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Robert Harsieber: Dürfen Journalisten ihre Quellen verraten?

Der Wiener Philosoph Robert Harsieber über die Folgen und was es bedeutet, wenn Journalisten ihre Informanten nicht schützen.

Wien - Neulich an der Bar, ein Glas Rotwein in der Hand und den Chefredakteur eines renommierten Blattes an der Hand, das Gespräch windet sich von der Politik via Korruption über die Wirtschaft zur Philosophie und Religion und wieder zurück – und dann wird er plötzlich wirklich nachdenklich.

„Stellen Sie sich vor, Sie erzählen mir etwas, eine Neuigkeit, eine Sensation, die spannend ist, ein wichtiges Thema, das aber auch eine andere Person betrifft. Und dann stellen Sie sich vor, diese Person kommt zu mir, macht Druck und will unbedingt wissen, woher ich das weiß und warum ich das geschrieben habe. Und am Ende sage ich auch noch, von wem ich die Info habe, verrate Sie. Wie schlecht wäre das von mir als Journalist? Wie kann ich dann noch jemals Informanten tatsächlich Verschwiegenheit garantieren? Wie kann ich da noch in den Spiegel schauen?“

 

Philosoph Robert Harsieber.

 

Sowas kann man nur von hinten aufrollen: Kann man sich da noch in den Spiegel schauen?

Nein! Aber das war auch die leichteste Frage. Und auf die es am wenigsten ankommt. Vor dem Spiegel ist man üblicherweise allein.

Kann man dann noch jemals Informanten Verschwiegenheit garantieren?

Wieder drängt sich ein Nein auf, aber so einfach ist das jetzt nicht mehr. Im Prinzip ist es natürlich mit der Verschwiegenheitsgarantie vorbei, ein für alle Mal. Aber wenn man genauer hinsieht, muss man auch bedenken, um wen es sich bei dem Druckmacher handelt.

Wo in der öffentlichen Beliebtheitsskala steht die Person?

Handelt es sich um einen Politiker, vielleicht noch dazu im Zusammenhang mit Korruption – ist ja heute naheliegend – dann wird der Schaden nicht allzu groß sein, weil er mit der Schadenfreude der Leserschaft aufgewogen wird. Handelte es sich beispielsweise um H.C. Strache oder Geerd Wilders, hätte man deren Klientel auf ewig gegen sich, aber damit ließe sich ja ganz gut leben.

Da die Zunft der Bankmanager eben dabei ist, den Politikern den Rang in der Unbeliebtheitsskala streitig zu machen, wird es sich in diesem Milieu ähnlich verhalten. Da könnte unser Chefredakteur sogar zum Boulevard-Helden der Nation aufsteigen.

Kann diese Person wirklich Druck machen, und wenn ja, wie und warum? Nehmen wir an, es handelt sich um eine „einflussreiche“ Person. Wie könnte sie Druck machen? Gar nicht, wenn es sich beim Chefredakteur um eine integre Person handelt, hinter dem die Verlagsleitung steht. Dass beides zutrifft, ist unwahrscheinlich, aber möglich. Die entscheidende Frage wird sein: Gibt es eine Abhängigkeit zwischen der Person und dem Verlag? Im Klartext: Kann diese Person das Inseratengeschäft beeinflussen? Wenn ja, dann wird die moralische durch die wirtschaftliche Dimension überlagert. 

Und das ist das eigentliche Problem.

Die Frage des Chefredakteurs ist keine bloß ethische.

Wäre sie das, wäre sie auch ganz leicht zu beantworten und wahrscheinlich gar nicht gestellt worden. Die Verflechtung der ökonomischen mit der ethischen Dimension macht die Frage so brisant. Damit ist die nicht unwesentliche Frage: Gibt es überhaupt ein Entkommen aus diesem Dilemma? Rein ethisch darf es so etwas nicht geben. Rein wirtschaftlich muss ich dem Druck nachgeben, um das Inseratengeschäft nicht zu gefährden.

Aber das ist noch immer zu einfach. Ein Unternehmen muss – oder sollte – langfristig denken. Habe ich Inserate gewonnen oder nicht verloren, aber mein Ruf ist angekratzt? Das könnte letztlich auch wirtschaftliche Konsequenzen haben, und ich verliere langfristig, was ich kurzfristig gewonnen habe. Also nichts gewonnen, nur den Ruf verloren. In diesem Fall wäre die ethische Dimension die eindeutig wichtigere. (Von jenen Medien, die mit ihrem schlechten Ruf Geld verdienen, einmal abgesehen).

Aber selbst kurzfristig gedacht, müsste man vorsichtig abwägen: In welcher Relation stehen die zu verlierenden Inserate zum gesamten Inseratenaufkommen? Sollte man nicht auf dieses Geschäft verzichten, um den Ruf zu bewahren – bei den anderen Kunden und bei den Lesern, die mitunter auch sehr sensibel reagieren?

Man kann es drehen oder wenden, wie man will, das Journalistenleben ist mit einem solchen Fall angeknackst oder völlig zerstört. Natürlich ist das Image des Mediums generell in Mitleidenschaft gezogen, so dass es für das Blatt besser wäre, der gute Chefredakteur würde dem öffentlichen Blick entzogen in der zweiten Reihe weiterarbeiten.

Journalistische Ethik

Damit können wir zum Prinzipiellen übergehen. Gibt es eine journalistische Ethik? Und wie steht sie zur wirtschaftlichen Gegebenheit oder Notwendigkeit? Kann es sich ein Verlag leisten, die Ethik über die Ökonomie zu stellen? Oder ist das „entweder Ethik oder Ökonomie“ überhaupt das falsche Weltbild?

Aus US-Studien wissen wir, dass Egozentrik krank macht und Altruismus salutogen ist.

Soziale Isolation ist krankmachend, Sozialkontakte sind gesundheitsfördernd.

Freundschaften wirken lebensverlängernd. Die Liste ließe sich fortsetzen und legt den Schluss nahe, dass man Ethik und Moral medizinisch belegen kann. Was ethisch richtig ist, ist auch gesund.

Was bedeutet, dass wir unsere Frage noch einmal umformulieren müssen: Ist in diesem Fall das ethische Handeln auch wirtschaftlich gesund? Das wäre eine wissenschaftliche Untersuchung wert. Die Antwort ist aber naheliegend: Kurzfristig mag es richtig sein, die Ethik der Ökonomie unterzuordnen, langfristig wird unethisches Handeln auch die wirtschaftliche Situation nachhaltig schädigen.

Klarer wird es, wenn wir das heute übliche Entweder-Oder-Denken durch eine ganzheitliche Sicht ersetzen. Denken wir uns ein Unternehmen, einen Verlag als Organismus, dann wird schlagartig klar, dass dieser Organismus als ganzer krank ist, wenn er in einem Bereich (beispielsweise dem ethischen) angeschlagen ist.

Robert Harsieber

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