Pressefreiheit
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Sind Ex-Terroristen für Fotografen tabu?

Selbst renommierte Presserechtler kommen bei dieser Frage ins Grübeln. Sie sehen eine geordnete Wiedereingliederung in die Gesellschaft gefährdet.

Karlsruhe (dpa) - Brigitte Mohnhaupt traf es bei einem Ausflug ins Grüne. Eva Haule wurde beim Spaziergang in Berlin erwischt. Bei Susanne Albrecht liegt die Sache länger zurück: 1991, als ihr in Stuttgart der Prozess gemacht wurde, blickte sie Richtung Kamera, als der Fotograf abdrückte. Die drei Ex-Terroristinnen der «Roten Armee Fraktion», zu deren erklärten Feinden damals auch die «Schweinepresse» gehörte, wehren sich mit den Instrumenten des Rechtsstaats gegen die Veröffentlichung ihrer Fotos in den Medien - vorerst mit Erfolg: In allen drei Fällen haben Gerichte ihnen Recht gegeben.

Mohnhaupt hat beim Landgericht Hamburg eine einstweilige Verfügung gegen «Bild am Sonntag» erwirkt. Dort war ein Foto erschienen, das sie während einer Ausführung aus dem Gefängnis an einem oberbayerischen See zeigt - das bis heute wohl einzige aktuelle Bild der einstigen RAF-Rädelsführerin. Die nächsten Prozesse sind wohl unausweichlich, sollten die wahrscheinlich fieberhaft suchenden Fotografen die soeben aus der Haft entlassene 57-Jährige aufspüren; ihr Anwalt Franz Schwinghammer hat vorsorglich gerichtliche Schritte angekündigt.

Ähnlich ging es Eva Haule, die in Berlin im offenen Strafvollzug ist und beim Freigang abgelichtet wurde. «RAF-Terroristin läuft durch Berlin», titelte die B.Z. Sie setzte beim Berliner Landgericht ein vorläufiges Verbot durch.

Sind also die früheren Staatsfeinde, die die Republik einst in einen regelrechten Ausnahmezustand versetzten, heute für die Linsen der Fotografen tabu? Selbst renommierte Presserechtler kommen bei dieser Frage ins Grübeln - dennoch lautet der Tenor: Aktuelle Fotos dürften in der Regel unzulässig sein, weil sie eine geordnete Wiedereingliederung in die Gesellschaft nahezu unmöglich machen. «Auch prominente Straftäter haben das Recht, nach mehr als 20 Jahren in Ruhe gelassen zu werden», sagt der Bonner Anwalt Gernot Lehr.

Vorausgesetzt, ihnen ist es damit ernst. Wer, wie Mohnhaupts einstiger Kampfgenosse Christian Klar, aus der Haft Botschaften an die Öffentlichkeit sendet, genießt weniger Schutz als jemand, der sich den Begehrlichkeiten der Medien kategorisch verweigert, wie dies Brigitte Mohnhaupt tut, oder auch Susanne Albrecht, die nach ihrer Freilassung 1996 völlig von der Bildfläche verschwunden ist.

Mit anderen Worten: Auch Mörder dürfen nicht lebenslang an den Pranger gestellt werden - so urteilte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1973. Karlsruhe untersagte es, in einer TV-Dokumentation über den spektakulären «Soldatenmord von Lebach» den Namen eines Beteiligten zu nennen - weil dieser kurz vor der Entlassung stand und deshalb seine Resozialisierung gefährdet sei. «Die für die soziale Existenz des Täters lebenswichtige Chance, sich in die freie Gesellschaft wieder einzugliedern, und das Interesse der Gemeinschaft an seiner Resozialisierung gehen grundsätzlich dem Interesse an einer weiteren Erörterung der Tat vor», entschieden die Richter damals.

Dagegen hat auch Butz Peters nichts einzuwenden, Autor des Buchs «Tödlicher Irrtum - die Geschichte der RAF». Dennoch wird Peters - praktischerweise zugleich Anwalt für Presserecht - vor Gericht um den Abdruck des Albrecht-Fotos kämpfen. Der S. Fischer-Verlag will gerade das Taschenbuch herausbringen, doch das das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg die Veröffentlichung des Fotos verboten - wegen Gefährdung der Resozialisierung von Susanne Albrecht. Peters argumentiert, anders als bei aktuellen Fotos gehe es hier um zeitgeschichtliche Dokumente. «Sonst hätten die RAF-Aktivisten von einst die absolute Hoheit über die Bildberichterstattung.»

Wie zum Beispiel Eva Haule: In einem zweiten Fall hatte ihr Anwalt eine einstweilige Verfügung gegen die «Berliner Morgenpost» durchgesetzt - weil dort ihr mehr als zwei Jahrzehnte altes Fahndungsplakat abgedruckt war. Im Zusammenhang mit der bevorstehenden Entlassung Haules, so das Gericht, dürfe selbst die alte Aufnahme nicht gedruckt werden. Der Hamburger Medienrechtsanwalt Stephan Engels hält das für widersinnig: Die Fahndungsfotos seien Teil der bundesrepublikanischen Historie. «Und Zeitgeschichte darf im Nachhinein nicht umgeschrieben werden.»

Ob diese Linie vor den oberen Instanzen Bestand hat, ist deshalb äußerst ungewiss. Für die RAF-Fahndungsplakate, die sich tief ins kollektive Gedächtnis geprägt haben, könnte eher ein Satz gelten, den das OLG Hamburg 1986 zu Fotos von Marianne Bachmeier geschrieben hatte - der schönen Angeklagten, die im Gerichtssaal den mutmaßlichen Mörder ihrer Tochter Anna erschossen hatte. Wenn ein Bild für die Öffentlichkeit untrennbar mit einem spektakulären Verbrechen verbunden sei, dann sei eine Veröffentlichung auch Jahre später noch zulässig.