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Eigentümer des Berliner Verlags: Wunsch nach mehr Ungeduld und Dank an Krenz

Eigentümer des Berliner Verlags: Wunsch nach mehr Ungeduld und Dank an Krenz Silke und Holger Friedrich. Foto: „Berliner Zeitung“

Die neuen Verleger von „Berliner Zeitung“ und „Berliner Kurier“ lösen wenige Wochen nach ihrem Start mit einem großen Editorial Diskussionen aus − und ernten dabei auch Kritik. Was ist ihre Motivation?

Berlin (dpa) − Mit dem Kauf des Berliner Verlages mit der „Berliner Zeitung“ hat das branchenfremde Unternehmer-Ehepaar Silke und Holger Friedrich Aufsehen erregt. Wenige Wochen nach dem genehmigten Deal schlagen die beiden mit einem großen Editorial vor dem Mauerfall-Jubiläum auf. Sie fragen, warum die Politik nicht adäquat auf eine sich beschleunigende Welt reagiere, stellen die Bildungs- und Einwanderungspolitik in Frage und bringen kürzere Legislaturperioden ins Gespräch. An anderer Stelle danken sie dem früheren SED-Chef Egon Krenz dafür, dass er an der Spitze der DDR im Herbst 1989 keinen Befehl zur Anwendung von Gewalt gab. 

 

Im dpa-Interview sprechen sie nun darüber, welche Motivation dahinter steckte und warum sie sich dem Bitkom-Verband näher fühlen als dem Zeitungsverlegerverband BDZV.

 

Zum 30. Jahrestag des Mauerfalls erschien am vergangenen Freitag eine Sonderausgabe der „Berliner Zeitung“, in der Sie als neue Verleger ein viel beachtetes Editorial verfasst haben. Wie war die Resonanz?

Holger Friedrich: Man könnte jetzt sagen: Wir waren gelangweilt. Weil es unsere Erwartungen getroffen hat.

Silke Friedrich: Wir haben sehr viele Zuschriften bekommen. Von Menschen mit Klarnamen, die uns ihre Adressen und Lebensläufe geschickt haben. Ganz bunt gemischt: jung, alt, ehemals Ostdeutschland, ehemals BRD − einmal querbeet, und diese Zuschriften waren weit überwiegend positiv. Wir haben drei negative Zuschriften bekommen − eine war pöbelig, eine war eine gute Blattkritik, würde ich sagen, und eine war eine ehrliche Zurückweisung aus persönlicher Erfahrung. Alle anderen Zuschriften waren positiv. Und das fand ich erstaunlich im Gegensatz zur Diskussion auf Twitter, stimuliert durch oft anonyme Einlassungen.

Holger Friedrich: Eigentlich freuen wir uns über die Reaktionen in den sozialen Medien. Weil genau das, was wir erreichen wollten − die Einladung zur Diskussion -, gelungen ist.

 

Sie haben im Editorial oft in Frageform formuliert. Gleichwohl hat es ein bisschen gewirkt wie ein Rundumschlag, wie eine Generalabrechnung mit der Politik. Das alles konnte ungeduldig wirken und auch so ein bisschen anklagend.

Holger Friedrich: Ungeduld ja, aber nicht anklagend.

Silke Friedrich: Nicht anklagend, weil wir um die Komplexität wissen. Es ist immer einfach, sich eine Meinung zu bilden. Es ist einfacher, als etwas zu gestalten, umzusetzen, zu implementieren und durchzuhalten. Aber die Ungeduld, die würde ich in jedem Fall unterstreichen. Und ich würde mir wünschen, dass wir mehr Ungeduld haben. Mehr Ungeduld mit dem, was passiert, weil für unsere Kinder tickt die Uhr. (...) Aber ich würde nicht sagen, dass es eine Generalabrechnung ist. Das sind die Fragen, die viele, glaube ich, umtreiben.

Holger Friedrich: Es war interessant zu sehen, wie reflexhaft reagiert und die Diskussion nicht inhaltlich aufgegriffen wird. Sondern sofort versucht wird, Reizwörter zueinander in Beziehung zu setzen und daraus eine Polemik zu formulieren.

 

Eines der Reizwörter, das konnte man auf Twitter beobachten, war Krenz. Der politische Ziehsohn und Nachfolger von Erich Honecker. Können Sie es verstehen, dass Leute sich darüber empören, wenn in dem Editorial von einem Dank an Egon Krenz zu lesen ist, dass er im Herbst 1989 in der DDR keinen Befehl zur Anwendung von Gewalt gab?

Holger Friedrich: Ich kann es vollständig nachvollziehen, wenn eine Mutter, deren Sohn an der Grenze umgekommen ist, an dieser Stelle sagt: Ich folge dem nicht. Das kann ich nachvollziehen, und dann ist das ein sehr schwieriger Satz. Ich kann es aber nicht nachvollziehen, wenn jemand, der danach geboren wurde, sich zu einem kräftigen moralischen Urteil aufschwingt, weil er zu der Zeit nicht dabei war. Und meine ganz persönliche Erfahrung war: Ich war zu dieser Zeit bei der Armee, bin wenige Wochen vorher von der Armee entlassen worden. Die Soldaten hatten die Munition, es war Urlaubssperre. Und es war allen von uns klar: Wenn das eskaliert, müssen wir hier ran. Wir haben diese Diskussion geführt, nachts, in ganz kleinen Kreisen: Wie verhält man sich dann? In meiner engen Sozialisation einer Stube bei der Armee hatten wir die komprimierte Gesellschaft. Es gab die, die sagten: „Wir müssen die Errungenschaften des Sozialismus verteidigen. Und ja selbstverständlich werde ich dann schießen.“ Und es gab die: „Ich renne sofort weg, verstecke mich im Wald und ich möchte daran nicht teilhaben.“ (...) Wenn jemand entscheidet, nicht zu schießen − auch wenn er vielleicht vorher in anderem Rahmen von Verantwortlichkeit agiert hat − wenn er in diesem Moment entscheidet, nicht zu eskalieren, sondern einen Schritt zurück zu gehen, dann bin ich ihm persönlich dankbar. Weil ich war in dieser Zeit, wie viele andere, ebenfalls in einem moralischen Dilemma.

Silke Friedrich: (...) Der Text ist sehr persönlich motiviert. Zum Beispiel Egon Krenz − das ist persönlich motiviert durch die Erfahrung, in der Stube mit einem Gewehr zu sitzen und nicht zu wissen, werde ich schießen oder werde ich nicht schießen?

Holger Friedrich: Ich wusste, dass ich nicht schießen würde. Aber ich bin dankbar, dass mir diese Entscheidung abgenommen wurde.

 

Sie haben im Editorial Ideen zur Politik aufgeworfen, die sehr konkret sind. Zum Beispiel Wahlen im Zwei-Jahres-Rhythmus, auf dem Smartphone wählen − wollen Sie selbst einmal in die Politik gehen?

Beide: Nein.

 

Mit dem Relaunch der Webseite gibt es die „Berliner Zeitung“ neben Englisch nun auch auf Russisch. Warum fiel die Wahl auf diese Sprache?

Holger Friedrich: Fakt ist, dass ein großer Teil der europäischen Kultur Russisch spricht. Und warum sollen wir diesen Teil ausschließen? Auch für diesen Teil Europas ist es spannend, was hier in Berlin passiert. Berlin ist für viele ein Sehnsuchtsort.

Silke Friedrich: Die Webseite, mit der wir Freitag gestartet sind, sehen wir als Prelaunch. Und das ist nicht nur die Webseite: Dahinter haben wir ein neues Content-Management-System implementiert innerhalb von drei Wochen. Es war ein heißer Ritt. Mit Russisch und Englisch rauszugehen war ein erster Aufschlag. Insofern haben wir den Launch unserer Webseite erst noch vor uns.

 

Welche Sprachen kommen noch dazu?

Silke Friedrich: Wahrscheinlich Türkisch, wahrscheinlich Arabisch. Um auch globale Aspekte einzubringen und nicht in dieser Berliner Blase zu verharren.

 

Wie haben sich die Abo-Zahlen am Wochenende nach Erscheinen des Editorials entwickelt?

Holger Friedrich: Wir können sagen, dass das, was sonst in einem Monat verkauft war, für diesen Monat mehr als erledigt ist.

 

Stichwort digitale Transformation. Die ganze Branche ist im Wandel und auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie kann man mit guten Inhalten Geld verdienen? Mit Digitalem kennen Sie sich aus. Was hilft dieses Technik-Wissen? Und wenn wir sagen, wir sind fünf Jahre weiter: Haben Sie die Antwort, auf die die Branche wartet?

Holger Friedrich: Ich denke, dass die Branche die Antwort weiß. Es gibt sehr erfolgreiche Medienhäuser. Das Verhältnis zwischen einem verkauften Printprodukt und elektronischen Lesern muss in einem gesunden Verhältnis stehen. Die Branche hat viel zu lange gewartet und die eigentlich in der Technologie schlummernden Chancen nicht adressiert. Und jetzt zahlt die Branche gerade in Deutschland dafür einen hohen Preis. Doch in gewisser Weise zu Recht: Man ist Stand heute immer noch nicht bereit, an notwendigen Stellen adäquat zu reagieren. Wir haben auch verstanden, dass unsere Kompetenz im BDZV nicht willkommen ist. (...) Insofern werden wir nicht dem BDZV (Anmerkung: Zeitungsverlegerverband) beitreten, wir werden einen Antrag für die Aufnahme im Bitkom (Anmerkung: Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien) stellen.

 

Wie lange macht das Festhalten an einem Printprodukt Sinn?

Holger Friedrich: Hoffentlich ewig. Wir haben die Druckerei wieder zurückgeholt in den Deal. Es geht darum, dass wir jedes Medium gleichberechtigt betreiben können. Ein Papier ist Kulturgut. Ich wünsche mir, dass ich in dem Moment, wenn ich Papier lesen möchte, auch Papier lesen kann. Aber ich wünsche mir ebenso, dass, wenn ich elektrisch lesen möchte, auch elektrisch lesen kann. Insofern wird Papier immer seinen Platz, aber auch immer seinen Preis haben. Wir missbrauchen momentan Papier als ineffizientes Substitut für eine nicht funktionierende elektrische Lieferung.

 

Gibt es Kooperationen des Verlages mit der Tech-Branche?

Holger Friedrich: Wir hätten diese Geschwindigkeit nicht geschafft, wenn wir nicht mit führenden Technologie-Unternehmen zusammengearbeitet hätten. Ja, die Kooperationen laufen.

 

Die haben Systeme bereitgestellt?

Holger Friedrich: Ja.

 

Google?

Holger Friedrich: Auch. Zum Beispiel die Adserver von Google.

 

Adserver − können Sie das kurz erklären?

Holger Friedrich: Irgendjemand möchte etwas beworben haben und bucht irgendwo einen Werbeplatz. Und dieser Werbeplatz wird automatisch auf den Seiten ausgesteuert. Und dieser Prozess des Angebots, der Annahme und Aussteuerung − dafür gibt es Software-Lösungen des Weltmarktführers.

 

Google sorgt dafür, dass die Werbung online auf die Seite kommt?

Holger Friedrich: Ja, auch.

 

Sie haben mit dem Engagement von Margit J. Mayer eine neue Position geschaffen speziell für den Bereich Style und Zeitschriften. Was ist geplant?

Silke Friedrich: Ich denke, es gibt in Berlin ein gesellschaftliches Leben, das in keiner Zeitung angemessen repräsentiert wird. Ich wünsche mir, dass die „Berliner Zeitung“ diese Gesellschaft repräsentiert und dieses gesellschaftliche Leben zukünftig repräsentieren wird. Dafür haben wir Margit Mayer geholt, die aus der „Berliner Zeitung“ heraus das Magazin und die Gesellschaftsseite verantwortet und diese thematisch weiterentwickelt.

 

Sind Sie jetzt jeden Tag hier im Verlag? Und kommen Sie auch in Redaktionskonferenzen?

Holger Friedrich: Das ist gar nicht notwendig. Die Kollegen haben vor uns gut gearbeitet und mit uns noch besser. Wir müssen nicht und wir wollen auch gar nicht da sein, weil wir wissen: Wir sind blutige Laien, was dieses Geschäft betrifft. Wir sollten uns nicht einmischen. Wo wir aber helfen können, ist, Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, innerhalb derer die Kollegen besser arbeiten können.

Silke Friedrich: Wir waren in den letzten sechs Wochen relativ stark im Verlag, nicht in der Redaktion, involviert, weil es um die Herauslösung aus dem DuMont-Konzern ging. Jetzt gibt es noch ein bisschen Nachwehen, aber wenn diese Themen erledigt sind, können wir uns zurückziehen. Wir haben ja unsere bisherigen Jobs behalten.

 

ZU DEN PERSONEN: Silke Friedrich leitet die Berlin Metropolitan School, die mit mehr als 1000 Schülern die größte internationale Schule Berlins ist. Holger Friedrich gründete ein Software-Technologieunternehmen, das 2003 von SAP gekauft wurde. 2009 gründete er den Technologie-Thinktank CORE. Silke und Holger Friedrich sind verheiratet und haben drei gemeinsame Kinder.