic und Lalic seien unter Hausarrest gestellt worden. Medienvertreter begrüßten die Entwicklung. Dennoch blieben zu viele Angriffe gegen Journalisten ungesühnt. Laut Serbiens Staatsanwaltschaft kam es in den vergangenen neun Jahren zu 527 verbalen oder körperlichen Übergriffen auf Medienvertreter. In knapp 60 Prozent der Fälle wurden die Täter angeklagt.

 

Als Rückschlag verbuchten Medienaktivisten den Freispruch von vier Personen im Februar, die des Mordes an einem Journalisten verdächtigt wurden. Der Zeitungsherausgeber Slavko Curuvija galt als herausragender Kritiker von Machthaber Slobodan Milosevic. 1999 wurde er durch mehrere Schüsse vor seinem Haus in Belgrad niedergestreckt. Vier Vertreter des serbischen Geheimdienstes wurden 2021 zu langen Haftstrafen verurteilt - zu Unrecht, wie das Berufungsgericht 2024 befand. Die Organisation Reporter ohne Grenzen bezeichnete das Urteil als „harten Schlag“ im Kampf um Pressefreiheit und den Schutz von Journalisten in der Balkanregion.