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Newsroom – Marc Bartl

Funke-Verlegerin Julia Becker zieht schonungslos über das eigene Haus und die Branche her

Funke-Verlegerin Julia Becker zieht schonungslos über das eigene Haus und die Branche her Julia Becker traf sich mit OMR-Gründer Philipp Westermeyer in Hamburg zur Podcast-Aufnahme. Foto: OM

Nach ihrem viel beachteten Gastbeitrag in der FAZ sagt Funke-Verlegerin Julia Becker im OMR-Podcast schonungslos, warum sie von vielen Verlagsmanagern enttäuscht ist und wieso sie und ihre Geschwister aktuell keine Ausschüttungen mehr wollen.

Essen – Seit 2018 kontrolliert Julia Becker als Aufsichtsratsvorsitzende das große Medienhaus, zu dem Zeitungen wie die WAZ, das „Hamburger Abendblatt“ und die „Berliner Morgenpost“ sowie Zeitschriften wie die „Hörzu“ gehören. Ihre Familie hat inzwischen die Mehrheit am Verlag übernommen, der jahrelang durch erbitterte Streitigkeiten im Gesellschafterkreis von sich reden machte.

 

Becker hält mit ihrer Meinung nicht hinter den Berg, vor rund zwei Wochen kritisierte sie in einem Gastbeitrag in der FAZ den Konkurrenten Bertelsmann für dessen G+J-Entscheidungen. Bertelsmann habe den Kampf aufgegeben. Sie schlug zur Rettung des Journalismus einen runden Tisch der Verleger vor.

 

Nun traf sich Becker mit OMR-Gründer Philipp Westermeyer, um einen bemerkenswerten Podcast aufzunehmen. Sie erinnert sich in den fast 100 Minuten daran, wie in dem Ferienhaus der Familie auf Juist das alte Telefon mit Wählscheibe klingelt. Am anderen Ende der Leitung: Friede Springer, Großaktionärin und Erbin des Axel Springer Verlags. Sie hatte schon einmal hier angerufen, damals teilte sie der Funke-Familie mit, dass die „Bild-Zeitung“ nicht zum Verkauf stünde. Dieses Mal ist es anders. Friede Springer will der Familie ein Angebot machen. Für eine Milliarde Euro kauft die Essener Verlagsgruppe wenig später das Zeitschriften-Portfolio und Zeitungen wie das „Hamburger Abendblatt“ und die „Berliner Morgenpost“ von Springer. Die Funke Mediengruppe sieht die Chance, durch die Transaktion zum größten Zeitungsverlag des Landes aufzusteigen.

 

Doch die Übernahme hat einen hohen Preis. Den Verlag drücken bis heute Schulden im dreistelligen Millionen-Bereich. Viele Manager (es waren nur Männer) an der Spitze des Verlags kannten dagegen nur ein Rezept: Kürzungen. Julia Becker sieht in dieser Denke ein grundsätzliches Problem in der Medienwelt, wie sie im OMR-Podcast betont. Sie wirft den Verlagsmanagern Mutlosigkeit vor: „Ich glaube, das größte Problem ist ein Selbstverständnis in den Köpfen der Manager, die für ein Wahnsinns-Gehalt da sitzen; diese Vorstellung von ‚bis hierhin hat es doch eigentlich immer gereicht‘. Wer hat eigentlich richtig Lust auch mal fünf Jahre weiterzudenken, neue Geschäftsmodelle zu erschließen? Das ist das, was wir jetzt tun müssen.“

 

Das Optimieren auf Kosten der Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen hält sie für überholt. „Das ist ja auch so ein bisschen Manager-Denke aus den 1980er-, 1990er-Jahren“, sagt die Verlegerin im Podcast. Sie hat dieses Problem nach eigener Aussage in der Vergangenheit auch im eigenen Unternehmen festgestellt: „Die Liebe zu den journalistischen Marken, die spürte ich zumindest wenn ich auf unser Unternehmen geschaut habe, bei fast keinem derjenigen, die wirklich große Verantwortung auf den Führungsebenen hatten.“ Die Funke-Verlegerin fordert daher einen Kulturwandel im Management. „Wir müssen uns unternehmerisch so aufstellen, dass nicht jede Ergebnis sichernde Maßnahme durch die Redaktionen führt“, so Julia Becker.

 

Die Begründung „Da sitzen doch noch genug“ ist aus ihrer Sicht nicht akzeptabel: „Weil damit unsere journalistische Substanz, die Kreativität, quasi mit jedem weiteren entlassenen Journalisten und jeder weiteren entlassenen Journalistin über Bord gekippt wird. Immer mit dem Fokus, das Ergebnis zu optimieren“. Sie und ihre Geschwister, die inzwischen die Mehrheit am Verlag halten, hätten daher beschlossen, in der jetzigen Phase auf Ausschüttungen zu verzichten. „So zu wirtschaften, dass wir uns unabhängigen, freien Journalismus leisten können, ist unser Auftrag“, sagt Julia Becker im OMR Podcast.